Es sind schwere Zeiten für Lebensversicherer, in denen das Handelsblatt den Vorstandschef der R+V-Versicherung Norbert Rollinger zum Interview bat. Denn die Politik der niedrigen Zinsen und des billigen Geldes nimmt kein Ende – aktuell kündigte der scheidenden Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) Mario Draghi sogar an, den Minus- und damit Straf-Satz für den Einlagezins bei der EZB von minus 0,40 Prozent auf minus 0,50 Prozent zu erhöhen (der Versicherungsbote berichtete).

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In Zeiten von Null- oder gar Strafzinsen werfen festverzinsliche Wertpapiere aus dem Sicherungsvermögen der Lebensversicherer jedoch kaum noch Gewinne ab, um alten Zusagen zu erwirtschaften oder neue Garantien auszusprechen. So verwundert es kaum, dass Rollinger hart mit der Geldpolitik der EZB ins Gericht geht: Es drohe „eine Zerstörung des Bankensystems in seiner bisherigen Form“.

EZB macht Entlastung bei der Zinszusatzreserve zunichte

Aus Sicht Rollingers negiert die Erhöhung der Minuszinsen sogar jene Entlastungen, die sich die Lebensversicherer im zurückliegenden Jahr durch die Politik erstritten hatten. Denn in 2018 veränderte die Bundesregierung die Rechenformel für die Zinszusatzreserve (ZZR). Eigentlich wurde die ZZR in 2011 als Maßnahme gegen den Niedrigzins eingeführt – sie sollte als Sicherheitspuffer dienen, damit die Gesellschaften auch in schwierigen Zeiten die vergleichsweise hohen Garantien aus Altverträgen bedienen können.

Die Einführung erfolgte aber zu Bedingungen, die aus heutiger Sicht geradezu komfortabel wirken: In 2011 lag der Einlagesatz noch im positiven Bereich, weswegen Banken damals noch Zinsen auf bei der EZB geparkte Gelder erhielten. Auch lag der Leitzins, zu dem sich Banken bei der EZB Geld liehen, in 2011 noch bei über einem Prozent. Seit 2016 aber liegt der Leitzins bei Null. Und schon seit dem 11. Juni 2014 mussten Banken erstmals Strafe zahlen für Gelder, die sie bei der EZB parken wollten (aufgrund eines damaligen Leitsatzes von minus 0,10 Prozent).

Wegen solcher verschlechterter Marktbedingungen hatte die Versicherungswirtschaft im vergangenen Jahr Alarm geschlagen: es drohe eine Überlastung, die Zinszusatzreserve bringe die Lebensversicherer in Gefahr. Der Gesetzgeber milderte in der Folge die Berechnungsformel deutlich ab (der Versicherungsbote berichtete).

Nun aber macht laut Rollinger die Verschärfung der Niedrigzins-Politik diesen Erfolg wieder zunichte. Denn in der Branche hätte man eigentlich gedacht, durch die Entlastungen bei der Zinszusatzreserve hätte sich „das Thema Lebensversicherung stabilisiert“. Nun aber würden "alle Entlastungen durch die neue Zinssituation wieder aufgezehrt“. Auch würde die Niedrigzinspolitik der EZB Lebensversicherungskunden „auf lange Sicht niedrigere Renditen“ bescheren. Das sei „kein gutes Signal“.

Die "beste Regulierung": Rückkehr zu marktgerechten Zinsen

Geradezu zynisch findet Rollinger in dieser Situation der Null- und Minuszinsen, dass nun durch deutsche Politiker wie Markus Söder zwar lautstark ein Verbot von Minuszinsen für Sparer gefordert wird (der Versicherungsbote berichtete). Zugleich aber gebe die Bundesregierung selbst "Anleihen heraus, für die der Sparer weniger Geld bekommt, als er zuvor eingezahlt hat“. Hier wird aus Sicht Rollingers mit zweierlei Maß gemessen. Sei es doch Schuld der Politik, dass derzeit „Marktmechanismen bei den Zinsen“ nicht mehr greifen. Der Appell des R+V-Chefs im Handelsblatt-Interview ist demnach deutlich: "Die beste Regulierung“ sei es, "endlich wieder vernünftige, marktgerechte Zinsen“ einzuführen.

Verbraucherschützer in Zeiten des Niedrigzins: Vorwürfe „unfair“

Wenig Verständnis hat der R+V-Chef zudem für die aktuelle Kritik der Verbraucherschützer an der Branche. Direkt auf Vorwürfe des verbrauchernahen Bunds der Versicherten (BdV) und seines Vorstandssprechers Axel Kleinlein angesprochen, führt Rollinger den Spruch ins Feld: Im Nachhinein "sei man immer schlauer“. Jedoch: Im Nachhinein dieses Wissen zum Vorwurf zu machen, hält der Vorstand für „unfair“: Auch die Verbraucherschützer konnten ein Niedrigzins-Umfeld nicht vorhersehen.

In diesem Kontext erinnert Rollinger daran, dass die derzeitigen Kritikpunkte der Verbraucherschützer genau konträr zu jenen Forderungen seien, die sie in Zeiten der Hochzins-Phase stellten. Damals hätte man die Branche dafür kritisiert, dass sie nur vier Prozent Garantiezins biete, "während es für Bundesanleihen sieben oder acht Prozent Zinsen gab“. Heute hingegen wirft man der Branche vor, sich bei den hohen Garantien verkalkuliert zu haben.


Und dabei haben aus Sicht Rollingers jene Versicherten ein gutes Geschäft gemacht, die damals eine Lebensversicherung abgeschlossen hatten und noch heute von den damaligen Konditionen profitieren. Rollinger äußert: "Wer heute eine Lebensversicherung mit vier Prozent hat, ist ein König – denn er hat sie für 30 bis 40 Jahre sicher.“ Der Staat hingegen biete heutzutage "30-jährige Anleihen zu einem Nullkupon an“. In diesem Kontext verweist Rollinger auch darauf: Noch heute liege die durchschnittliche Gesamtverzinsung, die sich aus dem Garantiezins für den Sparanteil sowie Überschussbeteiligung und Bewertungsreserven ergibt, bei der R+V bei rund 2,9 Prozent.

Vermittler: Durch Provisionsdeckel „als Buhmann hingestellt“

Wenig überraschend: Neben der Kritik der Verbraucherschützer stoßen auch die Regulierungs-Pläne aus dem Bundesministeriums der Finanzen (BMF) bei Rollinger auf wenig Gegenliebe. Das betrifft in erster Linie den Provisionsdeckel, den der Vorstand als „Eingriff in die Autonomie der Branche“ bezeichnet (siehe hierzu die Themenseite des Versicherungsboten).

Auf die Frage des Interviewpartners, warum denn die Vermittler „nicht weniger bekommen“ sollen, obwohl doch „die Renditen der Lebensversicherten immer niedriger ausfallen“, antwortet Rollinger: Ihm müsse „einmal jemand erklären“, warum „die Boni in der Lebensversicherung streng reguliert werden sollen“, aber „die Kosten von Fonds nicht“. Immerhin seien bei Fonds „Aufschläge und laufende Kosten kein Thema“, obwohl es hier „keine Höchstgrenze“ für solche Kosten gibt.

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Überhaupt wirft Rollinger dem Gesetzgeber vor, das Problem der Niedrigzinsen „auf dem Rücken der seriösen Vermittler abladen“ zu wollen. So würden die Vermittler „für das makroökonomische Thema“ Niedrigzinsen „als Buhmann hingestellt“. Und das, obwohl die Arbeit der Vermittler gerade in diesen Niedrigzins-Zeiten immer wichtiger werde, da die Kunden „händeringend“ überlegten, was „sie machen sollten“.
 Zumal Vermittler in der jetzigen Situation die wichtige Aufgabe hätten, Menschen dafür zu „sensibilisieren, wie dringend notwendig der Aufbau einer privaten Altersvorsorge ist.“ Da spiele auch die Lebensversicherung "eine wichtige Rolle".

Der Garantiezins in der Lebensversicherung … wird weiter sinken müssen

Sparen wird durch Zinsen belohnt. Diese Annahme galt lange als Selbstverständlichkeit – eine ganze Vorsorgelandschaft baute darauf auf. Auch Produkte der Lebensversicherung verhießen gute Zinsen auf eingezahlte Beträge. Denn wenngleich der so genannte Garantiezins in der Lebensversicherung nur den Sparanteil der eingezahlten Beträge betrifft (bei diesem Anteil werden Kosten für Vertrieb, Verwaltung und Risikokosten herausgerechnet), galt ein hoher Garantiezins lange Zeit als Haupt-Verkaufsargument der Leben-Policen. Das verwundert kaum: Zwischen Juli 1994 und Juni 2000 lag dieser Zins zum Beispiel kontinuierlich bei 4,00 Prozent, woran auch Rollinger in dem Interview mit dem Handelsblatt erinnert (das Interview ist auf der Webseite des Handelsblatts kostenpflichtig verfügbar).

Derart hohe Zinsgarantien und weitere Leistungen der Lebensversicherung – genannt sei zum Beispiel der Todesfallschutz vieler Produkte – sicherten der Lebensversicherung lange eine hohe Beliebtheit. Und: Kunden mit alten Verträgen profitieren nun weiterhin von den Garantien, die für die Versicherer jedoch nun teuer geworden sind. Zinsparer hingegen haben keine derartigen Vorteile des Vorsorgesparens über ältere Lebensversicherungsverträge, sind sogar aktuell von Minus- und Strafzinsen bedroht.

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Die Zeiten hoher Garantiezinsen in der Lebensversicherung sind jedoch aufgrund der Niedrigzinspolitik auch für Neukunden schon länger vorbei. Demnach befindet sich auch jener durch das Bundesministerium für Finanzen (BMF) genehmigte Höchstrechnungszins für Leben-Tarife im Sinkflug, der für viele Lebensversicherer zugleich Richtwert ist für den so genannten Garantiezins auf Spareinlagen: 0,90 Prozent beträgt er seit Januar 2017. Und der Garantiezins könnte weiter sinken, wie Rollinger im Interview mit dem Handelsblatt eingesteht:

Laut Rollinger wäre es derzeit „schwierig“, die Garantie von 0,9 Prozent „noch zu halten“. Aus diesem Grund müsse die Deutsche Aktuarvereinigung „in den kommenden Monaten darüber reden“, ob „der Garantiezins noch einmal gesenkt werden muss“. Könnten sich die Versicherer von der allgemeinen Renditeentwicklung doch „nicht einfach abkoppeln“.

Wovon sich freilich immer mehr Lebensversicherer abkoppeln können, das sind die teuren Garantien. Demnach bieten immer mehr Lebensversicherer Produkte der sogenannten „Neuen Klassik“ an, für die garantierte Zinsen keinen Richtwert mehr darstellen.

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Damit aber hat sich zwar das Problem teurer Garantien, nicht jedoch das Problem niedriger Zinsen und geringer Renditen durch die Niedrigzinspolitik der EZB erledigt. Denn auch für Produkte der „Neuen Klassik“ muss ein Großteil der Kunden- und Beitragsgelder im Sicherungsvermögen bzw. dem Deckungsstock der Lebensversicherer angelegt werden – die Versicherer sind weiterhin gebunden an einen hohen Anteil zinsabhängiger (zum Beispiel festverzinslicher) Wertpapiere (der Versicherungsbote berichtete).

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