Der Koalitionsvertrag der Bundesregierung setzte sich eine Grundrente zum Ziel, die "zehn Prozent über der Grundsicherung“ liegt. Seither warb Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) mit dem Vorstoß einer "Respekt-Rente", die weit über die Pläne des Papiers hinausreichte:

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Heils Pläne sehen eine Verdoppelung der Entgeltpunkte für jene Rentner vor, die bei geringem Verdienst mindestens 35 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt haben. Richten soll es außerdem ein Freibetrag für die Grundsicherung. Bis zu 447,00 Euro mehr sollen Rentner durch diese Respekt-Rente in den Taschen haben, so lauteten die aufsehenerregenden Schlagzeilen (der Versicherungsbote berichtete).

Wegfall der Bedürftigkeitsprüfung brachte Ärger in die Regierungskoalition

Erhalten sollen die Rentenleistung auch jene, die ohne Bedürftigkeit einen Anspruch auf Grundrente erworben haben – zum Beispiel Menschen, die durch ein großzügiges Einkommen von Ehepartnern bereits abgesichert sind. Folglich soll laut Plänen des Bundesarbeitsministers eine Bedürftigkeitsprüfung komplett entfallen. Das jedoch ist ein Verstoß gegen den Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, der eine solche Prüfung „entsprechend der Grundsicherung“ vorsah. Aus diesem Grund entbrannte ein Streit um die neue Rentenleistung, da CDU und CSU eine Zahlung ohne Bedürftigkeitsprüfung komplett ablehnen (der Versicherungsbote berichtete). Der Vorwurf: Gelder würden verschwendet.

Werden durch die Respektrente Gelder verschwendet?

Aber stimmt der Vorwurf? Und wie würde sich die von Hubertus Heil geplante „Respekt-Rente“ auf das Armutsrisiko auswirken? Erste Kritik durch Wissenschaftler, die sich die Pläne ansahen, gab es bereits durch das Münchener ifo-Institut. So würde zum Beispiel ein großer Teil der Anspruchsberechtigten, die von der neuen Rente profitieren sollen, gar nicht von der zusätzlichen Grundrente selber profitieren, sondern nur von jenem Freibetrag für Bezieher von ergänzenden Grundsicherungsleistungen. Damit diese Personen ein „Mehr“ über den Freibetrag erhalten, bliebe der Gang zum Sozialamt nicht erspart (der Versicherungsbote berichtete).

Nun erweitern sich die Kritikpunkte durch eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) im Auftrag der Bertelsmann Stiftung. Demnach wären die Pläne Heils wenig zielgenau, aber äußerst teuer. Der Vorwurf der Verschwendung von Geldern also lässt sich nun erstmals genauer mit Zahlen beziffern.

Das Armutsrisiko … sinkt leicht

So legen die Studienmacher für die Stiftung dar: Heils Reform würde zwar eine gewisse Wirkung zeigen, da die Armutsrisikoquote bis 2039 auf 18,4 Prozent gedrückt werden könnte. Zum Vergleich: Ohne diese Leistungen sind für das Ende der 2030er Jahre Werte von 21,6 Prozent errechnet. Die Zahl der Menschen also, die durch Armut bedroht sind, würde demnach um 3,2 Prozent sinken – gibt doch die Armutsrisikoquote die Zahl derer an, die über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung verfügen. Jedoch: Die Studienmacher bewerten die notwendigen Ausgaben für diesen Erfolg als „wenig zielgenau“.

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Denn geht man von jener kleiner Gruppe armutsgefährdeter „Respekt-Rente“-Bezieherinnen und Bezieher zur größeren Gruppe aller berechtigten Personen, die eine Respekt-Rente erhalten, dann hätten von 3,1 Millionen Empfängern hohe 85 Prozent aufgrund anderer Einkünfte keinen Anspruch auf Grundsicherung. Zwar beziehen sich Armutsrisikoquote und Grundsicherungsquote auf unterschiedliche Maßstäbe für Armut – die Grundsicherungsquote markiert laut Studienmachern „den Unterschied zwischen Personen, die zum Sozialamt gehen und sich der Bedürftigkeitsprüfung unterziehen müssen, und anderen, die nicht auf die Fürsorge des Staates angewiesen sind“. Demnach greift bei der Zahl der Grundsicherungsberechtigten ein strengerer Maßstab der Bedürftigkeit. Und doch: Eine weitere Zahl verstärkt den Verdacht, Gelder würden überwiegend Menschen zugute kommen, die gar nicht bedürftig sind.

Nettoeinkommen vieler Respekt-Rentner*innen doppelt so hoch wie Bedürftigkeitsschwelle

Die Studienmacher führen aus: Das mittlere individuelle Nettoeinkommen aller Begünstigten der „Respekt-Rente“ wäre sogar doppelt so hoch wie die Bedürftigkeitsschwelle, ab der die Grundsicherung gewährt wird. Das bedeutet zugleich: Viele Bezieher der Respekt-Rente dürften ein Nettoeinkommen jenseits des Armutsrisikos beziehen. Bedenkt man nun noch, dass Heils Pläne einer Respekt-Rente den Staat laut Institut rund sieben Milliarden Euro jährlich kosten, stellt sich die Frage: Wäre dieses Geld für zielgenauere Ausgaben der Armutsbekämpfung nicht besser verwendet?

Armutsbekämpfung: Nicht Heils primäres Ziel

Freilich muss man nun gegen die Vorwürfe der Studienmacher einwenden: Die Armutsbekämpfung wird zwar auch durch Hubertus Heil und sein Ministerium wortreich ins rhetorische Feld der Auseinandersetzung geführt. Jedoch: Sie ist gar nicht das primäre Ziel der Rente. Vielmehr ist die Rente als eine Art Belohnung gedacht für jene, die laut Heil „immer nur den Mindestlohn verdient hatten“ und dennoch 35 Jahre in die Rentenkasse einzahlten.

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Diese Belohnung folgt ganz und gar dem Prinzip der Teilhabeäquivalenz und belohnt mit der Lebensleistung eine lange Beitragszahlung für die gesetzliche Rentenversicherung trotz geringen Einkommens. Man könnte nun demnach der Studie entgegenhalten: Sie verkennt das primäre Ziel, welches die zu schaffende „Respekt-Rente“ schon im Namen führt: Respekt für eine lange Beitragszahlung als Lebensleistung.

Und doch: Die Debatte muss natürlich auch geführt werden unter dem Aspekt zunehmender Altersarmut. So errechnete die aktuelle Studie aus dem Hause Bertelsmann auch: Die Armutsrisikoquote wird in 20 Jahren auf über 20 Prozent klettern (der Versicherungsbote berichtete). Solche Fakten führen schlicht zur Frage: Kann sich ein Staat, der gegen die Altersarmut kämpfen muss, eine „Respekt-Rente“ auch tatsächlich leisten – oder wären die Gelder nicht in zielgenauere Maßnahmen der Armutsbekämpfung besser investiert?

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