Provisionsdeckel würde einen Teil der Makler in die Verlustzone treiben
Wirtschaftswissenschaftler Matthias Beenken rechnet in einer aktuellen Analyse vor: Zehn Prozent der Makler und Mehrfachvertreter würden bei Einführung des Provisionsdeckels in der Lebensversicherung keinen Gewinn mehr erreichen, sondern Verluste einfahren. Dass aber Kunden profitieren, ist höchst zweifelhaft.
- Provisionsdeckel würde einen Teil der Makler in die Verlustzone treiben
- Auch der Kunden-Nutzen: fragwürdig
Härter als zuvor geht Beenken zudem mit der fragwürdigen Zahlenbasis der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) ins Gericht. Die Daten bezeichnet der Experte als "irreführend". Und er verweist auf Probleme bei den Abschlusskosten der Versicherer, die bisher nicht durch die Behörde aufgeklärt wurden.
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Der Provisionsdeckel bedroht das Makler-Geschäft
Beenkens kritische Analyse erschien in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „VersicherungsVermittlung“ – herausgegeben wird diese Zeitschrift vom Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute (BVK). Ausgewertet wurden umfangreiche Daten der BVK-Strukturanalyse 2018/2019. Denn der BVK führt im Zweijahres-Rhythmus eine Studie zur Einkommenssituation von Vermittlern durch. Was läge da näher, als diese Daten heranzuziehen, um Auswirkungen des aktuellen Referentenentwurfs zum umstrittenen Provisionsdeckel in der Lebensversicherung zu überprüfen?
Laut BVK-Strukturanalyse erreichen Exklusivvertreter derzeit durchschnittlich einen Betriebsgewinn von 93.000 Euro sowie Makler und Mehrfachvertreter von 79.000 Euro im Jahr. Würde man nun, wie durch den aktuellen Gesetzentwurf geplant, „eine effektive Kürzung der Lebensversicherungs- Gesamtvergütung um 25 Prozent“ unterstellen, so Beenken, dann sinken die Gewinne der Exklusivvertreter um 15 Prozent auf durchschnittlich 78.000 Euro. Die Gewinne der Makler und Mehrfachvertreter würden um 23 Prozent auf 61.000 Euro sinken.
Das Problematische dieser Zahlen erweist sich jedoch besonders dann, wenn man die Verteilung der Gewinne zusätzlich zu den Durchschnittswerten heranzieht. Zumal sich die Bestandsgrößen der Vermittler unterscheiden. Die Einnahmen verdanken sich verschiedenen Quellen – zum Beispiel dem Bestand Komposit oder dem Bestand Leben. Auf Grundlage dieser Bestandszusammensetzungen für verschiedene Gewinnhöhen jener 2.500 Vermittlern, die an der Strukturanalyse teilnahmen, konnte Beenken hier nochmals Auswirkungen differenzieren.
Und der Wissenschaftler warnt: Bei der unterstellten Kürzung gemäß den aktuellen Plänen aus dem Bundesministerium würden schon knapp drei Prozent der Exklusivvertreter und zehn Prozent der Makler und Mehrfachvertreter keinen Gewinn mehr erreichen, sondern Verluste einfahren.
Die Datenbasis der BaFin: „fragwürdig“ bis „irreführend“
Solche drastischen Auswirkungen werden umso problematischer, wenn man zugleich die Bedingungen hinterfragt, zu denen der aktuelle Deckel eingeführt werden soll. Mehr noch als zuvor nämlich geht Beenken in seinem nun erschienenen Artikel mit einer „fragwürdigen Datenbasis“ ins Gericht.
Ein wesentlicher Kritikpunkt, der nun auch von Beenken aufgegriffen wird: In die Evaluierung des Lebensversicherungsreformgesetzes, die Ausgangspunkt war für den aktuellen Gesetzentwurf, flossen auch Daten der „Restschuldversicherungs-Spezialisten“ mit ihren „teilweise exorbitant hohen Vergütungen an Banken“ ein. Was dieses Einbeziehen einer völlig anderen Produktkategorie mit völlig anderen Vertriebsbedingungen als für Lebensversicherungsprodukte bedeutet, veranschaulicht Beenken anhand von zwei Anbietern. So würde beispielsweise Credit Life als „Spezialist für Absicherung von Zahlungsverpflichtungen“ sagenhafte 126 Promille als Abschlusskostensatz ausweisen. Und die im gleichen Spektrum tätige Allianz-Tochter Deutsche Lebensversicherung hat sogar einen Abschlusskostensatz von 130 Promille.
Beenken schreibt: „Mit solchen Zahlen einen Provisionsdeckel für den Verkauf von Altersvorsorgeprodukten durch klassische Versicherungsvermittler zu begründen“, sei, „höflich ausgedrückt irreführend“.
Der Branchendienst „versicherungstip“, der dieses Problem aufdeckte, wittert gar einen politischen Skandal. Denn mit der Realität der Vermittler in der Lebensversicherung haben die exorbitanten Zahlungen der Restschuldversicherer an Banken nichts zu tun. Der Verdacht: Absichtlich wurde hier zum Nachteil der Leben-Branche mit fragwürdigen Methoden gerechnet, um die Einführung eines Provisionsdeckels in der Lebensversicherung zu legitimieren (der Versicherungsbote berichtete).
Laufzeitfaktoren und unverzinste Stornoreserven: Wie so oft nicht bedacht
Doch ein zusätzliches Problem kommt hinzu: Auch Laufzeitfaktoren und unverzinste Stornoreserven wurden bei der Evaluierung des Lebensversicherungsreformgesetzes anscheinend nicht zugunsten der Vermittler bedacht. Fließen doch verschiedene Parameter in die Kalkulation der Lebensversicherer ein, die den Zeitwert des Geldes zu verschiedenen Zeitpunkten eines langlaufenden Versicherungsvertrags abbilden sollen. In der Praxis hat dies ganz konkrete Auswirkungen für die Vermittler-Vergütung: Insbesondere relativ kurz laufende, jedoch auch relativ lang laufende Verträge werden durch solche Faktoren schlechter vergütet, als es der nominale Provisionssatz erwarten ließe (der Versicherungsbote berichtete).
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Abzinsung: "Einige Promille weniger
Und der aktuelle Gesetzentwurf aus dem Hause des Bundesfinanzministeriums würde eine weitere Möglichkeit für Versicherer eröffnen, die nominalen Vergütungsansprüche der Vermittler zu reduzieren. Wird nämlich die Abschlussprovision aufgeschoben gezahlt, ermöglicht der aktuelle Referentenentwurf den Versicherern eine Abzinsung, die sich an den Vorgaben von Paragraph 253 Absatz 2 Satz 2 des Handelsgesetzbuchs (HGB) für Altersversorgungsverpflichtungen orientiert. Für die Praxis folgt laut Beenken daraus: Würden künftige Vergütungen auf diese Weise abgezinst, wären es zusätzlich zum Deckel für die Vermittler noch „einige Promille weniger“.
Auch der Kunden-Nutzen: fragwürdig
Was aber wäre der Nutzen eines Provisionsdeckels in der Lebensversicherung für den Kunden? Beenken zweifelt, ob es einen solchen Nutzen überhaupt gibt. So verweist er auf eine Studie, die für eine Senkung der Abschlusskosten von 40 auf 25 Promille nur eine Renditesteigerung von rund 0,1 bis 0,2 Prozentpunkten ermittelte.
In diesem Kontext rückt ein Kritikpunkt besonders in den Fokus der Argumentation: Der aktuelle Gesetzentwurf sehe „keineswegs vor“, dass „jegliche Ersparnis unmittelbar den Kunden zugute kommen soll“. Anders nämlich als bei den Vermittlern, bei denen die Abschlussvergütungen durch das Lebensversicherungsreformgesetz (LVRG) vom 1. August 2014 tatsächlich zurück gingen, sieht man bei den Versicherungsunternehmen keine positive Entwicklung bei den Gesamt-Abschlusskosten, wie Beenken schon gegenüber dem Branchendienst VWheute äußerte (der Versicherungsbote berichtete).
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Bilanzielle Kosten/ gezahlte Vergütungen: Was begründet die Differenz?
Nun macht Beenken auf ein konkretes Problem hinter dieser Tatsache aufmerksam: Vergleiche man die bilanziellen Abschlusskostensätze einzelner Versicherer mit den tatsächlich an Exklusivvertreter und Makler gezahlten Vergütungen, würden sich teilweise erstaunliche Differenzen ergeben. Eine Tabelle, die Beenkens Artikel beigegeben ist, veranschaulicht das Problem: Abschlusskostensätze der Versicherer werden den Effektiven Gesamtvergütungen für die Vermittler gegenübergestellt mit Stand 2017. Ausgewiesen wird außerdem das Delta (und damit die Differenz beider Werte). Bezogen auf Makler ist dieses Delta bei der HDI besonders hoch mit 56 Promille. Jedoch auch die Zurich bringt es mit einem Delta von 26 Promille und die Nürnberger mit einem Delta von 25 Promille auf auffallende Differenzen.
Noch auffallender sind Unterschiede, vergleicht man den Abschlusskostensatz mit der Effektiven Gesamtvergütung für Exklusivvertreter. So weist hier die HDI zum Beispiel ein Delta von 71 Promille auf. Und sieben von 15 Versicherern haben ein Delta von über 20 Promille.
Zwar mag es verschiedene Gründe für diese Differenzen geben. Jedoch: Sie könnten als Indiz gelten, dass die Abschlussvergütung der Vermittler einen kleineren Teil des Problems der hohen Abschlusskosten ausmacht als angenommen. Einen Vorwurf jedenfalls hat Beenken mit Blick auf derartige Zahlen: „Deren Ursachen“ würden „von BMF und BaFin nicht öffentlich hinterfragt.“ Die Differenzen aus bilanziellen Kosten und tatsächlich gezahlten Vergütungen aber werfen laut Beenken „erhebliche Fragen“ auf.
Gesetzgeber: Bedenkt nicht Kosten durch Insolvenzen
Grundsätzlich erneuert Beenken mit seiner Analyse den Vorwurf, der Gesetzgeber ziele nur auf die Vergütungen der Vermittler ab, schone aber mit den Gesamt-Abschlusskosten die Versicherer. Die Rechnung könnte freilich nicht ganz aufgehen. Denn nicht nur scheinen Vorteile für den Kunden gering. Etwas anderes hat der Gesetzgeber ebenfalls nicht bedacht: Die Kosten, die durch vermehrte Geschäftsaufgaben und Insolvenzen der Vermittler entstehen.
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Der kritische Artikel des Wissenschaftlers ist in der aktuellen Ausgabe der Mitgliederzeitschrift des Bundesverbands Deutscher Versicherungskaufleute erschienen.
- Provisionsdeckel würde einen Teil der Makler in die Verlustzone treiben
- Auch der Kunden-Nutzen: fragwürdig