Versicherungsapp? Nein, danke!
Versicherungsapps digitaler Makler-Start-ups sollten für Deutschlands erstes InsurTech-Einhorn sorgen. Längst ist jedoch Ernüchterung eingetreten. Warum die Versicherungsapp keine Zukunft hat, lesen Sie in der heutigen Kolumne „Aus dem Alltag eines digitalen Versicherungsvermittlers“ von Dr. Philipp Kanschik (Policen Direkt).
- Versicherungsapp? Nein, danke!
- Es fehlen dynamische Inhalte
Das Marketing für die Apps digitaler Makler-Start-ups war und ist Spitzenklasse. Längst wird nicht mehr nur damit geworben, dass die Apps einen kompletten Überblick über alle Versicherungen geben und Versicherungs-Papierkram überflüssig machen. Nein, App-Nutzer können Versicherungen von einer KI oder einem „Robo-Advisor“ analysieren lassen, personalisierte Policen mobil in 5 Minuten abschließen und in Echtzeit Schäden melden und ihr Geld erhalten. Und man könnte noch hinzufügen: all das kostet den Kunden nichts. Diese Apps, so haben es daher viele vorausgesagt, werden einen Siegeszug antreten und in Deutschland in naher Zukunft das erste milliardenschwere Versicherungseinhorn entstehen lassen. Und so ganz nebenbei den klassischen Makler überflüssig machen.
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Mittlerweile ist jedoch Ernüchterung eingetreten. Während die Banking-App „N26“ mit ähnlichen Versprechen bereits über 3,5 Mio. Kunden gewinnen konnte und auf globalem Expansionskurs liegt, dürfte es kein deutscher App-Anbieter auch nur auf ein Zehntel dieser Zahl bringen. Und das, obwohl ihre Versicherungsapps wirklich überall von Bannern, Kooperationspartnern und jüngst gar Fernsehwerbung angepriesen werden.
Philipp Kanschik
Philipp Kanschik
Dr. Philipp Kanschik ist Geschäftsführer von Policen Direkt und dort verantwortlich für Technologieentwicklung und Maklernachfolge.
Der Friedhof der InsurTechs, die voll auf Kundenapps gesetzt haben, wird derweil immer größer. Andere ändern still und heimlich ihre Geschäftsmodelle und setzen z.B. stärker auf Kooperation mit Maklern, werden selbst Versicherer, oder werden einfach verkauft / fusioniert / abgeschrieben. Das belegt auch die Übersicht unseres InsurTech-Radars.
Versicherungsapps sind langweilig
Warum zeigen Kunden bislang so wenig Interesse an den Apps? Die Makler unter den Lesern dieser Kolumne möchten jetzt vermutlich gerne hören, dass die Kunden lieber auf die persönliche Beratung vertrauen. Dass das Thema Versicherungen zu komplex für einen kleinen Bildschirm ist. Dass das Thema Vertrauen entscheidend und die Menschen den digitalen Anbietern nicht vertrauen.
Aber das würden Bankberater auch sagen. Oder Mitarbeiter in Reisebüros. Oder Immobilienmakler. Trotzdem wandern deren Kunden in Scharen zu digitalen Start-ups ab. Wer hat nicht schon mal an einem verregneten Sonntagnachmittag auf dem heimischen Sofa seine nächste Reise geplant, Hotels gesucht, Flüge gebucht, Mietwagenpreise recherchiert? Uns Konsumenten macht das einfach auch Spaß.
Versicherungen hingegen machen den meisten von uns keinen Spaß—sie bieten einfach keinen Unterhaltungswert fürs Sofa, egal wie gut die App gemacht ist. Der Grund für das Scheitern der Apps ist damit ein zugegebenermaßen wenig origineller: die Kunden interessieren sich nicht für Versicherungen.
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All das ändert nichts daran, dass neben den Makler-Start-ups auch Versicherer und Pools immer neue Apps auf den Markt bringen. Es ist wohl auch ein Herdentrieb-Phänomen: alle machen es, also muss ja irgendwas dran sein.
Es fehlen dynamische Inhalte
Dass das nicht gutgehen kann, zeigt auch eine andere Überlegung. Normalerweise befinden sich auf einem Smartphone maximal 100 Apps, viel mehr wird den meisten von uns zu unübersichtlich. Von diesen Apps nutzt der typische Kunde maximal 30. Welche Apps sind das? In den Top 100 der meistgedownloadeten iOS-Apps befinden sich: Messenger, Spiele, Filme, Musik, Wetter, Social Media, Nachrichten, Mobilität, Shopping. Das sind alles Apps, die einen Service anbieten, den die Kunden regelmäßig nutzen und der ein Bedürfnis befriedigt: Social Media befriedigt unsere Neugier, Shopping unsere Konsumbedürfnisse und die Wettervorhersage ist schlichtweg nützlich für unsere Alltagsplanung.
„Online-Makler“- und auch Versicherer-Apps befinden sich hingegen nicht unter den Top 100—dafür aber einige Finanz-/Banking-Apps (Paypal, Volksbank, Sparkasse). Warum, so könnte man an dieser Stelle fragen, nutzen die Kunden Banking-Apps lieber als Versicherungsapps? Auch Bankgeschäfte haben nicht gerade den Ruf, beliebte Sonntagsbeschäftigungen zu sein. Doch es gibt einen kleinen, entscheidenden Unterschied: in der Banking-Apps gibt es—fast wie bei Facebook—bei jedem Einloggen etwas Neues zu entdecken, neue Zahlungseingänge- und Ausgänge, die Entwicklung des Aktienportfolios, usw.
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Und bei den Versicherungsapps? Für den User der App gibt es wenig zu entdecken: die Policen bleiben dieselben, der Schutzumfang ebenso und auch die Prämien ändern sich maximal einmal im Jahr – und auch nur selten zum Positiven. Wenn nicht grade ein Schaden zu regulieren ist oder ein neues Auto zu versichern ist, kann hier grundsätzlich nicht ständig etwas Spannendes passieren. Und deswegen werden solche Apps kaum genutzt. Und schon gar nicht 4-5 verschiedene App dieser Art: eine vom Makler, eine vom Vergleichsportal und eine weitere von jedem Versicherer, bei dem er eine Police hat. Das kann nicht gutgehen.
Erreichbarkeit und Service sind wichtiger
Das heißt nicht, dass Versicherungsapps nicht nützlich sein können. Wenn der Kunde seinen Makler braucht, muss er schnell erreichbar sein. Das kann per Makler-App passieren, aber auch per Browser, per mobil optimierter Homepage oder ganz klassisch per Telefon. Ein schönes Beispiel hielt kürzlich Sascha Friesike, Professor für Design digitaler Innovation, den versammelten Branchenvertretern vor: alle Versicherer entwickeln in den letzten Jahren im Herdentrip Apps zur Schadenmeldung. Aber hat eigentlich mal jemand darüber nachgedacht, dass aufgelöste Kunden nach einem Unfall kaum willens und in der Lage sind, eine App herunterzuladen und zu bedienen? Die gute, alte Hotline bleibt hier letztlich die kundenfreundlichste Lösung für den Erstkontakt. Und wenn der Kunde dann noch die Bilder vom Schaden per WhatsApp schicken kann, ist alles gut.
Das Beispiel zeigt: schnelle Erreichbarkeit und guter Service sind entscheidend, am besten auf verschiedenen Kanälen, je nachdem wo der Kunde gerade ist und was er braucht. Eine hohe Nutzungsfrequenz wird auch die beste App nicht erreichen—weil die Kunden nun mal lieber spielen und shoppen statt sich ihre Policen anzuschauen.
Deutschlands höchstplatzierte Versicherungsapp „Check24“ (gegründet 1999) findet sich auf Platz 101 der iOS-Download-Charts. Warum? Weil sie ein unmittelbares Problem des Kunden halt einfach nur genau dann löst, wenn der Kunde das will. Aber das ist ein Thema für ein anderes Mal.
Über den Autor: Philipp Kanschik ist Bereichsleiter für das digitale Maklergeschäft und Nachfolgelösungen bei Policen Direkt. Einerseits ist er promovierter Philosoph, Weltreisender und Gitarrist und andererseits Experte für technologiebasierte Online-Versicherungs-Plattformen sowie Maklerbestandsübernahmen. So wirft er einen ganz eigenen Blick auf die digitalen Herausforderungen der Versicherungsbranche.
- Versicherungsapp? Nein, danke!
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