TK-Chef Baas fordert von Bundesregierung Masterplan für bessere Arztversorgung
Nach Ansicht von Jens Baas, Chef von Deutschlands größter Krankenkasse, reichen die Maßnahmen der Politik nicht aus, um dringend benötigte Haus- und Fachärzte aufs Land zu locken. Er fordert von der Bundesregierung einen "Masterplan" statt Klein-Klein.
Jens Baas, Chef der Techniker Krankenkasse, fordert von der Politik umfassende Reformen, um den Arztmangel auf dem Land zu bekämpfen. Auf die Frage, ob die Wahlerfolge der AfD im Osten auch mit der mangelnden ärztlichen Versorgung in ländlichen Regionen begründet sei, antwortete er in einem Interview mit der Neuen Westfälischen:
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“Dass eine unzureichende Gesundheitsversorgung auf dem Land, nicht nur im Osten, sondern auch im Westen, ein zunehmendes Problem für die Menschen darstellt, kann ich nachvollziehen“, so Baas. Viele Hausärzte auf dem Land würden in Rente gehen, aber keine Nachfolger finden, führt der Kassenfunktionär zu den Gründen einer möglicherweise defizitären Versorgung auf dem Land aus. Aber auch für Fachärzte seien ländliche Regionen wenig attraktiv — etwa wegen mangelhafter Infrastruktur und fehlenden Kultur- und Freizeitangeboten. „Da ist auch mit mehr Geld für Ärzte nichts zu machen“, gibt der TK-Chef zu bedenken.
Die bisher ergriffenen Maßnahmen der Bundesregierung für mehr Ärzte auf dem Land wertet Jens Baas als unzureichend. Und gibt der Bundespolitik einen Seitenhieb mit: „Jahrelang hat die Politik sich im Klein-Klein verloren. Wir benötigen endlich einen gesamtdeutschen Masterplan, um die medizinische Versorgung auch auf dem Land sicherzustellen, heute und vor allem für die Zukunft“, fordert der TK-Chef.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat unter anderem angestoßen, dass Kassenärzte obligatorisch regionale Zuschläge erhalten, wenn sie ihre Praxis auf dem Land eröffnen: Bisher waren Extrazahlungen freiwillig. Die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) werden nach den Plänen Spahns zudem verpflichtet, in unterversorgten Gebieten eigene Praxen oder Versorgungsalternativen wie Patientenbusse anzubieten. Online-Sprechstunden und digitale Beratungen sollen die Versorgung auf dem Land ergänzen.
Baas will spezialisierte Krankenhäuser von Notfallversorgung befreien
Mit Blick auf die Arztversorgung verfolgt TK-Chef Baas auch eigene Interessen. Und das bedeutet: Die Kassen wollen Geld sparen bzw. für eine bessere Arztversorgung nicht unbedingt mehr ausgeben. Das zeigt ein konkreter Vorschlag, der zunächst genau das Gegenteil bewirken würde: nämlich eine deutlich schlechtere Arztversorgung auf dem Land.
So fordert Baas, die Krankenhausplanung zu überdenken. „Benötigt werden im Grunde zwei Arten von Kliniken: Hochspezialisierte Häuser sowie Kliniken, die nur für die Grundversorgung und für Notfälle zuständig sind“, sagt der Chef von Deutschlands größter Krankenkasse. So sollen erstere als Spezialkliniken operieren, aber davon befreit sein, eine grundsätzliche Notfallversorgung zu gewähren. Stattdessen bieten sie Services und OPs für bestimmte Schwerpunkte: etwa Herz- oder Krebs-Operationen und Therapien.
Zudem sollen einige Krankenhäuser, "die nicht mehr gebraucht werden, (...) zu medizinischen Versorgungszentren umgewidmet werden, in denen Haus- und Fachärzte unter einem Dach arbeiten", schlägt Baas vor. So könne das Problem fehlender Hausärzte gelöst werden.
Die Kassen könnten Geld sparen, wenn unrentable Kliniken geschlossen werden sollen. Aber für die Patienten würde dieser Reformvorschlag bedeuten, dass sie deutlich längere Wege für einen Notfall oder eine stationäre Behandlung erdulden müssen: je nach Umsetzung der Vorschläge.
Schon heute ist zum Beispiel in vielen Gebieten nicht gewährleistet, dass Rettungswagen zur vorgeschriebenen Zeit überhaupt zum Unfallort kommen oder zu einem Notfallpatienten. Beispiel Rheinland-Pfalz: Nach Recherchen des SWR erfüllen nur zwei Drittel der herbeigerufenen Notwagen die gesetzlich vorgeschriebene Maximaldauer von 12 Minuten. Und die LVZ berichtet heute, dass Notfallpatienten gar in der Warteschleife der Rettungsleitstellen hängen bleiben. Im schlimmsten Fall sterben Menschen, weil sie nicht rechtzeitig Hilfe erhalten.
"Hubschrauber und schnellere Transportmittel"
Dem Interviewer der Neuen Westfälischen ist dieser Widerspruch bewusst, und so konfrontiert er Baas mit den negativen Folgen seines Reformvorschlages. Der TK-Chef entgegnet, aufgrund der längeren Wege „müssen wir uns überlegen, wie die Patienten zum Arzt kommen. Es könnte sinnvoller sein, in gewissen Regionen für Notfälle verstärkt Hubschrauber oder andere schnelle Transportmittel einzusetzen, anstatt ein dichtes Netz schlecht ausgestatteter, unrentabler Kliniken zu betreiben“. Das würde freilich auch die Kassen und Patienten viel Geld kosten.
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Ob eine Beschleunigung der Rettungswege realistisch ist, darf schon angesichts der mangelhaften Infrastruktur, von Baas vorab im Interview selbst angesprochen, in Zweifel gezogen werden. Zu wenig Rettungswagen treffen in vielen Gegenden auf bröckelnde Straßen und Funklöcher.