Die Welt der Assekuranz ist im Umbruch. Auch wenn das nicht an jeder Stelle und in jedem Versicherungsunternehmen so offensichtlich ist, so ist es doch ebenso wenig aufzuhalten. Der deutsche Markt an sich hat über 500 Versicherungsgesellschaften (528 im Jahr 2018). Eigentlich mehr als genug. Und betrachtet man sich Zahlen des statistischen Bundesamtes genauer und blickt etwas zurück, so waren es Anfang der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts sogar fast 1000. Dieser Zeitraum allein macht die Tendenz schon deutlich – und dieser Marktumbruch ist längst nicht abgeschlossen. Die Branche wird sich weiter bewegen, so wie es zu Beginn der industriellen Produktion noch viele Schumacher gab, gibt es zu Beginn der Digitalisierung noch jede Menge Versicherer. Auch hier wird es Spezialisten geben, die weiter ihre Nische finden, analog wie die Meister des feinen handgearbeitetem Schuhwerks. Klar ist aber auch, dass andere verschwinden werden, weil sie ein Handwerk – in unserem Fall die Versicherungsdienstleistung – anbieten, das so nicht mehr nachgefragt wird.

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Der unausweichliche digitale Weg aller Industrien

Dass diese Entwicklung stattfinden wird, hat einen einfachen Grund: Das Thema „Versicherung“ ist zu einer Industrie geworden. Die Dienstleistung des Riskotragens ist eine Commodity geworden, einer Sache also, die in Massen nachgefragt und daher auch in Massen produziert werden muss. Dennoch wird auch heute in vielen Versicherungsunternehmen noch mit der Hand am Arm gearbeitet als ob jede Versicherung ein Unikat werden müsste. Die Nachfrage nach solch einem Produkt wird aber überschätzt. Dabei ist es erschreckend, dass Antragsdaten, die vom Kunden schon größtenteils digital übertragen werden, dann auf veraltete Host-Systeme treffen, in die kein Datenimport „dunkel“ also ohne menschliches Zutun, vorgesehen ist. Das bedeutet im Klartext: Kunden schließen zwar digital und online ab, seine Daten werden aber dann manuell verarbeitet. Bei den meisten Unternehmen kommt dann nach ein paar Tagen – aktuelle Studien sprechen von ca. fünf Tagen – eine Police per Post zurück. Welche Versicherung glaubt ernsthaft daran, dass ein digital affiner Amazon Kunde sich mit solch einem Vorgang zufrieden gibt. Neue Versicherer mit digitalen Prozessen geben hier ganz klar die Benchmark vor. Zehn Minuten von der Antragsübermittlung bis zur Police sind hier keine Seltenheit. Zurzeit wird das Thema „Sofortpolice“ im Markt ganz heiß diskutiert. Hier soll es weder um Tage, Stunden oder Minuten, sondern bereits um Sekunden gehen, bis der Kunde seinen Versicherungsschutz dokumentiert und bestätigt in Form einer fertigen Police digital übermittelt auf sein Smartphone erhält.

Stephen Voss, Vorstand und Gründer der Neodigital Versicherung AG mit Sitz in Neunkirchen im Saarland.Neodigital

Wer noch in der Verfolgergruppe ist

Und an dieser Stelle trennt sich die Spreu vom Weizen. Was in der Vergangenheit in dem einen oder anderem Unternehmen durch manuelle Workarounds noch ausgeglichen werden konnte, weil der Kunde keine besseren, weil schnelleren Bearbeitungszeiten kannte, wird nun zum offensichtlichen Problem. Der Kunde will ganz einfach nicht mehr warten, er erwartet umgehende Bearbeitung seiner Themen und Anliegen – und das am besten in Echtzeit. Dabei ist es dem Kunden gar nicht mal wichtig, ob er selbst diese Änderungen in einem agilen System zum Beispiel über eine Web- oder App-Oberfläche vornimmt oder dies über eine andere Form von Kundendialog tut. Der Kunde will einfach, dass sein Anliegen sofort und abschließend erledigt wird. Da passen interne Umlaufzeiten von mehreren Tagen einfach nicht mehr zur Kundenerwartung. So einfach und so hart ist manchmal die Realität.

Man könnte meinen, dass diese Entwicklung für Versicherer nun erst einmal nicht tragisch ist, denn immerhin haben die Unternehme ja schon eine Menge Kunden in ihren Beständen, die sich nicht gerade durch agile Wechselwilligkeit auszeichnen. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. In einer immer transparenteren Gesellschaft wird durch das Angebot an automatisierten einfachen Prozessen auch der Versicherungswechsel immer einfacher. Der Kunde von heute ist es gewohnt, ja geradezu darauf getrimmt, zu vergleichen. Dazu gibt es etliche Portale und Plattformen. Und sie alle buhlen mit hohen Marketingaufwänden um den wechselwilligen Kunden. Das bedeutet ein radikales Umdenken für die Versicherer, denn sie müssen den Kunden auf einmal viel stärker und aktiver durch Leistung, Service und Agilität immer wieder aufs Neue überzeugen.

Langsamkeit ist nicht mehr tragbar

Das wird aber mit einer uralten Systemarchitektur nicht gelingen, weil an sich selbstverständliche Funktionalitäten von heute früher gar nicht Teil der Systementwicklung waren. Hier ein Beispiel: Wir können heute mal eben schnell die Bankverbindung online bequem vom Smartphone aus ändern. Das passiert häufiger, weil heute auch immer mehr Kunden ihre Hausbank wechseln. Solch ein digitaler Wechsel sollte dann natürlich sofort in Echtzeit umgesetzt und bestätigt werden – nicht erst Tage später per Post. Klingt einfach, ist aber für die allermeisten Versicherungsunternehmen aber eine geradezu unmögliche Servicesituation. Und auch vereinzelte Versuche solch ein Angebot zu schaffen, scheitern oft kläglich. Denn mit der Integration eines Textfelds in einer App ist noch lange kein digitaler Prozess erschaffen. Erst wenn die Eingabe des Kunden einen sofortigen systemischen Prozess auslöst, der im System auch sofort bearbeitet wird, darf man von einem digitalen end-to-end Prozess sprechen.

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Ändert Euch, sonst werdet ihr verändert

Alles andere davor ist nichts weiter als Augenwischerei. Und wie der Name schon sagt, lassen sich solche monolithischen Systeme nicht ohne Weiteres agil an neue Gegebenheiten anpassen. Die Versicherungsunternehmen, die diesen Absprung in die neue digitale Arbeitsweise und vor allem den Dialog mit dem Kunden, nicht verstehen und entsprechend darauf reagieren, werden mit abschmelzenden Beständen rechnen müssen. Diesem Druck, sich zu verändern, wird sich auch explizit der Vertrieb ausgesetzt sehen. Denn hier kommen zwei Probleme zusammen: Kleiner werdende Bestände und durch Überalterung der Versicherungsnehmer nachteiliger Risikoausgleich im Portfolio. Neue Kunden kommen nicht nach und somit entwickelt sich eine letztendlich für jeden Versicherer fatale Situation. Es kommt zu einer Negativselektion im Bestand, die guten Risiken wechseln und lediglich die schlechten und alten bleiben. Nur die Versicherer werden als Sieger aus dieser Marktsituation hervorgehen, die den besten Mix aus treuem Kundenstamm, neuen Produkten und somit attraktiven Angeboten haben. Hinzukommen muss ein Serviceangebot, das zwangsläufig den Anforderungen des modernen Konsumverhaltens angepasst wurde und nahtlos digital funktioniert. Alle anderen Unternehmen werden am Markt nicht bestehen können und bestenfalls stellen sie gute Übernahmekandidaten dar, weil ihre etablierte Marke noch einen gewissen Restwert hat. Gut für die, die sich frühzeitig digital transformiert haben, denn sie können Ihrem Markenportfolio interessante neuen Kandidaten hinzufügen.