Preisfrage: Gibt es eine Veranstaltung für Versicherungsmakler, die Expertengespräch, Networking, Weiterbildung und Rummelplatz miteinander verbindet? Manch Makler würde einem nun wissend mit einem Standbier zuprosten, während er zugleich versucht, mehrere Stofftüten mit Giveaways auf beiden Schultern zu balancieren und am Glücksrad zu drehen: die Branchenmesse DKM in Dortmund, wobei er vielleicht nicht auf Anhieb sagen könnte, welches Moment im Vordergrund steht. Es ist laut, es ist bunt, manchmal auch schräg. Es gibt Expertengespräche, Weiterbildungs-Veranstaltungen und die Chance, mit Vorständen smallzutalken. Und obwohl Abgesänge auf Messen im Allgemeinen (und auf diese im Speziellen) schon oft zu hören und zu lesen waren, ist es auch immer noch sehr voll und gut besucht.

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Vieles hier wirkt vertraut. Die WWK wirbt wieder mit dem FC Augsburg, wie im Vorjahr: durchaus sympathisch, ein mittelständischer Versicherer hat ein Herz für Underdogs, die Mitarbeiter tragen die grün-weißen Mannschaftstrikots des Fußballvereins. Wer im letzten Jahr beim Torwandschießen versagte, kann in diesem Jahr sich erneut versuchen. Fußbälle auch am Stand der Axa, aufgereiht in einer Art großem Glaskegel: „offizieller Versicherer des FC Liverpool“, wirbt man mit den Jungs von Jürgen Klopp, die so gar nicht Underdog sind, sondern Champions-League-Sieger. Und Tischkicker überall, an denen die Makler einander zum Duell herausfordern können. Der Makler und Fußball: eine nie empirisch erforschte Liebesbeziehung.

Vertraut auch das Werbegesicht der VHV: Til Schweiger blickt auf gelber Wand über die Messebesucher hinweg, überlebensgroß das Gesicht, ein wenig skeptisch schauend, während kompetente Barkeeper unter seinem strengen Auge wohlschmeckende Mixgetränke rühren, Gin Tonic und Wodka Cola. Schweiger blickt mit jener Miene, von der Kritiker behaupten, es sei die einzige, die er beherrsche: auch das eine Konstante. Ebenso, dass der Stand der Hannoverschen stets gut besucht ist: auch wegen der Gewinnspiele und Preise. Der Countdown an der Wand des Ausstellers zählt die Minuten herunter, bis der nächste Gewinner ausgelost wird.

Eine einzige Frau auf dem Podium?

Schnell stellt sich hier raus: Die Vermittlerbranche ist noch immer stark männlich dominiert. Das sorgt mitunter für Momente purer Fremdscham. Vor dem Messetag krabbeln Frauen auf allen Vieren auf dem Fußboden rum, in blauen Businesskostümen, bauen Stände auf und verlegen Kabel, angefeuert von ihren männlichen Kollegen, die viele gute Tipps parat haben, nur keine Hand frei, um zu helfen.

Auch die Podien und Expertenrunden sind überwiegend männlich besetzt. In der Speakers Corner sitzt an beiden Tagen eine einzige Frau auf dem Podium, wenn ich mich nicht verzählt habe: Laura Wontorra, als Moderatorin. Ansonsten viel Testosteron-Überschuss und männliche Anzugträger der Generation Friedrich Merz. Sicher, kompetente Leute mit spannenden Thesen und Vorträgen. Aber Hallo: Wird auf der Messe in allen Momenten betont, dass die Branche sich neu orientieren und umdenken müsse, steht sie hier mit einem Bein noch im Neandertal.

An dieser Stelle ein Appell an den Messeveranstalter, für ein ausgeglicheneres Podium zu sorgen. Will die Vermittlerbranche mehr Frauen für sich gewinnen, angesichts des drohenden Nachwuchsmangels ein dringendes Gebot, werden hier die falschen Signale gesendet. Die Pressesprecherin eines Versicherers, zum ersten Mal auf der Messe, schildert ihren ersten Eindruck so: „Es ist groß, es ist alt, es ist männlich!“

Apropos Männer: Bei der Vorabendveranstaltung bildet sich vor der Toilette eine lange Schlange: ausgerechnet vor dem Männerklo, während die Frauen flugs ihr Geschäft verrichten können. „Das habe ich bisher nur bei der DKM erlebt“, kommentiert ein Makler das Männerklo-Problem. Überhaupt: das Networking trägt dazu bei, dass Männer gemeinsam das Klo aufsuchen, in kleinen Grüppchen. Durch die Toilettentüre wird sich dann weiterhin über das Business unterhalten: und über die Ergebnisse der soeben stattgefundenen Champions-League-Partien. Hier wird Geschäftliches mit dem Geschäft verbunden.

Der Makler ist ein Jäger und Sammler

Was aber ist das typischste Bild für die DKM? Spötter könnten anmerken: Auf einer solchen Messe verwandelt sich die Versicherungsbranche in eine Beutelwirtschaft. Große bunte Tüten werden von schwitzenden Männern und Frauen durch die Hallen getragen, prall gefüllt mit den immerselben Giveaways: Kugelschreiber, Haribo-Gummibärchen, Flaschenöffner, Fachmagazine, noch mehr Kugelschreiber, Lindt-Schokoladen-Täfelchen, Brillenputztücher, Schweißtücher, noch mehr Kugelschreiber, Kugelschreiber, kleine Prosecco-Fläschchen und übrigens Kugelschreiber. Eine These:

Würden sich alle Besucher vor der Halle versammeln und ihre Taschen gemeinsam auskippen, man könnte wohl die längste Kugelschreiberkette der Welt bilden, garantiert Guiness-Buch-verdächtig: Sie würde wohl zweimal um den Erdball reichen. Man fragt sich, wer heute überhaupt noch mit Kugelschreibern arbeitet: ein Antistatement gegen die fortschreitende Digitalisierung? Kann nicht sein: Viele Makler, so erfahre ich in den Gesprächen, arbeiten mittlerweile digital: Sie beraten Kunden zum Beispiel per Skype oder Whatsapp.

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Fest steht: Auf Messen werden selbst die klügsten und vernünftigsten Makler zu Jägern und Sammlern, als würde irgendwo ein Schalter im Hirn umgelegt, und wenn sie dann nach Hause kommen, ihre vielen Taschen leeren, kann man sich die verwunderten Gesichter vorstellen: Was ist passiert? Wo habe ich die Kontrolle verloren? Wo verwandelte ich mich in einen Sammel-Hulk? Wohin mit all dem Plastik-Müll? Ein Entschuldigungsschreiben an Greta Thunberg wäre wohl angemessen.

Nachhaltigkeit: Die Alte Leipziger macht jetzt auch in Bienen

Doch das Thema Nachhaltigkeit ist bei den Versicherern angekommen. Frank Kettnaker, Vorstand der Alte Leipziger, erzählt, dass der Versicherer an seiner Firmenzentrale in Oberursel Bienenstöcke aufgestellt hat und nun die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter imkern: mit Symbolwirkung für Schulen und Kindergärten der Stadt. Nicht nur das. Auch auf der Messe achte man auf nachhaltige Kriterien, wenn auch mit kleinen Schritten: So würden etwa die Kugelschreiber nicht mehr in Asien hergestellt, sondern von lokalen Produzenten, sie müssen also nicht mehr mit dem Flugzeug gebracht werden.

Abseits der Messe verzichte die Alte Leipziger aber mittlerweile in Giveaways und investiere das Geld anders, berichtet Kettnaker weiter: das heißt, keine Kulis, T-Shirts, Cappies und Plastikartikel mehr. Fans der Alten Leipziger werden sich derartige Merch-Artikel künftig selbst anfertigen müssen. Auch beim Thema Geldanlage richte man das Portfolio zunehmend an nachhaltigen Kriterien aus: bei der Menge an verschieden Anlagen, viele langfristig laufend, sei das aber ein Prozess, der Jahre beanspruche. Es wird sich zeigen müssen, wie ernst die Versicherer das Thema Nachhaltigkeit tatsächlich nehmen.

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Die wichtigste Vorsorge

Zum Abschluss des ersten Messetages treffen sich Dieter Hallervorden und der frühere Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) in der Speakers Corner zu einem persönlichen Gespräch über Pflegevorsorge. Der eine, Grand Seigneur der deutschen Humoristen, ist über 80 Jahre alt und Pflegebotschafter der Allianz. Der andere, Anfang 42 und Vater dreier kleiner Töchter, wurde vor wenigen Monaten mit einer Krebsdiagnose konfrontiert. Ein Highlight des ersten Tages: Das Gespräch zeigt, dass man sich auf sehr witzige und charmante Weise über ernste Themen unterhalten kann.

Daniel Bahr erklärt zum Beispiel, weshalb er die Prognose, er habe eine sehr gute Heilungschance von circa 90 Prozent, zunächst als wenig beruhigend empfand. "Ich erklärte daraufhin meinem Arzt, dass ich laut Wahlprognosen auch zu den potentiell zehn Prozent FDP-Wählern zähle". Und Dieter Hallervorden antwortete auf die Frage, was die wichtigste Pflegevorsorge sei: "Die wichtigste Vorsorge ist, dass man das Leben genießt. Es wird einem viel versprochen für das Leben nach dem Tod, aber solange man sich da nicht so sicher sein kann, würde ich erst einmal dieses Leben genießen!" Das kann man ja erst einmal so stehen lassen: Und sich am nächsten Messestand noch einen kostenlosen Drink holen.

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