Thomas-Cook-Pleite: Bundesregierung und Versicherer streiten über Entschädigung
Die Bundesregierung und der Versicherer Zurich streiten über die Frage, in welchem Umfang Kundinnen und Kunden des insolventen Reiseanbieters entschädigt werden müssen. Dabei geht es um den gesetzlichen Deckel der Insolvenzversicherung von 110 Millionen Euro: Die Regierung stellt ihn infrage und will, dass der Versicherer mehr auszahlt. Die Zurich sieht darin hingegen eine „absurde Interpretation des Gesetzes“.
Nach der Insolvenz des Pauschalreise-Anbieters Thomas Cook streiten sich Bundesregierung und der Versicherer Zurich über die Höhe der Entschädigung. Das berichtet die „Welt“ in ihrer Ausgabe vom Montag. Konkret geht es hierbei um die Frage, in welchem Umfang der gesetzliche Deckel der Insolvenzversicherung anzuwenden ist.
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Maximal 110 Millionen Euro — inklusive Rückholungen?
Grundlage für die Insolvenzversicherung, die Reisende vor der Pleite eines Reiseanbieters schützen soll, ist § 651r des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Dort ist festgeschrieben, dass ein Versicherer die maximale Haftung pro Kalenderjahr auf 110 Millionen Euro begrenzen darf. Wenn diese Summe nicht ausreicht, so verringern sich die Ansprüche des Einzelnen: Er bekommt nur einen Teil ausgezahlt.
Der Streit zwischen Bundesregierung und Zurich entbrennt nun darüber, ob auch die Kosten für die Rückholung gestrandeter Urlauber unter diesen Deckel fallen. Rund 140.000 Touristen, die bei der deutschen Thomas Cook oder einer Konzerntochter eine Reise gebucht hatten, saßen laut Deutscher Presse-Agentur (dpa) plötzlich im Ausland fest und mussten zurückgeholt werden. Sie waren die ersten, die Geld vom Versicherer erhalten sollten.
Das Justiz- und Verbraucherschutzministerium erklärt gegenüber der „Welt“, die rechtlich vorgesehene Begrenzungsmöglichkeit der Haftung auf 110 Millionen Euro beziehe sich „nur auf Kostenerstattungsansprüche, nicht auf die unmittelbar vom Versicherer zu tragenden Kosten der Rückbeförderung“. Soll heißen, die Rückhol-Aktionen sollen zusätzlich zu dem Deckel vergütet werden. Dann wäre deutlich mehr Geld im Topf, um die Urlauber zu entschädigen. Das aber wertet die Zurich erwartungsgemäß anders. Sie sieht darin laut Bericht eine „absurde Interpretation des Gesetzes“.
Rückholaktionen fressen Großteil der Schadenssumme auf
Warum diese Debatte brisant ist, zeigen die Kosten für die Rückholung gestrandeter Urlauber. Allein diese Aktionen verschlingen 80 Millionen Euro, schätzt der Tourismus-Ausschuss des Bundestages. Das heißt: drei von vier Euro der maximalen Schadenssumme wären schon allein durch die Rückholaktionen weg. Im Topf blieben ganze 30 Millionen, um Ansprüche von rund 420 Millionen Euro zu erstatten: fast nichts.
Eine schlechte Nachricht wäre das vor allem für jene Urlauberinnen und Urlauber, die eine Pauschalreise bei Thomas Cook vorab bezahlt oder zumindest angezahlt haben. Sie werden wohl auf einem Großteil der Kosten sitzen bleiben. Als Thomas Cook Ende September Insolvenz beantragen musste, bestanden zu diesem Zeitpunkt laut „Bild am Sonntag“ 660.000 Buchungen im Wert von rund 500 Millionen Euro. Bernd Engelien, Sprecher der Zurich, hatte bereits gegenüber dpa gewarnt, dass die Erstattungssumme bei weitem nicht ausreichen werde, um die Kunden angemessen zu entschädigen.
Grundsätzlich aber stellt sich die Frage, weshalb die Schadenssumme für Insolvenzversicherungen in Deutschland überhaupt gedeckelt ist: in vielen anderen europäischen Staaten ist das nicht der Fall. Das nährt den Verdacht, der Gesetzgeber wolle mit seinem Vorstoß gegen die Zurich auch von eigenen Fehlern ablenken: demnach wäre die festgeschriebene Haftung für Pauschalanbieter schlicht zu niedrig.
Tourismus-Ausschuss schmettert höhere Schadenssumme ab
Doch ändern wird sich daran vorerst nichts. Im Tourismus-Ausschuss des Bundestages hatten am Mittwoch Linke und Grüne gefordert, die Summe auf 300 Millionen Euro anzuheben, berichtet "Welt". Dieser Vorstoß sei jedoch von den anderen Parteien abgeschmettert worden. Die Begründung: Damit würden sich Pauschalreisen verteuern und gerade kleine sowie mittelständische Reiseanbieter überfordert sein.
Die Bundesregierung wollte schon vor drei Jahren ein Gutachten vorlegen, ob die Haftungssumme für Pauschalreisen überhaupt angemessen ist - passiert ist bisher nichts. Und damit stellt sich die Frage, ob die Betroffenen vielleicht auf eine Entschädigung durch Steuergelder hoffen können. Das wäre dann der Fall, wenn der Bundesregierung nachgewiesen werden kann, dass sie die zugrundeliegende EU-Richtlinie für Insolvenzschutz ungenügend in deutsches Recht übersetzt hat. Besagte Richtlinie müsse „wirksam“ sein und zwar auch "in jedem vorhersehbaren, nicht gänzlich unwahrscheinlichen Einzelfall", berichtet Rechtsanwalt Alexander Hufschmid von der gleichnamigen Kanzlei in einem Beitrag für anwalt.de. Und weiter: Bereit 2016 habe der Bundesrat gewarnt, dass der Deckel zu niedrig sei.
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Unterstützung erhalten die Geschädigten vom Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv). Der Dachverband der Verbraucherzentralen hat sich laut "Manager Magazin" mit einem Schreiben an Finanzminister Olaf Scholz (SPD) gewendet. Darin heißt es, Scholz solle "entsprechende Finanzmittel im Haushalt zurückstellen und somit für eine vollständige Entschädigung der Thomas-Cook-Kunden sorgen".