Pflegekosten: Das unterschätzte Armutsrisiko

Altersarmut droht nicht nur aufgrund drastischer Vorsorgelücken, da die umlagefinanzierte gesetzliche Rentenversicherung in den Taumel des demografischen Wandels gerät (der Versicherungsbote berichtete). Ein weiteres und von vielen Deutschen oft unterschätztes Problem sind Pflegekosten aufgrund des Eigenanteils für einen vollstationären Pflegeplatz. Diese Kosten können zu einer großen Last für die Pflegebedürftigen selbst werden. Sie bedrohen aufgrund des so genannten Elternunterhalts aber auch leibliche Kinder der Pflegebedürftigen (der Versicherungsbote berichtete).

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Bentele kritisiert „horrende Preise“

VdK-Chefin Verena Benteleverena-bentele.comWeil Eigenanteile für die stationäre Pflege aber aktuell stark ansteigen und außerdem ein weiterer Preissprung für die Zukunft prognostiziert wird, wendet sich nun Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK, in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Rundschau an die Öffentlichkeit. Denn schon jetzt würden „horrende Preise“ Pflegebedürftige in die Altersarmut stürzen. Die Funktionärin des Sozialverbands fordert aus diesem Grund die Einführung einer Bürgervollversicherung für die stationäre Pflege.

Knackpunkt von Benteles Forderungen sind steigende Kosten durch die "Teilkaskoversicherung Pflege". Keineswegs nämlich deckt die Pflegeversicherung alle Leistungen für Pflegebedürftige ab. Stattdessen wurde schon mit Einführung dieser zusätzlichen Säule der gesetzlichen Sozialversicherung in 1995 durch das Pflege-Versicherungsgesetz (PflegeVG) stets der ergänzende Charakter der Pflegeversicherung herausgestellt. Der zu leistende Eigenanteil jedoch wird immer mehr zum Problem für breite Kreise einer konstant alternden Gesellschaft.

Die Lösung aus Benteles Sicht: Pflege-Vollkasko

Die VdK-Chefin erinnert in ihrem Beitrag daran, dass schon aktuell im Schnitt „mehr als 1.900 Euro pro Monat für einen Platz im Pflegeheim fällig werden“. Dabei entfielen rund 660 Euro auf den einrichtungseinheitlichen Eigenanteil (EEE), der den Teil der Pflegeleistungen angibt, den die Pflegebedürftigen selbst finanzieren müssen, weitere 800 Euro auf die Entgelte für Unterkunft und Verpflegung sowie gut 400 Euro auf den nicht öffentlich geförderten Teil der Investitionskosten, der gesondert berechnet wird.

Die Heimkosten für Betroffene legen aber weiter zu. Anfang 2018 mussten noch durchschnittlich 1.751 Euro für einen stationären Platz gezahlt werden und damit fast 150 Euro weniger (der Versicherungsbote berichtete). Bei solchen Zahlen verwundere es nicht, dass „rund ein Drittel aller Pflegeheimbewohner Sozialhilfe beziehen.“ Der „dramatische Anstieg der Eigenanteile“ aber kann aus Sicht der VdK-Chefin nur gestoppt werden durch „Umwandelung der Pflegeversicherung in eine Pflegevollversicherung, die alle pflegebedingten Kosten abdeckt.“

Private Pflegeversicherung würde bei Umsetzung des Vorschlags wegfallen

Wie dies geschehen soll, erläutert Bentele durch Verweis auf eine aktuelle Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Im Auftrag der Stiftung hatte der Bremer Gesund­heitsökonom Heinz Rothgang errechnet, wie Beitragssätze in der Pflegeversicherung sich entwickeln würden, würde man das Konzept einer so genannten „Bürgervollversicherung“ umsetzen.

Der Begriff „Vollversicherung“ bezieht sich hierbei auf die Leistungsseite – alle Leistungen zur Pflege sollen abgedeckt sein. Der Begriff „Bürgerversicherung“ bezieht sich auf die Finanzierungsseite und das Zusammenführen der privaten und der gesetzlichen Versicherung: Alle Bürger sollen in eine Pflegeversicherung einzahlen. Das bedeutet: Einzahlen müssten auch Beamte und Selbständige.

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Eine Forderung, die auch die VdK-Chefin explizit erhebt. Dahinter freilich verbirgt sich ein für die Versicherungsbranche durchaus heikles Konzept. Denn würde der Vorschlag nach Vorstellung Benteles umgesetzt, würde zugleich die zweite Säule der Pflegeversicherung wegfallen – die private Pflegepflichtversicherung. Die Branche würde ein wichtiges Marktsegment der privaten Versicherungswirtschaft verlieren.

Bürgervollversicherung: Nur 65 Euro zusätzlich im Jahr

Dass der Vorschlag aber zumindest mit Blick auf die Beitragshöhe umsetzbar wäre, zeigte Ökonom Rothgang durch Berechnungen, auf die nun auch die VdK-Chefin in ihrem Gastbeitrag referiert. Denn die Beiträge für eine Bürgervollversicherung würden laut Bentele „niemanden überfordern – anders als die aktuellen Pflegekosten, die ein enormes Armutsrisiko bergen“. Müssten doch aktuell gesetzlich Versicherte „für eine Voll-Absicherung im stationären Bereich durchschnittlich gut fünf Euro im Monat mehr bezahlen, im Jahr rund 65 Euro“. Der zusätzliche Beitrag der Arbeitgeber wäre „mit durchschnittlich 25 Euro im Jahr“ sogar noch geringer.

Solche geringen Beitragserhöhungen bilden in der Argumentation der VdK-Chefin einen wirkungsvollen Kontrast zur enormen Höhe der Eigenanteile von mehr als 1.900 Euro im Monat. Zumal die Eigenanteile je nach Bundesland stark variieren können durch verschieden hohe Kosten für das Personal. So beträgt der durchschnittliche Eigenanteil in Nordrhein-Westfalen sogar bereits jetzt 2.337 Euro im Monat (der Versicherungsbote berichtete).

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Zu bedenken ist aber, dass sich die Kosten fürs Pflegeheim, wie bereits erläutert, aus den reinen Pflegeaufwendungen + Unterbringung + Essen + Investitionen zusammensetzen. Es geht aus Benteles Kommentar nicht eindeutig hervor, ob bloß die "reinen" Pflegekosten durch die Bürgervollversicherung komplett abgedeckt sein sollen oder sämtliche Aufwendungen für den Pflegeheim-Platz.

Bürgerversicherung in der Pflege: Befürworter sehen sich im Aufwind

Wie realistisch aber sind Forderungen nach einer Vollversicherung, in der gesetzliche und private Pflegevorsorge nicht mehr nebeneinander bestehen? Festzustellen ist: Die Böckler-Studie hat den Befürwortern einer solchen Versicherung neuen Aufwind verliehen. Besonders deutlich wird dies an einem Beschluss des SPD-Parteivorstands in Berlin vom letzten Monat (der Versicherungsbote berichtete). Demnach steht Bentele mit ihrem Vorschlag keineswegs allein da – er ist mittlerweile Teil des SPD-Parteiprogramms.

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Steigende Eigenanteile: Auch die DAK warnt

Dass steigende Eigenanteile für die stationäre Pflege jedoch nicht mehr nur durch Sozialdemokraten und Sozialverbände als Problem betrachtet werden, zeigt eine weitere Forderung – vorgebracht von Andreas Storm, Vorstandschef der DAK Gesundheit. Storm forderte eine Deckelung des einrichtungseinheitlichen Eigenanteils (EEE) in der Pflege bei maximal 450 Euro. Könne doch die Pflegeversicherung „ihr Versprechen, das Armutsrisiko bei Pflegebedürftigkeit zu begrenzen, in der Zukunft nicht mehr einlösen“, wie Storm formulierte. Anlass für diesen Appell waren Ergebnisse des aktuellen DAK-Pflegereports (der Versicherungsbote berichtete).

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