Big Data, KI & Machine Learning – Die kritische Masse innovativer Technologien
Das Konsumverhalten und auch die Serviceerwartungen haben sich stark verändert. "Geschwindigkeit, jederzeit verfügbare Informationen über den Prozess-Status und Kommunikation in Echtzeit haben unsere Gesellschaft verändert und sie verändern auch die Form, wie Versicherung genutzt wird.", sagt Stephen Voss. Warum die Kalkulation von Tarifen eher einem Schuss mit der Schrotflinte als der Arbeit eines Präzisionsschützen entspricht, erklärt der Vorstand des digitalen Versicherers Neodigital in einem Kommentar für den Versicherungsboten.
In den Medien liest man ständig von neuen Innovationen, disruptiven Technologien und in der Politik wird ebenfalls überall von der Zukunft durch die Digitalisierung gesprochen. Mit weitreichenden Auswirkungen auf die Versicherung der Zukunft.
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Wobei „Zukunft“ widersprüchlich ist. Was der Branche und Versicherungsnehmern oft gar nicht bewusst ist, ist dass diese Zukunft eigentlich längst begonnen hat. Dort, wo innovative Technologie einen wirtschaftlichen Erfolg verspricht, setzt sie sich bereits durch. Beispiel Konsumgüterbereich: Dort, wo angeboten und verkauft wird, können Technologie und intelligente Algorithmen den Kunden lenken. Seit einigen Jahren schon verfolgen Algorithmen unser Einkaufsverhalten, merken sich welche Seiten wir im Internet besucht haben und blenden uns dann, passend zu unserem Interessensgebieten, maßgeschneiderte Werbung ein oder empfehlen uns nach einem Kauf ein weiteres, passendes Produkt. Es ist absolut kein Zufall, dass uns das Newsportal Werbung zu Wanderschuhen einblendet, obwohl wir vor einigen Tagen nur kurz online nach Wanderrouten in Engadin gesucht hat. Das ist bereits Alltag.
Von einem solchen Vorgehen sind Versicherungen noch weit weg? Weit gefehlt. Schon heute verknüpfen Online-Plattformen persönliche Nutzerdaten mit entsprechenden Produktempfehlungen - auch Versicherungsprodukte gehören dazu. Manche sind offensichtlich, wie bspw. eine Reisegepäckversicherung. Manche eher nicht, so ist eine Garantieverlängerung, die man zu Smartphones oder Elektronikgeräten hinzubuchen kann, eigentlich eine Versicherung und kein Produktfeature des Herstellers.
Das sind aber nur die ersten Schritte von Versicherungen bei der Auswertung von Kauf- und Konsumverhalten und dem Einsatz von Algorithmen, Prozessen oder Big Data. Spannend wird es künftig beim Thema Beratung. Ähnlich zum in der Industrie bekannten CAD, Computer Added Design, wird es in der Versicherung CAA geben, Computer Added Advice. Die Beratung wird von der Technik unterstützt. Und damit sind nicht Tablet und papierlose Unterschrift gemeint - das gibt es heute schon. Vielmehr ist gemeint, dass „Kollege Computer“ schneller und präziser Versicherungsordner durchforsten und analysieren kann. Dadurch können Vorschläge zur Verbesserung des Versicherungsportfolios gemacht werden Das Stichwort lautet hier „Roboadvice“. Aufgrund des Risikoprofils empfiehlt der Algorithmus, bestimmte Versicherungen zu verändern weitere abzuschließen und andere zu kündigen oder umzudecken. Genauso wie es ein Vermittler tun würde. Der wird durch Roboadvice auch nicht aus dem Geschäft gedrängt, sondern vielmehr selbst solche Tools einsetzen, um trotz seiner eigenen begrenzten Ressourcen immer 24/7 für den Kunden verfügbar zu sein. Anderswären auch die immer steigenden Serviceerwartungen der Kunden kaum zu befriedigen. Das alte Modell „Kunde hat eine Frage – Vermittler fährt zum Kunden“ ist weder ökologisch noch ökonomisch lange aufrecht zu halten.
Der Schuss mit der Schrotflinte
Mit Algorithmen werden also der Service und das Angebot verbessert, kommt Big Data dann noch ins Spiel wird das Produkt im Kern noch einmal auf ein höheres Level gehoben. Der Grund dafür ist denkbar einfach: Ein Versicherungsprodukt ist nur so gut wie die Annahmen, die der Aktuar in seiner Kalkulation aufgrund historischer Schadendaten und Risikodreiecken getroffen hat. Die Daten sind Marktdaten oder aus dem eigenen Bestand. Mit anderen Worten, die Kalkulation entspricht eher einem Schuss mit der Schrotflinte als der Arbeit eines Präzisionsschützen. Deswegen arbeiten Aktuare jahrelang an der Optimierung von Tarifen. Setzt man nun aber Big Data richtig ein und werden die tatsächlichen Schadenbedarfswerte (also das, was für Schäden bezahlt wird) mit dem jeweiligen Leistungsbaustein der Versicherung verknüpft, verkürzt sich der Zeitraum für die Optimierung drastisch. Mit der Schätzung der Aufwände durch die Verknüpfung historischer Daten mit den neuen Informationen aus dem aktuellen Bestand ergeben sich ganz neue Möglichkeiten des Risikomanagements. Versicherer können so nun erkennen, ob seine Annahme für eine bestimmte Leistung einen Preis X zu nehmen richtig oder falsch ist. Fallen die tatsächlichen Schäden niedriger aus kann das Produkt an dieser Stelle günstiger werden und für den Kunden damit attraktiver. Oder man erweitert den Deckungsumfang, also erhöht die Leistung und der Preis bleibt gleich. Der vom Kunden gezahlte Preis wird mit der Nutzung von Big Data also risikogerechter. Wer meint das ginge auch in die Gegenrichtung, also teurer, hat aber auch recht. Man muss aber bedenken, dass Versicherungen auch immer ein Ausgleich im Kollektiv sind. Das heißt, zahlt der Eine zu wenig für eine Leistung, legt der Andere drauf. Das ist weder fair noch gut für den Gesamtpreis, denn der orientiert sich an allen Versicherten.
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Auch im Kern der Versicherung hält KI Einzug in die Prozesse und dient so wieder auch dem Kunden. Wurden und werden Versicherungsanträge durch personalintensives Underwriting, also der Risikoprüfung durch geschultes Fachpersonal, verarbeitet, kann an dieser Stelle schon heute durch die KI unterstützen. Der Antrag, der beispielsweise nachts über ein Versicherungsportal durch den Kunden abgeschlossen wird, muss schon heute nicht mehr bis zum nächsten Tag warten bis ein Mitarbeiter den Antrag prüft. Das übernimmt eine stets verfügbare, regelbasierte KI. Sie nimmt die Angaben des Kunden, die ihr durch das Portal bereits strukturiert und digital übermittelt wurden, entgegen. Die KI prüft dann in Echtzeit aufgrund der vom Kunden vorliegenden Risikoinformationen regelbasiert, ob das angegebene Risiko entlang der Zeichnungsregeln des Versicherers überhaupt versicherbar ist und kontrahiert, bzw. bestätigt den Vertrag. Der Kunde merkt davon nichts, denn nach nur wenigen Minuten erhält er eine fertige Police – der Versicherungsschutz wird so digital zugestellt. Vor einigen Jahren war es noch nicht von großer Bedeutung, ob die Policierung einen Tag oder zwei Tage dauert. Wir waren als Kunde gewöhnt auf einem Papierantrag unsere Unterschrift zu setzen, die dann unser Vermittler dem Versicherer per Post gesendet hat. Heute haben sich aber sowohl unser Konsumverhalten als auch unsere Serviceerwartungen stark verändert. Geschwindigkeit, jederzeit verfügbare Informationen über den Prozess-Status und Kommunikation in Echtzeit haben unsere Gesellschaft verändert und sie verändern auch die Form, wie Versicherung genutzt wird. Die Frage, wann die kritische Masse an Technologie erreicht ist kann beantwortet werden. Sie ist schon da. Und sie wird genutzt. Versicherungen müssen verstehen, dass die Digitalisierung kein Thema für die Zukunft ist, sondern die Zukunft schon längst angefangen hat. Umso wichtiger ist es, sich schnell mit den technologischen Möglichkeiten auseinanderzusetzen und diese sinnvoll zu integrieren.