Behandlungsfehler sorgt für Rekord-Schmerzensgeld und könnte Versicherer wachrütteln
Das Landgericht Gießen hat das Uniklinikum Gießen zu 800.000 Euro Schmerzensgeld verurteilt. Obwohl das Urteil (Az.: 5 O 376/18) noch nicht rechtskräftig ist, lobt der Anwalt der Betroffenen die Signalwirkung der Entscheidung – und geht zugleich hart mit den Haftpflichtversicherern der Krankenhäuser ins Gericht.
- Behandlungsfehler sorgt für Rekord-Schmerzensgeld und könnte Versicherer wachrütteln
- Urteil mit Signalwirkung
Schwerste Folgen durch Überredung der Ärzte
Eine harmlose Sportverletzung, wie sie keine Seltenheit ist, wurde in 2013 für einen jungen Mann und seine Familie zum Albtraum. Der 17-jährige Fussballspieler hatte sich beim Spiel einen Riss in der Nase zugezogen. Aus diesem Grund fuhr der trainierte Sportler mit seiner Mutter ins Universitätsklinikum Gießen. Obwohl der Eingriff keinesfalls dringend geboten schien, überredete der behandelnde Arzt Mutter und Kind zu einer Operation. Nur 15 Minuten sollte der Routineeingriff dauern. Seit dem Eingriff jedoch ist der Mann schwerstpflegebedürftig.
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Denn es geschah, was eigentlich nie hätte geschehen dürfen: Falsch gesteckte Schläuche am Beatmungsgerät führten bei der Operation zur Katastrophe. Es kam während des Eingriffs zur Sauerstoff-Unterversorgung, der junge Mann erlitt irreversible Hirnschäden. Über 20 Minuten dauerte die Unterversorgung des Gehirns mit Sauerstoff – eigentlich unvorstellbar, dass in einer modernen Klinik so etwas geschieht.
Für den Rest seinen Lebens ein Pflegefall, wird der ehemalige Sportler deswegen vermutlich „blind, taub und gelähmt bleiben“ und „hinter einer dunklen Scheibe“ noch „Jahrzehnte Dunkelheit und starke Schmerzen ertragen“ müssen, wie der Anwalt der betroffenen Familie, Burkhard Kirchhoff, auf seiner Webseite informiert. Zudem kann der junge Mann nur über eine Magensonde ernährt werden. Gefesselt an medizinische Geräte, hat der Mann durch die Hirnschäden einen Großteil seiner Persönlichkeit eingebüßt.
Urteil mit Signalwirkung
Klinik hätte Fehler vermeiden müssen
Aufgrund des schweren Fehlers wurde der Familie nun durch das Landgericht (LG) Gießen, mit Urteil vom 06.11.2019, ein historisch hohes Schmerzensgeld zugesprochen. Demnach muss die Versicherung der Uniklinik an den Mann 800.000 Euro zahlen und zusätzlich die Behandlungskosten des Mannes tragen. Darüber informieren aktuell Frankfurter Rundschau sowie die Hessenschau.
Hätte es sich doch um einen Vorgang gehandelt, „den ein Krankenhaus vermeiden muss“. Die Gewährung technischer Voraussetzungen für eine sachgemäße und gefahrlose Behandlung gehöre laut Gießener Kammer zu den voll beherrschbaren Nebenpflichten des Klinikträgers. Gefahren in diesem Bereich müssen von der Klinik ausgeschlossen werden. Anwalt Kirchhoff informiert hierzu über seine Webseite: Die Höhe des Schmerzensgeldes begründet sich demnach auch aus dem Grad des Verschuldens des Universitätsklinikums.
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Urteil mit Signalwirkung
Aus Sicht des Anwalts ist das Urteil ein wichtiges Signal sowohl für Krankenhäuser als auch für Patienten. Das führt der Anwalt im Interview mit der Hessenschau aus. Wären doch Kliniken nun noch mehr dazu angehalten, die Sicherheit ihrer Patienten zu garantieren. Zwar würde es da, wo Menschen mit komplizierter Technik im Einsatz sind, immer Fehler geben – diese wären nicht zu 100 Prozent vermeidbar. Jedoch gäbe es in vielen Kliniken bei der Sicherheit Verbesserungsbedarf.
In diesem Kontext kritisierte der Anwalt, dass es für Patienten keine objektiv überprüfbaren Qualitätskriterien über Krankenhäuser gäbe. Zwar könne man oft Hinweise zu Krankenhäusern im Internet finden. Letztendlich aber wäre es als Patient schwierig, zu beurteilen, welche Krankenhäuser sicher sind und welche nicht. So bleibe letztendlich nichts anderes übrig, als darauf zu vertrauen, dass man in einer guten und sicheren Klinik landet.
Anwalt kritisiert Zermürbungstaktik der Versicherer
Besonders hart in die Kritik ging Anwalt Kirchhoff mit dem Haftpflichtversicherer des Krankenhauses und seinem "zögerlichen Regulierungsverhalten". Dieses wäre eine "Unverschämtheit" gewesen. Auch das Gericht hätte dieses Verhalten des Versicherers kritisiert – es wäre "in Anbetracht der gravierenden Schädigung des Klägers völlig unzureichend" gewesen, zitiert der Anwalt aus den Urteilsgründen. So hätte der Versicherer zunächst die geringe Summe von nur 50.000 Euro gezahlt. Erst nach und nach wären weitere Geldbeträge geflossen – teils ohne Zustimmung der Kanzlei oder der betroffenen Familie zu einem Vergleich; zudem noch immer im unzureichenden Maße. Dieses Verhalten führte letztendlich auch zur Klage.
Die zögerliche Regulierung hat laut Aussage des Anwalts gegenüber der Hessenschau auch zur Erhöhung des Schmerzensgeldes geführt. Und auch darin sieht der Anwalt ein wichtiges Signal: In Zukunft kann sich eine verzögernde "Regulierungstaktik", wie sie das Anwaltsbüro bezeichnet, zum Nachteil eines Versicherers auswirken. Denn mit einer solchen Taktik riskiert der Versicherer nun, höhere Schadensummen für den Behandlungsfehler des Krankenhauses zu zahlen. "Es war höchste Zeit und ist ein deutliches Signal an die Versicherer, dass die Summen nach solchen Behandlungsfehlern nach oben angepasst werden.", zeigte sich Kirchhoff zufrieden mit dem Urteil des Landgerichts.
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Denn das Verhalten des Versicherers ist laut Anwalt keineswegs ein Einzelfall: Immer wieder würden er und seine Kanzlei erleben, dass Regulierungsbestrebungen bei sogenannten "Groß-Körperschäden" hinausgezögert werden und dass durch Versicherer regelrecht eine Zermürbungs-Taktik zu Lasten der Patienten angewendet würde. Dem hätte das Gericht nun aber eine klare Absage erteilt. Da beide Parteien binnen eines Monats Berufung einlegen können, ist das Urteil noch nicht rechtskräftig.
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