Allianz-Chef Oliver Bäte hat seinem Konzern einen radikalen Reformkurs verordnet — schneller, einfacher und digitaler soll Europas größter Versicherer werden. Kein Supertanker mehr, der schwer auf dem Weltmarkt zu manövrieren ist, sondern eher wendiges Schnellboot. Diesem Ziel könnte nun ausgerechnet die mächtige Tochter auf dem Heimatmarkt zum Opfer fallen. Laut einem Bericht des „Manager Magazins“ (Donnerstag) will Bäte die Allianz Deutschland AG zerschlagen und in den Mutterkonzern integrieren — das Magazin beruft sich auf Unternehmenskreise. Die Allianz wollte den Bericht nicht kommentieren.

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Laut "Manager Magazin" könnte die Zerschlagung schon im kommenden Jahr über die Bühne gehen. Es wäre aber nicht das erste Mal, dass sich spektakuläre Meldungen aus dem Betriebsraum des Versicherers als Gerücht entpuppen. Bereits 2016 berichtete die "Süddeutsche Zeitung" ebenfalls aus Unternehmenskreisen, Oliver Bäte wolle hochverzinste Altverträge der Leben-Tochter in den Run-off überführen oder gar an einen externen Dienstleister verkaufen. Eingetreten ist dies nicht.

Einfach, schnell und schlank

Verwunderlich wäre der Vorstoß insofern nicht, weil Bäte wiederholt die Komplexität im Konzern beklagt hat — das betrifft neben den Produkten auch die Struktur. Viele Landesgesellschaften agieren nebeneinander, oft mit eigenen Policen, eigener Verwaltung, eigener Schadenabwicklung: und eigenen Vorständen. Der Allianz-Chef hat aber anderes im Sinn. Er will möglichst einheitliche und standardisierte Produkte verkaufen: europa-, wenn nicht gar weltweit.

So verweist das „Handelsblatt“ am Donnerstag auf ein letztjähriges Interview mit Bäte. Er habe schon 2016 anhand dreier Landestöchter testen lassen, inwiefern die Produkte in ihren Regionen vergleichbar seien. „Heraus kam, dass das bei 85 Prozent der Fall ist. Unsere Aktuare kamen dagegen nur auf 50 Prozent“, wird Bäte zitiert. In manchen Bereichen seien gar 90 Prozent Gemeinsamkeiten gemessen worden — „Das Ergebnis ist, dass wir künftig in Europa das Produktdesign einheitlich gestalten“, kündigte er an.

Ziel dieser Strategie ist auch, Versicherungen stärker vom Kunden her zu denken. Die Verträge sollen einfacher und verständlicher werden, auch digital per App abschließbar. Die Vorbilder hierfür stammen nicht nur aus der Versicherungsbranche. Den Serienkanal Netflix hatte Bäte unter anderem als vorbildlich genannt: dieser bietet drei Abo-Modelle an. Darüber hinaus Firmen wie Google, Amazon und Apple. Konzerne mit dem Ruf, schlanke Hierarchien zu haben und wenig Ballast mit sich herumzutragen. „Einfachheit gewinnt!“, lautete folglich der Vortrag des Allianz-Chefs beim Investorentag 2018.

Digitaloffensive und neuer Direktversicherer

Die Lehrsätze des „Simplicity wins!“ wiederholt Bäte bei seinen Vorträgen und Interviews fast mantraartig. “Wir arbeiten an vielen Stellen viel zu komplex. Die Straußeneier des Wettbewerbs sind Produktivität, Einfachheit und Innovation“, sagte er bei einer anderen Rede in München. Und: „Wir brauchen den Mut, Dinge abzuschalten!“

Dass hinter dieser Strategie teils sehr komplexe Prozesse stehen, man auch neue Strukturen auf- statt abbauen muss, wird erst beim zweiten Blick deutlich. Die Allianz sucht sich weltweit neue Partner wie etwa den chinesischen Netzkonzern JD.com oder den Automobilklub ADAC. Zudem pumpt sie mehr als eine Milliarde Euro in Start-ups. Sogar als Softwareanbieter werden die Münchener tätig: gemeinsam mit Microsoft will man das hauseigene Softwaresystem ABS auch anderen Versicherern anbieten.

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Ein wichtiger Baustein der Offensive: der neue Direktversicherer AllianzDirect. Er soll als Testlabor für europaweit einheitliche Versicherungstarife dienen und ist mit viel Tamtam im letzten Monat gestartet. Auffallend ist, dass er nicht bei der Allianz Deutschland AG angesiedelt ist, sondern beim Mutterkonzern: eine Folge freilich auch der internationalen Ausrichtung. Zunächst soll der frisch geschlüpfte Versicherer in Deutschland und den Niederlanden Verträge verkaufen, ab kommendem Jahr auch in Spanien und Italien.

Bäte kann Erfolge vorzeigen - Widerstand auf dem Heimatmarkt

Die Rückendeckung von Vorstand und Aufsichtsrat hat Oliver Bäte für seinen Reformkurs. Sein Vertrag war im letzten Jahr vorzeitig bis 2024 verlängert worden — ein Vertrauensbeweis. Und eine Freifahrkarte, um seinen Reformkurs fortzuführen. Der wirtschaftliche Erfolg gibt ihm Recht: im abgelaufenen Geschäftsjahr erzielten die Münchener weltweit einen Rekordumsatz von 131 Milliarden Euro und einen operativen Gewinn von 11,5 Milliarden. Die Aktionäre konnten sich über 13 Prozent mehr Dividende freuen (der Versicherungsbote berichtete).

Auch für dieses Jahr sieht es gut aus. Das operative Ergebnis werde zwischen 11,5 und zwölf Milliarden Euro liegen, so dass man die anvisierten Ziele erfüllen könne, teilte der Konzern diese Woche mit. Analysten erwarten sogar 12,1 Milliarden Euro: Es wäre ein deutlicher Gewinnsprung.

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Rumoren tut es jedoch ausgerechnet bei der Deutschland-Tochter und den rund 8.000 angeschlossenen Vertretern auf dem Heimatmarkt. Vielen geht der Konzernumbau zu schnell: Sie hegen den Verdacht, die persönliche Beratung soll durch digitale Helfer und künstliche Intelligenz ersetzt werden. Zusätzlich müssen die Vertreter die Folgen des technischen Wandels ausbaden: Wiederholt kam es in den letzten Monaten zu Verzögerungen und Systemausfällen, weil die IT streikte. Die Allianz entpuppt sich wie viele andere Versicherer als Dauerbaustelle (der Versicherungsbote berichtete).

Nicht alle Vertreter zufrieden

Gerade im Vertrieb will die Allianz sparen - und sparte auch bereits. Den Vertretern wurde im Vorjahr eine erfolgsabhängige Bestandsprovision gestrichen: betroffen davon waren rund 4.000 Agenturen. Auf wenig Gegenliebe stieß zudem, dass Oliver Bäte alle Policen online anbieten will und bestimmte Autotarife über das Vergleichsportal Verivox verkauft: obwohl sich die Allianz zwischenzeitlich komplett von Vergleichsportalen zurückgezogen hatte. Hier wächst den Agenturen unliebsame Konkurrenz.

In internen Facebook-Gruppen beschwerten sich Vertreter wiederholt über Bätes Kurs (der Versicherungsbote berichtete). Er bestreitet jedoch Kannibalisierungs-Effekte durch seine digitale Agenda: Die meisten Kunden würden sich online informieren, um dann doch in der Allianz-Agentur den Vertrag zu unterschreiben. Verzichten kann die Allianz auf die Vertreter bisher nicht: ein Fünftel des Konzerngewinns kommt von der Deutschland-Tochter, deren wichtigste Neugeschäftstreiber noch immer die Vermittler aus Fleisch und Blut sind.

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Im Vertrieb will Oliver Bäte nach Handelsblatt-Informationen weiter sparen. Er habe der Zeitung vorgerechnet, dass die Allianz im Jahr 2017 für Mitarbeiter rund 12,1 Milliarden Euro an Löhnen, Gehältern, Boni und Sozialabgaben gezahlt habe. Nicht der höchste Ausgabeposten: Vertriebspartner hätten demnach sogar 13,9 Milliarden Euro erhalten.

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