Nische Private Pflegeversicherung: „Der Gesetzgeber könnte über eine höhere Förderung nachdenken!“
Die private Pflegezusatzversicherung bleibt eine Nische: 3,5 Millionen Verträge halten die Bundesbürger derzeit, trotz drohender Vorsorgelücken. Was sind die Gründe dafür und was kann getan werden, damit mehr Menschen vorsorgen? Der Versicherungsbote sprach mit Annabritta Biederbick, Hauptabteilungsleiterin Krankenversicherung der Debeka. Sie verriet uns auch, weshalb in der Debeka-Produktwelt kein Weg am geförderten Zusatz-Tarif vorbeigeht.
- Nische Private Pflegeversicherung: „Der Gesetzgeber könnte über eine höhere Förderung nachdenken!“
- "In der vollstationären Pflege erwarten wir jedes Jahr eine Erhöhung des Eigenanteils."
Versicherungsbote: 76 Prozent aller deutschen Haushalte haben eine Hausrat-Police, aber weniger als 3,5 Millionen Bürger besitzen eine Pflegezusatz-Police: nur rund vier Prozent der Bevölkerung. Sie ist eine Nische, obwohl existentieller Schutz. Was läuft da schief?
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Annabritta Biederbick: Die soziale Pflegepflichtversicherung wurde vom Gesetzgeber bewusst als Teilkaskoversicherung konzipiert. Eigenvorsoge ist ausdrücklich gewollt und notwendig. Ein Großteil der Bevölkerung geht aber vermutlich davon aus, dass die Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung schon ausreichen werden, wenn sie pflegebedürftig werden. Darüber hinaus werden die Kosten, die im Pflegefall selbst zu tragen sind, unterschätzt.
Die staatlichen Leistungen decken jedoch lediglich einen Teil der Pflegekosten ab. Man kann zum Teil von einer riesigen Lücke zwischen der gesetzlichen Pflegeleistung und den tatsächlichen Kosten sprechen. In unserem Angebotsportfolio haben wir sowohl die privat ergänzende Pflegeabsicherung als auch die staatlich geförderte Pflegezusatzversicherung. Die Pflegeversicherung ist ein fester Bestandteil in unserer Vorsorgeanalyse beim Kunden. Insofern kommen wir unserem gesellschaftlichen Auftrag in dieser Marktnische nach.
Letztendlich bewertet und entscheidet aber der Interessent, ob er dieses existentielle Risiko abzusichern möchte. Das Thema Pflege ist oftmals auch negativ belegt bzw. wird verdrängt („Das ist noch so lange hin, ich bin doch noch jung!“…), so dass die Abschlussbereitschaft – trotz eindeutiger Gründe – auf die lange Bank geschoben wird.
Seit dem 1. Januar 2013 gibt es die staatlich geförderte Pflegezusatzversicherung, auch Pflege-Bahr genannt. Sie sollte die Privatvorsorge der Bürger in Sachen Pflege stärken. Wie sieht es bei Ihnen aus? Wie hoch ist der Bestand der Debeka an Pflege-Bahr-Tarifen im Verhältnis zu „herkömmlichen“ Pflegezusatzversicherungen?
Seit dem 1. Januar 2013 bietet die Debeka die Tarife EPG (staatlich geförderte Pflegeergänzung) und EPC (ungeförderte Pflegeergänzung) an. In Tarif EPG sind 166.000 Personen und in EPC fast 70.000 Personen versichert. Tarif EPC kann nur zusammen mit EPG abgeschlossen werden.
In den Pflegeergänzungstarifen, die bereits vor dem 1. Januar 2013 eingeführt wurden, sind weitere 184.000 Personen versichert.
Kann man allen Menschen einen Pflege-Bahr-Tarif empfehlen? Oder sollten die Versicherten zunächst versuchen, eine ungeförderte Pflegezusatzversicherung zu erhalten? Kritiker warnten bei Einführung: Vor allem ältere und kranke Personen, die keinen „normalen“ Zusatztarif erhalten, könnten Pflege-Bahr bevorzugen — aufgrund der eingeschränkten Gesundheitsprüfung. Das führe zu höheren Prämien bei diesem Vorsorgemodell.
Generell empfehlen wir den geförderten Debeka-Tarif EPG allen Bürgerinnen und Bürgern. Gerade jüngere Versicherte zahlen in der Regel nur den Mindestbeitrag und können auf diese Weise bereits mit einem geringen monatlichen Beitrag Vorsorge für den Pflegefall treffen. Über 50 Prozent der Versicherten in Tarif EPG sind jünger als 40 Jahre. Aber auch für Ältere und Versicherte mit Vorerkrankungen ist der Tarif EPG – solange noch keine Pflegebedürftigkeit besteht – aufgrund des Kontrahierungszwangs interessant. Denn unabhängig vom Gesundheitszustand werden weder Leistungsausschlüsse noch Risikozuschläge erhoben.
In diesem Zusammenhang darf aber nicht außer Acht gelassen werden, dass der Tarif EPG mit einem monatlichen Pflegegeld von 600 Euro im Pflegegrad 5 lediglich eine Grundabsicherung bietet. Eine zusätzliche – ungeförderte – Vorsorge in Form des Tarifs EPC ist nicht nur sinnvoll, sondern empfehlenswert. Da der Abschluss des Tarifs EPC aber eine Gesundheitsprüfung voraussetzt, ist es möglich, dass gerade für Personen mit Vorerkrankungen ein Abschluss nur zu besonderen Bedingungen oder gar nicht möglich ist. Diesen Personen bleibt daher nur der Tarif EPG, um für den Pflegefall vorzusorgen.
Je höher aber der Anteil an Personen mit Vorerkrankungen, desto höher ist auch das Risiko eines Pflegefalls und umso größer ist die Wahrscheinlichkeit zunehmender Beitragssteigerungen. Um diesem Risiko infolge einer möglichen „Antiselektion“ entgegenzuwirken, haben wir uns bei Einführung entschieden, den Tarif EPG an den Tarif EPC zu koppeln. Das heißt, wer gesund ist und die umfangreicheren Leistungen des Tarifs EPC wünscht, muss auch den Tarif EPG als Grundabsicherung abschließen. Auf diese Weise versuchen wir eine ausgewogene Kalkulation zu erzielen, die letzten Endes allen nach Tarif EPG Versicherten zu Gute kommt.
Ein wichtiger Kritikpunkt bei Pflege-Bahr war bzw. ist, dass die Policen keine Beitragsbefreiung im Leistungsfall vorsehen. Auch wer bereits pflegebedürftig ist, muss weiter monatlich Beiträge zahlen. Wie sieht das bei Ihnen aus? Und wie wirken sich die Beiträge im Pflegefall für die Versicherten aus — können Sie ein Beispiel nennen?
Eine Beitragsbefreiung im Leistungsfall halten wir für problematisch: In allen Tarifen gilt, dass der zukünftige Leistungsbedarf durch das zukünftige Beitragsaufkommen finanziert wird. Werden die Beiträge nur von den noch nicht pflegebedürftigen Versicherten getragen, fallen sie daher grundsätzlich höher aus. Insbesondere für die hohen Alter, in denen der überwiegende Teil der Menschen pflegebedürftig ist, ergibt sich dadurch ein erheblicher zusätzlicher Finanzierungsbedarf.
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Der monatliche Beitrag während des Pflegefalls lässt sich durch den Abschluss eines höheren Pflegetagegeldes gleich zu Beginn der Versicherungszeit minimieren. Im Pflegefall könnten dann vom vereinbarten Pflegegeld nicht nur die monatlichen Pflegekosten, sondern darüber hinaus eine Beitragsreduzierung finanziert werden.
"In der vollstationären Pflege erwarten wir jedes Jahr eine Erhöhung des Eigenanteils."
Worauf sollten Versicherte speziell beim Abschluss von Pflege-Bahr-Policen achten? Gibt es Leistungsbausteine, die Sie für essentiell halten?
Bei Einführung der geförderten Pflegezusatzversicherung hat der Gesetzgeber den Abschluss und die staatliche Förderung an bestimmte Voraussetzungen geknüpft, zum Beispiel:– muss eine soziale oder private Pflegepflichtversicherung bestehen und es dürfen noch keine Leistungen in Anspruch genommen worden sein, muss der Antragsteller mindestens 18 Jahre alt sein, muss das monatliche Pflegegeld mindestens 600 Euro in Pflegegrad 5 betragen und der monatliche Eigenbeitrag muss bei mindestens 10 Euro liegen.
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Diese Vorgaben sind sehr eng gefasst, sodass kaum Spielraum für zusätzliche Leistungsbausteine vorhanden ist. Wer aber über die Mindestabsicherung nach gesetzlich vorgegebenem Rahmen hinaus für den Pflegefall vorsorgen will, dem bieten wir mit unserer ungeförderten Pflegezusatzversicherung nach Tarif EPC eine umfassende und sinnvolle Ergänzung.
Gibt es Reformbedarf mit Blick auf Pflege-Bahr? Wo könnte der Gesetzgeber ansetzen, um die Policen attraktiver zu machen bzw. die Nachfrage anzukurbeln?
Vor allem für Bürger mit niedrigem Einkommen ist die ergänzende Pflegeversicherung in erster Linie eine Kostenfrage. Bei einem Jahresbeitrag von oft mehreren Hundert Euro für eine ausreichende ergänzende Pflegeversicherung ist die derzeitige Förderung von 60 Euro für viele nicht genug. Hier könnte der Gesetzgeber über eine höhere Förderung oder weitergehende Steuervorteile nachdenken.
Könnten sich auch die Versicherer und der Vertrieb noch stärker engagieren, um für Pflegepolicen und die drohende Vorsorgelücke allgemein zu sensibilisieren?
Wie zuvor erläutert, ist die ergänzende Pflegeversicherung fester Bestandteil in der Vorsorgeanalyse, die wir mit unseren Kunden durchführen – und wird regelmäßig in Kampagnen aufgegriffen. Insofern leisten wir unseren Beitrag, die Bevölkerung entsprechend zu sensibilisieren.
Ob Pflegetagegeld oder Pflegerente: Wie hoch sollte eine Mindestabsicherung aus Ihrer Sicht ausfallen? Gibt es hier eine Faustregel oder lässt sich das nicht so pauschal sagen?
Eine pauschale Aussage ist hier unseres Erachtens nicht möglich. Der Bedarf ist individuell bei jedem Menschen unterschiedlich und muss unter Berücksichtigung vieler Faktoren (gesetzliche und private Renten- oder Lebensversicherungen, betriebliche Versorgung, Ersparnisse, familiäre Situation, Priorisierung auf ambulante, teilstationäre oder stationäre Versorgung) individuell ermittelt werden.
Pflegezusatz-Policen gelten als vergleichsweise komplex. Bieten Sie ihre Verträge auch per Direktvertrieb an? Wenn ja/nein: bitte begründen.
Nein. Aus den oben genannten Gründen (Bedarfsanalyse, kein Standardangebot, komplexer Bedarfssachverhalt/Produkt) ist eine individuelle Beratung unseres Erachtens unbedingt erforderlich. Deshalb schließen wir auch die Möglichkeit aus, ein solches Produkt „online“ abzuschließen.
Wenn es um das Pflegerisiko geht, argumentieren wir gern mit den stationären Pflegeheimkosten. Fakt ist: Die überwiegende Mehrheit der Pflegebedürftigen wird in den eigenen vier Wänden betreut. Worauf gilt es bei Pflegezusatz-Policen mit Blick auf pflegende Angehörige zu achten?
Die Leistungen von Pflegezusatz-Policen sollten grundsätzlich flexibel und vor allem nicht zweckgebunden, also ohne Vorlage von Kostennachweisen, erfolgen. Der pflegende Angehörige sollte über die zusätzliche Leistung auch, je nach vorliegender persönlicher Situation, selber entscheiden, wofür er diese in der Pflege einsetzt.
Seit Inkrafttreten der Pflegestärkungsgesetze sind die Pflegekosten für Angehörige nahezu explodiert. Die durchschnittliche Last der Bundesbürger stieg von 1.772 Euro im Januar 2018 auf 1.830 Euro monatlich zum Jahresanfang 2019, wenn Betroffene vollstationär betreut werden müssen. Erwarten Sie einen weiteren Anstieg der Pflegekosten — oder was könnte diese senken?
In der vollstationären Pflege erwarten wir jedes Jahr eine Erhöhung des Eigenanteils für den Betroffenen. Hintergrund hierzu ist die jährliche Kostenerhöhung für Unterkunft, Verpflegung und Investitionskosten durch die Pflegeheime.
Die Art, Höhe und Laufzeit der einzelnen Pflegesätze werden zwischen dem Träger des Pflegeheimes und den Leistungsträgern (z. B. Pflegekassen, Sozialversicherungsträger, Träger der Sozialhilfen, Arbeitsgemeinschaften usw.) vereinbart. Ob bei den Verhandlungen für die Vergütungsvereinbarung die Möglichkeit einer Kostensenkung – bei jährlich steigenden Kosten für die Träger der Pflegeheime – besteht, können wir leider nicht beantworten, da wir an diesen Verhandlungen als privates Versicherungsunternehmen nicht teilnehmen können.
Deutschland läuft auf einen Pflegenotstand zu, laut dem Pflegewissenschaftler Michael Simon fehlen schon über 100.000 Pflegekräfte. Zugleich klagen die Kliniken und Pflegedienstleister über steigenden Kostendruck, der es ihnen nicht erlaube, neues Fachpersonal einzustellen — auch von Seiten der Krankenversicherer. Ein Widerspruch? Was kann und muss getan werden, um den viel beschworenen PflegeGAU zu verhindern?
Zunächst einmal muss man betonen, dass die Menschen in Deutschland – auch dank unseres dualen Gesundheitssystems von PKV und GKV, das unbestreitbar zu einem der besten auf der Welt zählt – immer älter werden. Damit kommen natürlich auch erhebliche Mehrkosten auf die Pflegeversicherung zu, denn mit der steigenden Anzahl der Älteren steigt auch die Anzahl der Pflegebedürftigen. Gleichzeitig gibt es immer weniger junge Menschen, die die steigenden Kosten tragen können. Diese Kosten müssen aber finanziert werden. Wie dringend der Handlungsbedarf in der Pflegeversicherung ist, zeigen allein die in den vergangenen Jahren umgesetzten Pflegestärkungsgesetze oder das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz, das unter anderem ein Sofortprogramm zur Stärkung der pflegerischen Versorgung in stationären Pflegeeinrichtungen vorgesehen hat.
Eine Ausweitung der bestehenden Umlagefinanzierung, wie es die Vertreter einiger Parteien vorschlagen – ganz gleich, ob dies als Deckelung der Eigenanteile, durch höhere Steuerzuschüsse oder in Form einer „Pflege-Bürgerversicherung“ der Fall wäre –, trägt unseres Erachtens jedoch nicht zu einer Lösung des Problems bei. Nur durch eine Ausweitung des Kapitaldeckungsverfahrens werden die Beiträge der Versicherten in jüngeren Jahren verzinslich angelegt und im Alter wieder aufgelöst. Diesem Prinzip folgend, war die Einführung der geförderten Pflegezusatzversicherung bereits ein Schritt in die richtige Richtung. Denn auf diese Weise sorgt letztlich jede Generation für sich selbst vor und verlagert das Problem nicht auf zukünftige Generationen.
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Die Fragen stellte Mirko Wenig
- Nische Private Pflegeversicherung: „Der Gesetzgeber könnte über eine höhere Förderung nachdenken!“
- "In der vollstationären Pflege erwarten wir jedes Jahr eine Erhöhung des Eigenanteils."