Die Versicherungswirtschaft bekommt einen neuen Chef-Lobbyisten. Und dieser ist durchaus kein Unbekannter: Jörg Asmussen, Ökonom und SPD-Mitglied, soll beim Versicherer-Dachverband GDV den langjährigen Hauptgeschäftsführer Jörg von Fürstenwerth ersetzen. Das berichtet der Verband am Donnerstag in einem Pressetext. Fürstenwerth, der im Juli seinen 66. Geburtstag feiert, wolle sich in den Ruhestand verabschieden.

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„Wir freuen uns sehr, dass wir mit Jörg Asmussen einen versierten Kenner des deutschen und des europäischen Finanzsektors für die Nachfolge von Dr. von Fürstenwerth, unserem langjährigen Hauptgeschäftsführer, gewinnen konnten“, lässt sich GDV-Präsident Wolfgang Weiler zitieren.

Finanzkrise: Asmussen als wichtiger Mittler zwischen Banken und Politik

Tatsächlich ist Asmussen kein Unbekannter. Oft in den Medien war er in der vermutlich schwersten Finanzkrise der Nachkriegsgeschichte: Als 2008 toxische Schrottpapiere und eine aufgeblähte Immobilienblase die Weltwirtschaft an den Rand des Zusammenbruchs brachten. Als beamteter Staatssekretär im Bundesfinanzministerium war er der starke Mann hinter dem damaligen Bundesfinanzminister Peer Steinbrück und vermittelte zwischen Politik und Banken.

Jörg Asmussen, bald neuer GDV-Chefgdv.de Seine Rolle dabei: umstritten. Während ihn die FAZ 2010 in einem Beitrag als „Brandbekämpfer“ und „Feuerlöscher“ porträtierte - kompetent, loyal und an Sacharbeit orientiert - machten Kritiker schnell Interessenskonflikte aus.

Bereits seit 2003 war Asmussen als Ministerialdirektor tätig, berufen vom damaligen SPD-Finanzminister Hans Eichel, er saß auch im Verwaltungsrat der Aufsichtsbehörde BaFin. Und setzte sich massiv für die Deregulierung des Finanzmarktes ein. Nach Recherchen des "Spiegel" war es Asmussen, der 2005 im Koalitionsvertrag für die damalige Bundesregierung aus CDU, CSU und SPD unter Angela Merkel durchgesetzt hatte, die Punkte "Abbau überflüssige[r] Regulierungen“ des Finanzmarktes und „Ausbau des Verbriefungsmarktes" mit in den Vertrag aufzunehmen.

Dass ein Zuviel an deregulierten Märkten schief gehen kann, erfuhr Asmussen dann am eigenen Beispiel. Als Mitglied im Aufsichtsrat der IKB Deutsche Handelsbank sprach er sich dafür aus, dass die mittelständische Bank in amerikanische Hypothekendarlehen und Kreditverbriefungen investiert - genau jene hoch spekulativen Papiere, die zur Finanzkrise wesentlich mit beitrugen. Bereits im Juli 2007 war die Bank de facto aufgrund der Finanzwetten am US-Markt pleite: Die folgende Weltwirtschaftskrise verschärfte die Situation noch.

Nur mit Hilfe von Hilfskrediten der KfW und einen Verkauf an den Investor Lone Star konnte die IKB-Bank gerettet werden: auch zulasten des Steuerzahlers. Brisant: Asmussen saß auch im Lenkungsausschuss des Bankenrettungsfonds SoFFin und entschied im Wirtschaftsfonds Deutschland mit über Bürgschaften des Bundes für Unternehmen, die dank Finanzkrise in Schieflage geraten waren.

Folgen der Finankrise verschlingen immer noch Milliarden

Es war diese Doppelrolle, die Asmussen zu Zeiten der Finanzkrise Kritik einbrachte. Er saß im Aufsichtsrat einer Krisenbank, eben der IKB, beriet zudem zahlreiche weitere Privatbanken. Und managte zugleich die Finanzkrise als prägender Beamter im Bundesfinanzministerium, obwohl er die Deregulierung der Finanzmärkte zuvor befürwortet hatte.

Ein mehr als teurer Irrtum: viele deutsche Banken hatten sich auch wegen der fahrlässigen Finanzaufsicht mit Hypothekenpapieren verzockt. Auf mehr als 68 Milliarden Euro zulasten des Steuerzahlers schätzte die Bundesregierung 2018 die bis dahin entstanden Kosten der Finanzkrise, darin enthalten ausgereichte Garantien, Kredite und Kapitalspritzen. Noch immer müssen Bund, Länder und Kommunen Milliardenbeträge pro Jahr als Folge der Finanzkrise zahlen oder als Reserve vorhalten.

Bestens vernetzt

Jörg Asmussen aber gilt auch als lernfähig und kompromissbereit, hat Fehler bei seiner Einschätzung toxischer Finanzwetten in Interviews eingestanden. Er war einer von vielen, die damals irrten. Und selbst Kritiker seiner Arbeit äußerten sich wiederholt anerkennend über ihn, weil er den Ruf hat, pragmatisch auf Lösungen hinzuarbeiten. So sagte der frühere finanzpolitische Sprecher der Grünen und heutige Aktivist Gerhard Schick 2013 der "Zeit", er würde Asmussen sofort einstellen - obwohl er ihn zuvor hart kritisiert und sogar seinen Rücktritt gefordert hatte.

Asmussen war auch danach stets in Spitzenpositionen tätig. Wolfgang Schäuble hielt als Bundesfinanzminister an ihm fest — und setzte sich 2011 dafür ein, dass er Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank (EZB) wird. Der Vorstoß scheiterte zwar, aber Asmussen wechselte dennoch ein Jahr später ins Direktorium der EZB. Dort wartete mit der EU-Schuldenkrise die nächste Notlage, die der Ökonom mit abarbeiten konnte.

Es war die frühere Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles, die ihn zum Jahresende schließlich zurück in die Bundespolitik lockte. Im Kabinett Merkel III war Asmussen bis Ende 2015 als Staatssekretär unter anderem für Fragen der Alterssicherung zuständig.

Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) bekommt nun also einen Lobbyisten, der national wie international bestens vernetzt ist: sowohl in die Politik als auch in den Finanz- und Bankensektor. Und sich auch mit Regulierungsfragen bestens auskennt. Jörg Asmussen selbst sagt: „Die Versicherer können einen großen Beitrag bei der privaten Altersvorsorge und im Umgang mit Risiken wie dem Klimawandel und der Cybersicherheit leisten. Ich freue mich sehr auf die neue Aufgabe, die Interessen des starken deutschen Versicherungssektors in Zukunft als Hauptgeschäftsführer vertreten zu dürfen.“

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Zuletzt arbeitete Jörg Asmussen bei der Investmentbank Lazard, war dort für das Geschäft mit Übernahmen und Fusionen in Europa zuständig. Für den Posten als GDV-Geschäftsführer wird er auf Einkommen verzichten. Die Übergabe des Postens wird hierbei stufenweise erfolgen. Zum 1. April 2020 soll Asmussen zunächst in die Geschäftsführung des GDV-Verbandes rücken. Das Amt seines Vorgängers übernimmt der Ökonom zum 1. Oktober 2020: Dann wird er zum Vorsitzenden der Geschäftsführung und zum geschäftsführenden Präsidiumsmitglied des GDV bestellt.