Versicherungsbote: Ich habe gelesen, dass Sie auch Amazons Alexa für den Kontakt mit den Kunden nutzen. Warum Alexa?

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Markus Heussen: Richtig ist, dass wir einen Skill entwickelt haben. Der wurde allerdings nie live geschaltet. Schon in der Pilotphase haben wir das Projekt eingestampft. Wir haben uns seinerzeit für Alexa entschieden, weil Amazon im Bereich der Sprachassistenten im persönlichen Zuhause führend ist. Zudem hat es Amazon - anders als Siri, Cortanta und Google Home - geschafft, seinem Sprachdienst den Anschein von Emotionen und sogar einen gewissen Humor zu verleihen. Das ist subtiler Erfolgsfaktor, der den Zugang für Menschen deutlich erleichtert und uns überzeugt hat.

Alexa funktioniert heute schon recht gut, insbesondere wenn man den Sprachdienst zur Steuerung von Geräten, zum Abspielen von Musik oder für einfache Wissensfragen verwendet. Im Hintergrund wirken dann so genannte Command Skills, also kleine Computerprogramme, die auf verhältnismäßig starre, gesprochene Kommandos reagieren können.

Wir wollten mit Snoopr aber einen so genannten Conversational Skill entwickeln: Der Sprachdienst sollte einen verhältnismäßig freien, natürlichsprachlichen Dialog führen können, um das doch recht komplexe Versicherungsthema möglichst menschlich zu behandeln. Die Tests haben uns gezeigt, dass die Zeit dafür noch nicht reif ist. Wir haben uns deshalb entschieden, einen anderen Weg zu verfolgen.

Nichtsdestotrotz bin ich zutiefst davon überzeugt, dass mit dem Vormarsch der KI-basierten Sprachdienste eine völlig neue Art der Kommunikation zwischen Mensch und Maschine Einzug erhält, die die Welt verändern wird. Warum? Weil wir evolutionär gelernt haben, dass nur Menschen sprechen können. Sobald wir etwas eine Stimme verleihen, bekommt es eine andere Bedeutung. Das steckt in uns drin. Durch Sprachdienste bekommen wir deshalb einen völlig neuen Zugang zu Maschinen, die uns zunehmend vertrauter werden.

…und was sagen Sie Kritikern, die warnen, mit Alexa und Siri hole man sich die dauerhafte Überwachung direkt ins Haus und werde zum gläsernen Bürger? Ich gebe zu, dass ich aus diesem Grund Alexa selbst nicht benutze.

Ich würde ihnen sagen, dass sie vermutlich Recht behalten. Doch trotz warnender Kritik, werden sie die Entwicklung nicht aufhalten können. Ich sehe das so: Wenn Sie etwas nicht verändern können, steht es Ihnen natürlich zu, es zu ignorieren. In diesem Fall lassen Sie dem Schicksal seinen Lauf. Sie können sich aber auch damit beschäftigen und versuchen, es positiv zu prägen. Wir haben uns für den zweiten Weg entschieden. Tatsächlich ist Georg Orwells Horrorszenario meines Erachtens aber bereits Realität geworden.

Versicherungsvermittler müssen gute Beratung und eine entsprechende Dokumentation garantieren. Wie funktioniert das bei Snoopr?

Findet ein Kunde über Snoopr ein interessantes Produkt, muss er die Erstinformation zur Kenntnis nehmen und bestätigen, dass der Makler ihn lediglich anlass- und produktbezogen beraten wird. Wenn der Makler den Kunden anschließend über den Web-Chat von Snoopr berät und Absprachen auf anderen Kanälen im Chat dokumentiert, kann er den gesamten Chatverlauf mitsamt etwaiger Dokumente und Medien exportieren. Das ist dann die Beratungsdokumentation.

Ein Makler bleibt natürlich selbst für die sachgerechte Beratung und Dokumentation verantwortlich. Insofern kann er natürlich auch weiterhin seine vorhandenen Methoden und Tools einsetzen.

Rechnen Sie damit, dass Anbieter wie Amazon oder Google selbst irgendwann in das Versicherungsgeschäft einsteigen? Ausreichend Daten sammeln sie ja — mehr als jeder Versicherer.

Das ist eine spannende Frage. Google hat vor etlichen Jahren mit Google Compare einen ersten Anlauf versucht, der nicht erfolgreich war. Tatsächlich hat Google bereits in Versicherungsunternehmen investiert und ist damit indirekt in unserer Branche tätig. Ob sie darüber hinaus nochmal einen weiteren Versuch starten, ist für mich schwer zu beurteilen.

Das Potenzial von Google ist meines Erachtens beträchtlich. Denken Sie nur daran, was Googles Vision für die Suche ist: Sie wollen jede Anfrage mit dem einen einzigen richtigen Treffer beantworten können. Google entwickelt sich immer mehr von einer statistischen Suchmaschine hin zu einer semantischen Suche und zu einem echten Assistenten. Das Unternehmen arbeitet sogar daran, unser nächstes Handeln vorherzusehen, noch bevor wir selber wissen, was wir als nächstes tun werden. Das alles basiert stark auf Daten und Algorithmen aus dem Bereich der Künstlichen Intelligenz. Diese Fähigkeiten ließen sich in unserer Branche hervorragend nutzen. Ganz egal, ob mit oder ohne Google: Künstliche Intelligenz wird unsere Branche dramatisch verändern - davon bin ich überzeugt.

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Auch Amazon und andere Big Techs wie z. B. Tencent haben große Potenziale. Von Amazon wissen wir bereits, dass sie ins Versicherungsgeschäft einsteigen werden. Ob das wirklich disruptiv sein wird, wage ich im Moment noch zu bezweifeln. Letztendlich bleibt es abzuwarten, was das für den Standort Deutschland bedeutet. Einstiege in unsere Branche werden jedenfalls - allein aus betriebswirtschaftlichen Gründen - den Massenmarkt und die etablierten Standards adressieren. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass sich Makler spezialisieren müssen, um langfristig überleben zu können.

KI-Label oft auf Systemen, die nicht maschinell lernen

Versicherungsbote: In Interviews mit InsurTechs lese ich oft über die Vorzüge künstlicher Intelligenz: schnellen, variablen und passgenauen Schutz in Echtzeit soll sie ermöglichen. Derart individualisierte Datensätze zu einer Person könnten künftig aber auch genutzt werden, um ihr Versicherungsschutz zu verweigern - etwa, wenn sie online nach bestimmten Krankheiten oder Medikamenten sucht. Wer sagt denn, dass die Versicherer nicht bald sogar ihre Kunden verpflichten, sensible Daten von sich preiszugeben?

Markus Heussen: Ich lese vermutlich dieselben Artikel wie Sie. Aber aufgrund unserer eigenen Erfahrungen mit dem Einsatz von künstlicher Intelligenz glaube ich, dass viele Aussagen etwas überzogen sind. Wenn Sie die Homepage von Snoopr öffnen, steht unter dem Logo klein „alpha“. Das bedeutet nicht, dass unsere Software voller Bugs ist. Gemeint ist hier unsere KI. Wir möchten darauf hinweisen, dass sie noch lernt und deshalb durchaus zu unerwarteten Einschätzungen kommen kann. Wenn ich z. B. nach „Bank“ suche, könnte ich ja ein Geldinstitut oder eine Sitzgelegenheit meinen. Es ist eine echte Herausforderung für Mensch und Maschine, die Absichten hinter Worten zu ermitteln. Habe ich nur ein einziges, möglicherweise doppeldeutiges Wort zur Verfügung, muss ich weitere Daten zum Suchenden und seinerr Suchhistorie berücksichtigen, um herauszufinden, was gemeint sein könnte.

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Künstliche Intelligenz wird seit einiger Zeit ziemlich gehypt. Mangels klarer Definitionen und Abgrenzungen klebt das KI-Label deshalb oft auf Systemen, die einigermaßen intelligent wirken. Das macht sich auch bei potenziellen Investoren gut. Tatsächlich basieren diese Lösungen unter der Haube häufig nicht auf den Mechanismen des maschinellen Lernens. Das größte Problem beim Einsatz selbstlernender Systeme ist nämlich die schiere Menge an Trainingsdaten, die für gute Ergebnisse heute noch vielfach benötigt wird.

...also glauben Sie nicht, dass der Endkunde bald viel mehr Daten von sich preisgeben muss, um überhaupt Versicherungsschutz zu finden?

Dass Versicherer Kundendaten und KI langfristig nicht nur in der Betrugserkennung im Leistungsfall einsetzen, sondern schon vorher im Rahmen ihrer Annahmepolitik, ist für mich keine Frage. Ob sie ihre Kunden dazu „zwingen“ werden, möchte ich aber bezweifeln. Ich gehe davon aus, dass die Aufforderung zur Preisgabe sensibler Daten subtiler erfolgen wird, indem z. B. Zusatznutzen damit verknüpft werden. Die Kunden werden dann ihre Daten von sich aus herausgeben. Das jedenfalls würde dem Google-Prinzip entsprechen.

In welchen Bereichen könnte KI künftig noch eine Rolle in der Versicherungswirtschaft spielen? Nennen Sie bitte Beispiele.

Stellen Sie mir diese Frage doch nochmal gegen Ende des Jahres. Dann wird es Neuigkeiten von uns geben, wie wir KI in einem anderen Kontext einsetzen werden.

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Die Fragen stellte Mirko Wenig

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