Das Urteil zeigt zudem: Wirtschaftlich begründete Informationspflichten von Ärzten folgen anderen Grundsätzen als Informationspflichten bei Vermittlung einer Geldanlage durch Anlageberater. Der Bundesgerichtshof erschwert somit Schadenersatzansprüche privat versicherter Patientinnen und Patienten.

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PKV-Patienten: Dankbare Kunden für Spezialpraxen

Privat versicherte Patientinnen und Patienten gelten als dankbare Kunden von medizinischen Spezialkliniken und -praxen. Denn während gesetzlich Krankenversicherte bei Übernahme der Behandlungskosten durch die Krankenkassen in ein teils enges Korsett jenes Leistungskatalogs gepresst werden, den ein gemeinsamer Bundesausschuss regelmäßig gemäß § 92 des Fünften Sozialgesetzbuchs (SGB V) festlegt, erhalten Patienten mit privater Krankenversicherung (PKV) bei entsprechendem Tarif auch häufig darüber hinausreichende und alternative Behandlungsmethoden erstattet. Und das sichert zusätzliche Einnahmen.

Aber der Leistungsumfang privater Versicherer kennt ebenfalls seine gesetzlich legitimierten Grenzen – zum Beispiel, sobald eine Behandlung nicht durch die Schulmedizin anerkannt ist. Und anders als gesetzlich Versicherte tragen privat Versicherte eine größere Verantwortung, die Kostenübernahme abzusichern. Denn der Deckungsschutz privat krankenversicherter Patienten ergibt sich – anders als bei gesetzlich Versicherten – nicht aus engen Vorgaben des Sozialgesetzbuchs. Entscheidend sind vielmehr die Bedingungen des konkreten Versicherungsvertrags und ist die Regulierungspraxis des zuständigen Versicherers. Letztendlich liegt die Verantwortung, dass die Behandlung auch bezahlt wird, zunächst beim Patienten.

In diesem Sinne bedarf es auch verlässlicher Informationen über drohende Behandlungskosten. Was aber ist, wenn der Arzt die Informationspflicht aus § 630c des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) verletzt und nicht sachgemäß über drohende Kosten einer Behandlung informiert, die der Patient selbst tragen muss – zum Beispiel, weil die Behandlung nicht durch den privaten Krankenversicherer übernommen werden könnte?

Wie ein aktuelles Revisionsurteil des Bundesgerichtshofs mit Datum vom 28. Januar 2020 (Az. VI ZR 92/19) zeigt, bringt sogar eine verletzte Informationspflicht des Arztes den privat versicherten Patienten in die Beweispflicht. Demnach muss ein Patient auch bei fehlerhafter Aufklärung über entstehende Behandlungskosten beweisen, dass er bei ordnungsgemäßer Aufklärung von der Behandlung abgelassen hätte. Nur dann nämlich kann er den Arzt für entstandenen Schaden in Haftung nehmen. Das Revisionsurteil bürdet privat Versicherten eine hohe Beweislast auf.

Ursache des Streits: Eine nicht genügend erprobte Therapie zu € 3.517,50

Um was geht es in dem Rechtsstreit mit noch offenem Ausgang? Eine Frau ließ sich nach einer neu entwickelten Therapie, dem “VenaSeal Closure System“, die Krampfadern behandeln: Hierbei wird durch Einbringung von Bio-Klebstoff dauerhaft die erkrankte Vene verschlossen. Ohne Narben soll diese Methode dauerhaft Besserung versprechen. Auch das Tragen von Kompressionsstrümpfen sei nach dem Verkleben der Vene nicht mehr notwendig – wie man zumindest in jener Spezialpraxis beteuerte, die sich just auf solche Therapien spezialisiert hatte. Jedoch: Als der behandelnde Arzt seiner Patientin diese Behandlung empfahl, lag keine ausreichende Langzeiterfahrung vor, um auch zuverlässig einen Behandlungserfolg zu prognostizieren.

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Über diese Tatsache wusste der behandelnde Arzt sogar gut Bescheid – er selbst hatte mehrere Fachaufsätze zur von ihm durchgeführten Methode veröffentlicht. Als es nun an die Erstattung der Behandlungskosten ging, berief sich der Krankenversicherer auf diese Aufsätze und verweigerte in der Folge die Zahlung. Handelte es sich doch bei der gewählten Therapieform laut Versicherer um ein „wissenschaftlich nicht etabliertes Verfahren“, bei dem zudem „eine medizinische Notwendigkeit nicht erkennbar“ war. Aufgrund der ablehnenden Haltung zur Kostenübernahme war die Frau in der Folge gezwungen, ihre Behandlungskosten – 3.517,50 € – allein zu tragen.

Patienten-Klage gegen Versicherer führt zu Klage gegen Arzt

Die Frau sowie ihr Ehemann wollten freilich nicht auf den hohen Behandlungskosten sitzen bleiben: Zunächst klagten beide gegen ihren privaten Krankenversicherer, verloren allerdings den Prozess. Denn die durchgeführte Behandlung sei „zum Behandlungszeitpunkt von der Schulmedizin nicht überwiegend anerkannt gewesen“, beschied das Amtsgericht Berlin-Mitte. Auch habe es sich „nicht um eine Behandlungsmethode gehandelt, die sich zum damaligen Zeitpunkt in der Praxis als ebenso erfolgversprechend bewährt habe“ wie etablierte Behandlungsmethoden – genannt werden das Venenstripping und das Venenlasern. Kurz: Der Versicherer kann, im guten Einklang mit geltendem Recht, die Zahlung für die Behandlung verweigern.

Arzt klärte nicht transparent über drohende Kosten auf

Aufgrund dieser gerichtlichen Niederlage gegen den Krankenversicherer verklagte der Ehemann – aus abgetretenem Recht seiner Ehefrau – nun den behandelnden Arzt auf Schadenersatz in Höhe der Kosten: Der Arzt sollte die 3.517,50 € für die Behandlung der Frau zurückerstatten. Geltend machen wollte der Kläger hierfür verletzte Informationspflichten zu finanziellen Folgen der Therapie. Denn der Arzt hatte zwar im Behandlungsvertrag darüber aufgeklärt, dass sein neues Therapieverfahren nicht in der Gebührenordnung für privatärztliche Leistungen (GOÄ) gelistet ist. Auch wurde durch den Vertrag zugestanden, dass die PKV unter Umständen „nicht alle Gebührenziffern der analogen GOÄ-Rechnung anerkennen wird“. Jedoch entstand der Eindruck, es wären nur einzelne Posten, die für die privat versicherte Patientin zusätzlich anfielen.

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Zumal der Vertragstext beschwichtigte: „Die Rechnungslegung“ lehne sich „eng an die GOÄ an“, damit „weitgehend ein Zahlungsausgleich durch die PKV erfolgen kann“. Keineswegs wurde die Patientin darüber aufgeklärt, dass aufgrund des wissenschaftlichen Kenntnisstandes eine völlige Ablehnung der Kostenübernahme durch die PKV droht. Der Arzt hatte also seine durch das Bürgerliche Gesetzbuch vorgeschriebene Pflicht verletzt, die Patientin vor Beginn einer Behandlung über voraussichtliche Kosten angemessen in Textform informieren.

Informationspflichten sollen Patienten „vor finanziellen Überraschungen schützen“

Der Rechtsstreit ging nun durch drei Instanzen – und sah zunächst ganz danach aus, als würde Justitias Waage sich deutlich für die Seite des klagenden Ehepaars neigen. Denn alle Gerichte urteilten in der Tat: Der Arzt habe seine Pflicht zur wirtschaftlichen Information des Patienten verletzt. Und diese Information soll den Patienten „vor finanziellen Überraschungen“ schützen sowie „in die Lage versetzen“, die wirtschaftliche Tragweite der Entscheidung „zu überschauen“. So formuliert es der Bundesgerichtshof in seinen Entscheidungsgründen.

In diesem Sinne muss ein Arzt, der eine „noch nicht allgemein anerkannte Behandlungsmethode anwendet“, auch die Möglichkeit in den Blick nehmen, dass der private Krankenversicherer dafür nicht leistet. Der Ausgang des gerichtlichen Verfahrens schien eindeutig: Zunächst sprach das Amtsgericht (AG) Berlin Mitte (Az. 15 C 161/17) und – nachdem der Arzt in Berufung ging – auch das Landgericht Berlin (Az. 6 S 9/17) dem klagenden Paar die Behandlungskosten als Schadenersatz zu.

Trotz deutlicher Urteile der Vorinstanzen: Ausgang des Verfahrens offen

Jedoch: nun wendete sich vor dem Bundesgerichtshof das Blatt; zwar nicht zugunsten der Gegenpartei, aber zugunsten eines noch offenen Ausgangs in der Sache. Denn die deutlichen Urteile der Vorinstanzen verdankten sich auch der irrtümlichen Annahme, die Beweislast liege bei Verletzung der Informationspflichten beim Arzt – der Arzt müsste also beweisen, dass die Patientin auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung zu drohenden Kosten die Behandlung hätte durchführen lassen.

Sowohl Amtsgericht als auch Landgericht orientierten sich für diese Annahme an Maßgaben für die Informationspflichten bei Geschäften zur Geldanlage (der Versicherungsbote berichtete). Allerdings wies nun der Bundesgerichtshof als Revisionsinstanz darauf hin, dass Grundsätze für Anlagegeschäfte nicht einfach auf eine Beratung von Privatpatienten übertragen werden können. Und deswegen muss neu über die Sache entschieden werden.

Denn die Entscheidung des Patienten zielt nicht auf die sachgerechte Investition verfügbarer Geldmittel ab, sondern bezieht sich auf die Durchführung einer medizinischen Behandlung. Und hier müssen andere Grundsätze angewandt werden als für eine Geldanlage: Zum einen ist der Arzt, anders als der Anlageberater oder Vermittler, nicht Sachwalter der wirtschaftlichen Interessen des Kunden. Die Pflicht zur wirtschaftlichen Information des Patienten betrifft einen Arzt nur als vertragliche Nebenpflicht. Zum anderen gibt es viele Faktoren jenseits wirtschaftlicher Gesichtspunkte, die beeinflussen, welche Therapie gewählt wird. Und solche Faktoren können wichtiger sein als wirtschaftliche Überlegungen.

Beweislast bei verletzter Informationspflicht durch Arzt: Trägt der Patient

Der Bundesgerichtshof nennt als Einflussfaktoren seines Urteils auf die Wahl einer medizinischen Behandlung die Dauer und die Intensität des Leidensdrucks aufgrund einer Erkrankung, die Ausschöpfung anderer Behandlungsmöglichkeiten oder verfügbare Behandlungsalternativen oder auch die mit anderen Behandlungen verbundenen Nachteile. Weil die Wahl einer medizinischen Behandlung demnach anderen Grundsätzen entspricht als die Wahl eines Produkts für die Geldanlage (mit ihrer nur-finanziellen Zielsetzung), liegt die Beweislast – statt beim Arzt – im verhandelten Fall trotz verletzter Informationspflichten beim Patienten.

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Folglich muss nun die Ehefrau vor dem Landgericht Berlin erst beweisen, dass sie bei ordnungsgemäßer Aufklärung durch den Arzt von einer Therapie nach dem “VenaSeal closure System“ abgesehen hätte: Die Revision hebt das vorhergehende Urteil auf. Der Fall muss nun am Landgericht Berlin noch einmal neu verhandelt werden.

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