Corona und Betriebsschließung: "Viele Versicherer dürften leistungspflichtig sein"
In welchem Umfang können Unternehmen Entschädigungen aus der Betriebsschließungsversicherung erwarten, wenn die Firma infolge der Coronapandemie geschlossen wurde? Rechtswissenschaftler Hans-Peter Schwintowski sieht vielfach eine Leistungspflicht - auch, wenn das Coronavirus nicht explizit im Vertrag genannt wird und viele Versicherer nicht die volle Summe erstatten wollen. Der Versicherungsbote sprach mit dem Juristen über die Rechtslage und über den Bayrischen Kompromiss, der den Firmen immerhin 15 Prozent der vereinbarten Versicherungsleistung zusichern soll.
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- ...Kompromiss der Landesregierung
Versicherungsbote: Herr Schwintowski, seit Tagen wird in den Medien über Betriebsschließungs- und All-Risk-Versicherungen für Gewerbekunden debattiert, die einen Pandemie- oder Seuchenbaustein nach dem Infektionsschutzgesetz enthalten. Manche Versicherer leisten anstandslos, schon wenn eine behördliche Allgemeinverfügung erging. Viele Versicherer aber wollen nun nicht voll zahlen - und bestreiten, in der Leistungspflicht zu sein. Wie ist Ihre Einschätzung: Ducken sich die Versicherer weg, wie Versicherungsmakler nun den Anbietern vorwerfen? Oder ist das „nein“ berechtigt?
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Hans-Peter Schwintowski: Die letztlich entscheidende Frage ist, wie die Versicherer ihre Leistungsverpflichtung in den allgemeinen Bedingungen formuliert hatten. Wenn die Leistungspflicht an das Infektionsschutzgesetz anknüpft dann, so meine ich, wird der Versicherer leisten müssen, auch wenn das Wort Corona damals im Gesetz noch nicht stand. Denn: die Aufzählung im Gesetz ist nur beispielhaft. Das heißt, das Gesetz war und ist von Anfang an auch auf die Corona-Problematik anwendbar gewesen. Wenn ich mit dieser Meinung recht habe, dann würde das bedeuten, dass die Versicherer leistungspflichtig sind, weil Corona ein Fall ist, der unter das Infektionsschutzgesetz fällt.
Einige Versicherer berufen sich nun drauf, dass zwar Versicherungsschutz bestehe, wenn Behörden aufgrund des Infektionsschutzgesetzes einen Betrieb dichtmachen mussten: aber ausschließlich für jene Krankheiten, die namentlich in den Vertragsbedingungen genannt werden. Dumm nur, dass das Coronavirus erst im Januar 2020 vom Bundesgesundheitsministerium als meldepflichtige Krankheit registriert wurde, folglich in vielen Altverträgen fehlt. Wenn ich richtig informiert bin, gehen Sie davon aus, dass die Versicherer trotzdem zahlen müssen - weshalb und auf welcher Grundlage?
Sie haben völlig recht, das ist die Frage, um die es entscheidend geht. Wie gesagt: Im Gesetz konnte das Wort Corona noch nicht stehen, weil wir einen solchen Fall bisher nicht hatten. Aber: die Aufzählung im Gesetz war und ist beispielhaft. Anders formuliert: Jeder Mediziner wusste selbstverständlich, dass eine Corona-Pandemie unter das Infektionsschutzgesetz fällt. Und zwar deshalb, weil das Virus so ähnlich wirkt wie vergleichbare Viren in der Vergangenheit. Der Gesetzgeber hat zwar inzwischen auf das Coronavirus ausdrücklich hingewiesen, aber dies nur aus Klarstellungsgründen. Das heißt, der ausdrückliche Hinweis auf Corona bestätigt sozusagen eine Rechtslage, die vorher schon bestand.
Ein weiterer Grund für die verweigerte Zahlung: In vielen geschlossenen Betrieben sei keine Infektion festgestellt worden. Erst wenn die Seuche in der Firma selbst auftrete, müsse der Versicherer zahlen. Eine flächendeckende, ja sogar landesweite Schließung hingegen sei nicht Gegenstand des Versicherungsschutzes. Aus Ihrer Sicht ein tragfähiges Argument, nun die Leistung zu verweigern? Kommt es hier auf die konkrete Ausgestaltung des Vertrages an?
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Bei dieser Frage, meine ich, kommt es tatsächlich auf die konkrete Ausgestaltung des Vertrages an. Ich bin nicht ganz sicher, ob alle Verträge mit Blick auf präventive Betriebsschließungen gleich gestaltet sind. Ich vermute aber, dass dies nicht der Fall ist. Der Versicherungsschutz kann sich auf den Fall der vorsorglichen Schließung beziehen. Aber er kann auch so ausgestaltet sein, dass erst dann eine Leistung ausgelöst wird, wenn die Seuche im Unternehmen tatsächlich auftritt.
...Kompromiss der Landesregierung
Versicherungsbote: Die Bayerische Landesregierung hat mit Hotel- und Gaststättenverbänden und Versicherern einen Kompromiss erzielt: Maximal sollen für bestehende Betriebsschließungs-Policen 15 Prozent der Versicherungssumme für 30 Tage erstattet werden. Viele Versicherer argumentieren, sie kommen damit aus Kulanzgründen ihren Gewerbekunden entgegen: Und verlangen im Gegenzug nun, dass die Betroffenen von weiteren rechtlichen Schritten absehen. Wie bewerten Sie diesen Kompromiss?
Hans-Peter Schwintowski: Diesen Kompromiss kann ich sehr schlecht bewerten: einfach deshalb, weil ich nicht weiß, wie die Vertragsbedingungen, über die in Bayern verhandelt wurde, tatsächlich aussahen. Ich würde empfehlen, dass jeder Kunde seine eigene Police genauestens anschauen sollte. Wenn danach eine Leistung in voller Höhe über einen längeren Zeitraum geschuldet ist, dann sollte der Kunde den Anspruch, den er hat, auch einfordern. Der Kompromiss bezieht sich ja nicht auf die Ebene des einzelnen Kunden, sondern auf das Verhältnis der Bayrischen Landesregierung zu den Versicherern.
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Eine Öffnungsklausel in Betriebsschließungs-Policen dürfte meines Wissens bewirken, dass Versicherer auch für nicht benannte Krankheiten nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) nun zahlen müssen. Besteht für Versicherungsmakler nun ein Haftungsrisiko, wenn sie Gewerbekunden einen Vertrag empfahlen, der keine solche Klausel beinhaltete - etwa wegen Falschberatung?
Ich glaube, eine solche Haftungsgefahr besteht nicht. Zunächst einmal ist schon fraglich, ob wir es mit einer Öffnungsklausel zu tun haben, oder ob es nicht tatsächlich so ist, dass das Infektionsschutzgesetz schon immer potentiell vergleichbare Fälle - und damit auch Corona - umfasste. Darüber hinaus aber müsste man einem Makler vorwerfen können, dass er das Corona-Risiko hätte voraussehen können und müssen. Schließlich müsste man dem Makler nachweisen, dass es Versicherungsschutz mit oder ohne Öffnungsklausel am Markt gab - und dass er darüber hätte nachdenken und beraten müssen.
Allianz-Chef Oliver Bäte warb im Spiegel für einen Rettungsfonds, in den künftig sowohl die öffentliche Hand als auch private Versicherer einzahlen. Er soll aufkommen, wenn so hohe Kosten entstehen, dass es die private Versicherungswirtschaft überfordern könnte: etwa bei Pandemien und Naturkatastrophen. Wie bewerten Sie den Vorstoß? Gibt es bereits die gesetzlichen Voraussetzungen für einen solchen gemeinsamen Schutzschirm?
Den Gedanken von Allianz-Chef Bäte finde ich gut und nachvollziehbar. Pandemien und Naturkatastrophen betreffen uns alle gleichermaßen, sie sind kaum vorhersehbar und schon gar nicht steuerbar. Gegen Risiken dieser Art kann man sich nicht angemessen versichern: und zwar deshalb, weil sie unkalkulierbar sind. Dennoch müssen wir alle zusammen diese Risiken tragen. Die Konsequenz daraus lautet: Wir schaffen uns einen gemeinsamen Rettungsschirm, der aus Mitteln der öffentlichen Hand und der Privatwirtschaft gebildet wird - und dieser Schirm trägt uns dann so einigermaßen durch die Katastrophe.
Der Nobelpreisträger Milton Friedman hat genau dieses mit Blick auf die Weltwirtschaftskrise des Jahres 1929 entwickelt und gefordert, dass die Fehler, die damals gemacht wurden, in der heutigen Zeit nicht wiederholt werden dürfen. Eine Krise dieser Art können wir nur gemeinsam durchstehen: Das heißt, wir müssen sie auch gemeinsam finanzieren. Wenn wir das tun, werden wir alle mit Blessuren aus der Krise herauskommen, aber: wir werden insgesamt die Krise meistern und die Verluste werden für jeden Einzelnen erträglich sein.
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Die Fragen stellte Mirko Wenig
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