Was Allianz-Chef Oliver Bäte vor einer Woche in einem Spiegel-Interview gefordert hat, könnte nun in eine branchenweite Initiative münden: Mehrere deutsche Versicherer fordern aktuell einen gemeinsamen Pandemie-Schutzschirm von Privatwirtschaft und öffentlicher Hand. Ein solcher Schutzschirm sei notwendig, weil die Schäden einer Pandemie die finanziellen Möglichkeiten der privaten Versicherer übersteigen. Mit anderen Worten: Das Risiko einer Pandemie wäre nach den Erfahrungen der Coronakrise möglicherweise nicht mehr versicherbar, wenn nicht der Staat den Versicherern unter die Hände greift: weder für Privatpersonen noch für Unternehmen.

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…“vergleichbar mit der Explosion eines Atomkraftwerks“

„In einem Extremszenario wie einer Pandemie wird das private Kapital nie ausreichen, da brauchen wir immer eine Partnerschaft zwischen öffentlicher Hand und Privatwirtschaft“, sagte Bäte dem „Spiegel“. Die Coronakrise verglich er mit einem Atom-GAU. „Wir haben es mit einer gewaltigen Pandemie zu tun und, bedingt dadurch, mit einem Systemausfall. Das ist vergleichbar mit Katastrophen wie Erdbeben oder der Explosion eines Atomkraftwerks.“ (der Versicherungsbote berichtete)

Ähnlich äußert sich nun Christopher Lohmann, Vorstandschef der Gothaer Allgemeine. Er verwies auf andere Großschäden, für die Privatversicherer für gewöhnlich keinen Schutz bieten: etwa Großschäden bei Naturkatastrophen oder Krieg.

„Insbesondere bei den Volumina der staatlich beschlossenen Hilfsmaßnahmen wird deutlich, dass für Pandemien dieses extremen Ausmaßes privatwirtschaftlicher Versicherungsschutz nicht möglich ist“, sagte Lohmann dem „Handelsblatt“. Auch Axa-Chef Thomas Buberl forderte zuvor bereits einen gemeinsamen Schutzschirm von Versicherungswirtschaft und Staat.

Terror-Risiken: Der Staat haftet mit

Tatsächlich gibt es bereits Vorbilder für solche Kooperationen. Das „Handelsblatt“ nennt als Beispiel Extremus: ein deutscher Spezialversicherer mit Sitz in Köln, auf Terrorrisiken spezialisiert. Nach den Anschlägen des 11. September gegründet, kann der Versicherer im Falle versicherter Terroranschläge bis zu 2,5 Milliarden Euro pro Jahr bereitstellen. Doch der Staat unterstützt den Versicherer mit einer Garantie, so dass sich die Summe auf zehn Milliarden Euro hebeln lässt.

Risikoträger bei Extremus ist ein Konsortium aus Syndikaten, die am Versicherungsmarkt Lloyds in London organisiert sind. Stark vereinfacht schließen sich für ein Syndikat mehrere Erst- und Rückversicherer zusammen, um gemeinsam Risiken zu stemmen, die für einen Anbieter allein nicht finanzierbar wären.

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Laut „Handelsblatt“ bevorzugen viele Versicherungsvorstände ein solches Modell nun auch für Pandemien und Extremwetter-Ereignisse, die bisher nur eingeschränkt versicherbar sind: etwa Folgen von Dürren für die Landwirtschaft. Der Vorteil aus Sicht der Versicherer: die Politik hätte wenig Mitspracherecht, wie und in welchem Umfang die betroffenen Firmen versichert und entschädigt werden.

Kreditausfall für Firmen: Schutzschirm durch den Staat

Ein weiteres Beispiel einer solchen Kooperation ist die Zusammenarbeit des Bundes mit dem privaten Dienstleister Euler Hermes. Seit mehr als 70 Jahren sichern Exportkreditgarantien die Bundes deutsche Exporteure und die sie finanzierenden Banken gegen politisch und wirtschaftlich bedingte Forderungsausfälle ab. Die Bundesrepublik Deutschland trägt zum Großteil das Risiko des Zahlungsausfalls - der Unternehmer muss eine entsprechende Prämie hierfür zahlen. Dabei agiert der private Versicherer Euler Hermes als Dienstleister des Bundes: die Deckungs- und Entschädigungsentscheidung trifft hingegen der Bund (der Versicherungsbote berichtete).

Schutzschirm für Warenkredit-Policen

Mit Blick auf Warenausfall haben sich deutsche Kreditversicherer und die Bundesregierung nun auf eine Kooperation einigen können, wie der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) und Euler Hermes per Pressetext mitteilen. Deutsche Kreditversicherer haben die Lieferantenkredite zehntausender Firmen abgesichert: Sie springen ein, wenn Abnehmer offene Rechnungen nicht bezahlen können. Das Deckungsvolumen beträgt laut GDV 411 Mil­li­ar­den Euro.

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Aber in Zeiten der Coronakrise ist das Risiko des Zahlungsausfalls deutlich angestiegen: quer über alle Branchen hinweg und weltweit. Auch die Bonität vieler Firmen befindet sich im freien Fall. Damit der Schutz weiter angeboten kann, springt nun der Staat mit einer Bundesgarantie ein. Die Vereinbarung sieht konkret vor, dass der Bund gegenüber den Kreditversicherungen bis Jahresende eine Rückgarantie in Höhe von 30 Milliarden Euro für die Absicherung von Geschäftstransaktionen deutscher Unternehmen mit ihren in- und ausländischen Abnehmern stellt.

Betriebsschließung: Versicherer in der Image-Falle

Doch bis zu welchem Punkt ist die Branche bereit, tatsächlich in Krisenzeiten Verantwortung zu übernehmen? Der Streit um Betriebsschließungs-Policen lässt hier Zweifel entstehen, ob die Privatversicherer ihrer Aufgabe gerecht werden.

Anfangs weigerten sich viele Versicherer komplett, versicherte Firmen für Betriebsschließungen infolge des Coronavirus zu entschädigen: auch dann, wenn behördliche Schließungen infolge des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) laut Vertrag versichert waren. Die Begründung: Das neue Coronavirus COVID-19 werde nicht ausdrücklich im Versicherungsvertrag genannt. Kein Wunder, schließlich wurde es erst im Januar 2020 vom Gesetzgeber in die Liste meldepflichtiger Krankheiten aufgenommen.

Rechtsexperten wie der Jurist Hans-Peter Schwintowski sehen viele Versicherer dennoch in der Pflicht zu zahlen: auch dann, wenn das Coronavirus nicht explizit im Vertrag benannt wird. Dem Versicherungsboten sagte der Wissenschaftler: „Wenn die Leistungspflicht an das Infektionsschutzgesetz anknüpft dann, so meine ich, wird der Versicherer leisten müssen, auch wenn das Wort Corona damals im Gesetz noch nicht stand. Denn: die Aufzählung im Gesetz ist nur beispielhaft. Das heißt, das Gesetz war und ist von Anfang an auch auf die Corona-Problematik anwendbar gewesen. Wenn ich mit dieser Meinung recht habe, dann würde das bedeuten, dass die Versicherer leistungspflichtig sind, weil Corona ein Fall ist, der unter das Infektionsschutzgesetz fällt“.

Zwar haben die Versicherer mit der Bayrischen Landesregierung einen Kompromiss ausgearbeitet, der vorsieht, dass sie bis zu 15 Prozent der versicherten Summe für 30 Tage erstatten müssen. Das ist aber nur ein Bruchteil der vertraglich vereinbarten Summe: Wäre ein Versicherer tatsächlich voll leistungspflichtig, dann würde der Kompromiss die Kunden benachteiligen. Schließlich haben die Unternehmer oft jahrelang Beitrag gezahlt: in der Annahme, auch für behördlichen Schließungen versichert zu sein. Wenn die Gewerbetreibenden den Kompromiss akzeptieren, verpflichten sie sich zugleich, auf alle anderen Ansprüche aus dem Vertrag zu verzichten.

Versicherer gegenüber ihren Gewerbekunden mit harter Hand

Für einige Versicherer ist dieser Kompromiss nun Anlass, ihren Gewerbekunden die Pistole auf die Brust zu setzen und maximale Härte zu zeigen. Die Kunden sollen den bayrischen Kompromiss akzeptieren, also die deutlich niedrigere Summe: Andererseits werden sie vor die Tür gesetzt und müssen sich auf einen langen Rechtsstreit einlassen. Das geht aus Mitteilungen an die betroffenen Versicherungsnehmer hervor.

So zitieren Versicherungsmakler aus dem Anschreiben eines Versicherers an seine Kunden: "Meldet der Kunde einen Schaden und akzeptiert in der Folge unsere Vereinbarung nicht, sind wir zur Wahrung unserer Rechtsposition leider gezwungen, den Schaden abzulehnen und die BSV schadenbedingt zu kündigen."

Einen bitteren Beigeschmack haben solche Anschreiben nicht nur, weil sich die Assekuranzen nun selbst für ihre Solidarität in Pressetexten feiern. Sie nutzen die Notsituation ihrer versicherten Kunden aus. Gerade viele kleine Betriebe aus dem Hotel- und Gastronomiegewerbe haben solche Betriebsschließungsversicherungen abgeschlossen. Infolge des Corona-Lockdowns sind ihnen die Einnahmen weggebrochen, aber die Kosten laufen oft weiter. Laut dem Gewerbeverband Dehoga sind viele Firmen von der Insolvenz bedroht.

Bayrischer Kompromiss - oder Kurzarbeitergeld wird gestrichen

Ausgerechnet die Bundesarbeitsagentur greift den Versicherern nun indirekt unter die Arme und verschärft die Not der Gewerbetreibenden. In Anschreiben, die dem Versicherungsboten vorliegen, teilt sie den Unternehmen mit, dass ihnen das Kurzarbeitergeld verweigert wird, wenn sie mit einer Betriebsschließungs-Police vorgesorgt haben und der Versicherer leistet. Es sei denn, sie erhalten nicht die gesamte versicherte Summe, sondern nehmen mit dem Bayrischen Kompromiss Vorlieb: also mit der 15-Prozent-Regel.

Die Begründung für das Vorgehen der Arbeitsagentur: Bei der Bayrischen Lösung handle es sich um eine Kulanzregelung, quasi eine freiwillige Leistung. Das sei aber anders, wenn die volle versicherte Summe aus dem Vertrag an die Firma gezahlt werde: Diese Zahlung wird von der Bundesagentur als Vermögen betrachtet und sei entsprechend beim Kurzarbeitergeld anrechnungsfähig. Immerhin sei auch bei „Hartz IV“ Tenor des Sozialrechts, dass privates Vermögen verrechnet werde.

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Gerade kleine und mittelständische Firmen dürften sich nun auf diesen Kompromiss einlassen, weil sie schnell Geld brauchen und ihre Angestellten zudem in Kurzarbeit stecken. So bleibt ungeklärt, ob sie Anrecht auf die volle Summe aus der Betriebsschließungs-Police haben: abhängig natürlich von der individuellen Ausgestaltung der Verträge. Ärgerlich ist dieser Konflikt auch für jene Gesellschaften, die tatsächlich anstandslos geleistet haben. Denn die negative Berichterstattung in vielen Medien trifft die gesamte Branche.

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