Politische Deregulierung als Ursache des „Wildwuchses“
Was aber sind die Gründe der Missstände? Weinmanns Artikelserie zielt in mehrere Richtungen. So ist ein Vorwurf an die Politik nicht zu überhören, wenn Weinmann für eines seiner Fazits formuliert: Die Unvergleichbarkeit der Produktebene sei "eine Folge der Deregulierung".
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Im Jahr 1994 hätte die Deregulierung zunächst "zögerlich" eingesetzt. Dann aber wäre sie "mit Vehemenz" pervertiert. In diesem Kontext übt Weinmann auch Kritik an der Aufhebung der Promillegrenze, die zwischen 1995 und 2008 galt – damals waren Abschluss- und sonstige Provisionen auf maximal 40 Promille begrenzt aufgrund des Rundschreibens VerBAV 5/95 des ehemaligen Bundesaufsichtsamts für das Versicherungswesen (BAV).
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In 2008 aber wurde dieser alte „Provisionsdeckel“ fallengelassen unter der Begründung, dass „eine höhere Transparenz und Vergleichbarkeit der vielfältigen Produkte untereinander gewährleistet wird.“ Aus Sicht Weinmanns erscheint eine solche Begründung „im Nachhinein blauäugig“.
Niedrigzins verschlechtert Partizipation der Versicherten
Freilich: Erschwerend kommt das Niedrigzinsumfeld hinzu. Schon die Mindestzuführungsverordnung von 2008 hätte laut Weinmann eine „Verschlechterung der Partizipation der Versicherten am Rohüberschuss“ bewirkt. Dies wurde nochmals verschärft durch durch die Niedrigzins- und Negativzinsphase.
Denn damit Altgarantien weiterhin bedient werden können, erhöhte der Gesetzgeber die Eigenkapitalerfordernisse – man denke nur an die Einführung obligatorischer Sicherheitspuffer wie der Zinszusatzreserve in 2011.
Was aber unter diesen erschwerten Bedingungen der Branche durch fehlende Verbraucherorientierung auf der Strecke blieb, ist laut Weinmann die „Vergleichbarkeit und Fairness“. Zur Fairness gegenüber dem Versicherungsnehmer zählt der Professor auch eine „strikte Kostendisziplin“. Zumal ihm die Branche als „Hochlohnbranche“ gilt – nur Kostendisziplin würde in einer solchen Branche die Fortentwicklung sichern.
"Regulatorische Folgerungen": Die Vorschläge an den Gesetzgeber
Solche Beobachtungen führten Weinmann zu mehreren „regulatorischen Folgerungen“:
- So müssten Kostenergebnisse für die Feststellung der "wahren" Betriebskosten offengelegt werden. Weinmann fordert unter anderem eine damit einhergehende "Neuordnung der Ergebnisquelle übriges Ergebnis".
- Auch müsse der "kalkulatorischen Willkür" im Bereich der Abschlusskosten Einhalt geboten werden. Die Forderung bezieht sich auf Möglichkeiten wie das Einfordern doppelter Abschlusskosten – ein zu großer Spielraum führt hier zu Willkür gegenüber dem Kunden.
Deckelung der Abschlusskosten auch für Biometrieprodukte
Nach jetzigem Stand sind für Weinmann auch die Abschlusskosten in der Lebensversicherung durch den Gesetzgeber zu begrenzen. Konkret empfiehlt der Wissenschaftler Folgendes:
- Die Abschlusskosten sollen derart begrenzt werden, dass kein Spielraum für die Unternehmen möglich ist. Hinfällig wäre damit auch jene Möglichkeit des aktuellen Gesetzentwurfs mit Stand vom 18.04.2019, bei Erfüllung bestimmter Qualitätskriterien eine höhere Provision zu zahlen. Allerdings dürfe die Begrenzung der Abschlusskosten auch nicht für die Unternehmen "wirtschaftlich strangulierend“ sein.
- Freilich: Die Vorschläge von Weinmann betreffen Abschlusskosten und nicht nur Provisionen. Denn der Wissenschaftler führt ja aus, dass sich selbst bei hohen Abschlusskosten verschiedener Versicherer der Anteil der Provisionen daran unterscheidet. Statt von einem "Provisionsdeckel" könnte man deswegen – mit Blick auf die Vorschläge – eher von einem "Abschlusskostendeckel" sprechen.
- Eine strikte Begrenzung der Abschlusskosten solle sogar auf Biometrieprodukte ausgedehnt werden. Das begründet der Professor mit einem Auseinanderdriften von Bruttobeitrag und Zahlbeitrag aufgrund des Wettbewerbs: Von Anfang an würde bei Biometrieprodukten eine hohe Überschussbeteiligung erfolgen. Jedoch führt dies aus Sicht Weinmanns zu einem Beitragssteigerungsrisiko des Kunden, während der Vermittler entlohnt würde, als hätte sich das Beitragsrisiko bereits im vollen Umfang realisiert.
Die Alternative: Streichung des Provisionsabgabeverbots
Würde aber keine Begrenzung der Kosten erfolgen, dann fordert Weinmann eine Streichung des Sondervergütungs- und Provisionsabgabeverbots aus Paragraph 48b des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG). Verbrauchernahe Akteure wie der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) fordern schon länger diese Abschaffung des Verbots, Provisionen an die Kunden auszukehren. Sie erhoffen sich davon, dass dem Vertriebswettbewerb um Provisionshöhen die Grundlage entzogen wird und sich ein Nettopreissystem durchsetzt (siehe Stellungnahme der Verbraucherzentrale vom 12. Dezember 2016 zum Vertrieb von Versicherungen).
Hintergrund: Die Artikel mit Weinmanns kritischen Analysen sind erschienen in den Ausgaben 08/20 und 09/20 der Zeitschrift für das Versicherungswesen (ZfV).
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