Konrad Krause: Wir brauchen natürlich mehr Polizeiarbeit, um beim Fahrraddiebstahl wirklich den Trend zu brechen und das heißt vor allem: mehr Personal. Aber daneben sind auch andere Akteure in der Pflicht. Zuallererst die Besitzer der Räder selbst: Viele geklaute Räder waren eben nicht an einem festen Gegenstand angeschlossen. Zweitens die Kommunen, die für sichere Abstellanlagen, zum Beispiel an Bahnhöfen und im Straßenraum sorgen müssen. Und drittens die Wohnungswirtschaft, denn ganz viele Räder werden aus Höfen herausgestohlen, wo diebstahlsichere und abgeschlossene Fahrradständer meist nicht vorhanden sind und man als Mieter oft keine Chance hat, sein Rad sicher abzustellen. Da gäbe es viel Potential und erste Städte justieren auch auf Druck des ADFC ihre Bauordnungen zu diesem Thema nach.

Anzeige

Blickt man auf die Berichterstattung der Medien, scheint sie Vorurteile gegenüber Radfahrern teils zu bestärken. „Radfahrer verursachen immer mehr Unfälle“, schrieb zum Beispiel vor kurzem dpa — obwohl bei verunfallten Radfahrern, Alleinunfälle eingerechnet, diese „nur“ zu 40 Prozent Hauptverursacher sind. Die „WELT“ gibt, weitestgehend unkommentiert, einen Kommentar von Bernd Irrgang wieder, Vorsitzender des Bundes der Fußgänger: „Es liegt in der Natur des Radfahrers, dass er 90 Prozent der für ihn geltenden Regeln ignoriert“. Woher rühren aus Ihrer Sicht derartige Vorurteile? Was hilft dagegen?

Radfahrer sind - so lange sie es gibt - immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt gewesen, gesetzlos zu sein, sich über Regeln hinwegzusetzen, latent gegen gesellschaftliche Konventionen zu verstoßen. Das fängt bei Rad fahrenden Frauen im 19. Jahrhundert an, die sich skandalöserweise weigerten Röcke zu tragen und ich bin mir sicher, es hört beim heute immer wieder ertönenden Vorwurf nicht auf, Radfahrer seien selbst Schuld an Unfällen, solange sie keine Warnweste trügen. Das ist natürlich völlig absurd: Niemand käme angesichts einer ungleich größeren Zahl an Unfällen mit Autos auf die Idee, die Zulassung eines Kraftfahrzeugs an eine neongelbe Lackierung zu koppeln.

Ich denke, im Kern geht es darum, welche Form der Alltagsmobilität wir in Deutschland heute als Normalität wahrnehmen und welche Form eher die Ausnahme darstellt. Und Dinge, die normal sind, werden nicht hinterfragt - wer etwas unnormales tut, muss sich hingegen dafür rechtfertigen. Niemand würde je auf die Idee kommen, eine Autohelmpflicht zu verlangen - obwohl die Zahl der schweren Kopfverletzungen bei Autoinsassen ungleich größer ist als bei Radfahrern. Ich erlebe da gerade aber auch einen Wandel des Diskurses, der mich grundsätzlich hoffnungsvoll stimmt. Und in den Niederlanden redet schon lange niemand mehr über die kriminelle "Natur des Radfahrers" - schließlich legen dort inzwischen nahezu alle Leute Wege mit dem Rad zurück.

Anzeige

Die Fragen stellte Mirko Wenig. Das Gespräch fand vor dem Corona-Lockdown statt.

vorherige Seite
Seite 1/2/3/