Exemplarisch hat Seitz Allgemeine Versicherungsbedingungen ausgewertet und rechtlich bewertet. Und sein Fazit ist deutlich: In der Mehrheit der untersuchten Fälle sieht er die Versicherer in der Einstandspflicht. Der Versicherungsbote stellt ausgewählte Argumente vor, warum Versicherer aus Sicht des Experten leisten müssen.

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Betriebsschließung als Einzelfall und bei Epidemie oder Pandemie – was ist versichert?

Allgemeine Versicherungsbedingungen vieler Betriebsschließungsversicherer machen es ihren Kunden nicht leicht. So heißt es in den AVB einer Versicherung: Der Versicherer leiste Entschädigung, „wenn die zuständige Behörde“ aufgrund des Infektionsschutzgesetzes beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger „den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt.“

Gilt dies nur, wenn eine für den Betrieb zuständige Behörde den einzelnen Betrieb schließen lässt? Oder sind auch Verordnungen eines zuständigen Ministeriums im Falle einer Epidemie oder einer Pandemie als „Schließung durch die zuständige Behörde“ anzusehen? Im Grunde lässt sich diese Frage durch derartige Klauseln nicht entscheiden – sie sind schlicht mehrdeutig.

Einige Versicherer wollen nur für den Einzelfall leisten

Das Problem einer solchen Mehrdeutigkeit zeigt sich nun in Zeiten der Corona-Pandemie. Denn während viele Versicherungsnehmer davon ausgingen, dass auch generelle Schließungen der Betriebe (zum Beispiel aufgrund der Corona-Pandemie) vom Versicherungsschutz erfasst werden, verweigern nun Versicherer die Zahlungen mit dem Argument, nur der Einzelfall einer Betriebsschließung sei versichert.

Mehrdeutige Formulierungen gehen zulasten des Versicherers

Wie aber ist ein solches Argument zu bewerten? Zumindest für Walter Seitz, den ehemaligen vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht München, ist die Sache entschieden. Denn laut dem Rechtswissenschaftler sind auch Allgemeinverfügungen oder Verordnungen eines zuständigen Ministeriums als „Schließung durch die zuständige Behörde" anzusehen. Denn mehrdeutige Formulierungen in Geschäftsbedingungen gehen – gemäß Paragraph 305c Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) – zulasten des Verwenders und damit des Versicherers. Will der Gesetzgeber doch vermeiden, dass trickreiche Mehrdeutigkeiten zur Verletzung der Vertragspflichten führen. Demnach müssen Ausschlüsse deutlich – eindeutig – definiert werden.

Seitz erinnert in diesem Kontext auch daran, dass eine Pandemie keineswegs unerwartet auf die Versicherer traf. Denn die Bedrohung durch verschiedene Erreger – MERS zum Beispiel oder das SARS-Virus – kündigte das Bedrohungsszenario in den letzten Jahren an. Die Versicherer hätten zeitig mit deutlichen Ausschlüssen darauf reagieren können, wie Seitz schreibt, denn "es lag in der Hand der Versicherungsunternehmen, die Fälle von Epidemie oder Pandemie in ihren AVB zu regeln." Das aber haben sie nicht gemacht.

Rechtsprechung fordert kundenfreundliche Auslegung der AVB

Versicherungsbedingungen aber müssen so ausgelegt werden, wie sie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse verstehen würde. Versicherer mit mehrdeutigen Klauseln geraten also in die Leistungspflicht. Für dieses Schluss verweist der Rechtsexperte auch auf die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Az. IV ZR 104/17 oder Az. IV ZR 302/16).

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Für das Argument einer Einstandspflicht spricht auch, dass viele der durch Seitz untersuchten Versicherungsbedingungen pauschal auf das Infektionsschutzgesetz (IfSG) verweisen. Und schon deswegen hätte man die AVB so verstehen müssen, dass auch bei Epidemien und Pandemien Versicherungsschutz besteht. Denn der Rechtsexperte stellt in diesem Kontext heraus, dass schon im Jahre 2000 die entsprechenden Paragraphen – Paragraph 6 und Paragraph 7 des IfSG – einundzwanzigmal den Wortbestandteil „epidem“ enthielten. Schon dieses Tatsache widerspricht der Annahme, ein Versicherer müsste nur im Falle einer einzelnen Betriebsschließung, nicht aber im Falle einer Epidemie oder einer Pandemie leisten.

Muss „Covid-19“ in den AVB genannt werden?

Doch nicht nur an der Frage, ob die AVB generelle Betriebsschließungen abdecken, entzündet sich aktuell der Streit um die Betriebsschließungsversicherungen. Viele Assekuranzen argumentieren zudem: Nur jene Seuchen seien über die BSV versichert, die namentlich im Vertrag genannt werden. Zwar ist fast allen Vertragswerken ein Verweis auf das Infektionsschutzgesetz (IfSG) gemein – Versicherungsschutz besteht für meldepflichtige Krankheiten gemäß Paragraph 6 und Paragraph 7 des IfSG. Allerdings enthalten viele Versicherungsbedingungen überholte Listen aus vergangenen Jahren, in denen meldepflichtige Erreger nach aktuellem Stand fehlen.

Versicherer machen sich nun ihre alten Listen zum Argument: Weil das Coronavirus Covid-19 erst im Januar 2020 durch das Bundesgesundheitsministerium als meldepflichtige Krankheit erfasst wurde, fehlt es in den meisten Verträgen – die Versicherer sehen sich sprichwörtlich aus dem Schneider und argumentieren, sie müssten für Betriebsschließungen wegen Covid-19 nicht zahlen. Wie aber bewertet Rechtsexperte Seitz dieses Argument?

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Wirksame Leistungsausschlüsse laut Experte selten

Zunächst: Auch aus Sicht des Experten gibt es in der Tat Vertragswerke mit wirksamen Leistungsausschlüssen. So ist deutlich in den AVB eines Versicherers formuliert: „Sind Krankheiten und Krankheitserreger, die im Infektionsschutzgesetz genannt sind, in den nachfolgenden Aufstellungen nicht enthalten, besteht hierfür im Rahmen dieses Vertrages kein Versicherungsschutz.“ Ein solch deutlicher Ausschluss nimmt den Versicherer laut Experte Seitz tatsächlich aus der Leistungspflicht, falls „Covid-19“ nicht genannt wird.

Freilich: Für das Produkt sprechen solche Bedingungen – trotz größerer Transparenz – dennoch nicht. Pointiert doch der Rechtsexperte: Weil neue Erreger hier tatsächlich nicht unter den Versicherungsschutz fallen, handle es sich um eine “eher unbrauchbare Versicherung gegen Betriebsschließungen“. Seitz sieht die Makler in der Pflicht, vor Nachteilen solcher Policen zu warnen.

Die meisten Versicherungen müssten trotz Nicht-Nennung des Virus zahlen

Jedoch: Die Vertragswerke der meisten Anbieter haben – trotz Auflistung von Krankheiten – keine wirksamen Leistungsausschlüsse. Und dies trifft immer dann zu, wenn der Versicherungsschutz für neue meldepflichtige Krankheiten nicht explizit und eindeutig ausgeschlossen wird. Bei fünf der sechs untersuchten AVB geraten die Versicherer demnach aus Sicht des Experten in die Leistungspflicht.

Pauschaler Verweis: Ein Problem der Versicherer

Das hat mehrere Gründe. Zum Ersten verweisen viele AVB pauschal auf die Paragraphen 6 und 7 des Infektionsschutzgesetzes. Ein solch pauschaler Verweis aber wird für die Versicherer zum Problem. Denn Paragraph 7 Abs. 2 IfSG definiert einen Auffangtatbestand – eine gesetzliche Vorschrift, die auch Fälle erfasst, die noch nicht durch eine andere Norm erfasst sind. Und eine Öffnungsklausel des Paragraphen ermöglicht, die Meldepflicht auf neue Krankheiten auszudehnen, die noch nicht in der Liste enthalten sind – auch diese werden meldepflichtig, sobald durch sie eine schwerwiegende Gefahr für die Allgemeinheit besteht. Dadurch erhält die Auflistung in Paragraph 7 IfSG einen dynamischen und auf die Zukunft hin offenen Charakter. Eine pauschale Verweisung der AVB auf das Infektionsschutzgesetz ist demnach ebenfalls dynamisch zu deuten: Versicherungsschutz besteht auch für neue Krankheiten wie Corona.

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Zweck der Auflistung: Auch bei Mehrdeutigkeit zugunsten des Versicherungsnehmers

Zusätzlich zur pauschalen Verweisung gerät der Versicherer laut Rechtsexperte Seitz aber auch dann in die Leistungspflicht, wenn der Zweck der Auflistung von Krankheiten in den Versicherungsbedingungen nicht eindeutig ist. Wird einem Versicherungsnehmer nicht durch explizite Leistungsausschlüsse deutlich, ob eine Liste endgültigen oder vorläufigen Charakter hat, greift wieder Paragraph 305c Abs. 2 BGB: Die Liste ist als dynamische Bezugnahme zu verstehen, die mehrdeutige Klausel geht erneut zulasten des Verwenders und damit des Versicherungsunternehmens.

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