Solvency II schuf Auskunftspflicht für zukünftige Verpflichtungen

Wer eine Versicherung abschließt, der muss sich darauf verlassen können, dass der Anbieter auch langfristig alle Leistungen erfüllen kann. Aber hat sich ein Unternehmen auch genügend gegen langfristige Risiken des Gesamtgeschäfts abgesichert? Informationen zu dieser Frage sind oft nur schwer zugänglich und sind durch ihre Komplexität auch oft schwer zu verstehen. Das europäische Aufsichtsregime Solvency II wollte diesem Problem abhelfen durch eine regelmäßige Auskunftspflicht für Verbraucher und Behörden. Grundlage ist die Delegierte Verordnung (EU) 2015/35.

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Ein Element dieser Auskunftspflicht ist der Bericht über Solvabilität und Finanzlage (Solvency and Financial Condition Report - SFCR) gemäß Artikel 290 ff. der Verordnung. Einen solchen Bericht müssen seit Mai 2017 auch Versicherer in Deutschland jährlich auf der Webseite zugänglich machen und anschließend sofort an die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) übermitteln.

Aktuell geschah dies für das Geschäftsjahr 2019: Mit Deadline zum 02.06.2020 stellten Versicherer ihre Berichte online. Der MAP-Report mit der stolzen Nummer 915 machte sich dies daraufhin zunutze, indem er schon zum vierten Mal die Solvabilität sowohl der Lebens- als auch der Krankenversicherer verglich.

Solvenzquoten: Ein Stress-Test für die Unternehmen

Die SFCR-Berichte dienen dazu, qualitative und quantitative Informationen über die Finanz- und Risikosituation den Verbrauchern leichter zugänglich zu machen – und zwar auf verständliche Weise. Besonders öffentlichkeitswirksam sind hierbei jene vorgeschriebenen Bedeckungsquoten zur Risikotragfähigkeit eines Unternehmens, die verpflichtend in den Berichten anzugeben sind.

So gibt die Brutto-Solvenzquote (SCR-Quote) die Risikotragfähigkeit eines Unternehmens an – Eigenmittel eines Versicherers werden ins Verhältnis gesetzt zu den Verpflichtungen gegenüber den Leistungsempfängern. Dieses Verhältnis wird allerdings nicht für eine Normalsituation ermittelt, sondern rechnerische Operationen simulieren eine wirtschaftliche Stresssituation. Diese Stresssituation tritt mit einer geringen Wahrscheinlichkeit von 0,5 Prozent (und damit nur einmal alle 200 Jahre) ein. Alle quantifizierbaren Risiken eines Unternehmens sollen bei der Berechnung der Solvenzquote bedacht werden.

Erreicht ein Versicherer unter diesen Vorgaben die Hürde von mindestens 100 Prozent, dann kann er in der simulierten Stress-Situation alle Verpflichtungen gegenüber seinen Kunden erfüllen – und erfüllt dadurch die Anforderungen von Solvency II.

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Einzelne Quoten: Nur Puzzleteile bei der Bewertung eines Unternehmens

Wie aussagekräftig aber ist ein Ranking der Versicherer nach Solvenzquoten? Wichtig ist: Sie ersetzen keine komplexen Analysen, sondern können nur ein Puzzleteil dieser Analysen sein. Das veranschaulichten die Experten von Franke und Bornberg, bei denen der MAP-Report seit 2019 beheimatet ist, in 2017 für die Lebensversicherung: Lebensversicherer haben mitunter auch durch riskantere Anlagestrategien niedrigere SCR-Quoten als die Konkurrenz, weil für risikoträchtige Geldanlagen unter Solvency II mehr Eigenmitteln hinterlegt werden müssten als für konservative Geldanlagen. Dies lässt dann zwar die Quoten sinken. Dennoch könnte der Lebensversicherer zumindest für bestimmte Kunden aufgrund solcher Anlagestrategien die richtige Wahl sein in Zeiten des Niedrigzins. Und dieses Problem nur partieller Aussagekraft durch einzelne Kennzahlen wird für die private Krankenversicherung noch offensichtlicher.

PKV: Beitragsanpassung als Einflussfaktor

Denn für die die PKV gilt mit noch größerer Dringlichkeit: Man sollte die Wahl eines Versicherers nicht ausschließlich von Deckungsquoten abhängig machen, sondern sollte eine Vielzahl weiterer Bedingungen beachten – individuelle Bedingungen für einen Kunden sind hier wesentlich. Eine wichtige Bedingung ist zum Beispiel die Stabilität der Beiträge bei einem Versicherer. Wird doch eine schlechte Risikosituation in der PVK zu großen Teilen durch die Gestaltung und Zusammensetzung des Tarif-Portfolios kompensiert. 
Aus diesem Grund wird auch ein großer Teil des Risikos in der PKV laut MAP-Chefredakteur Reinhard Klages „von den Kund*innen geschultert“.

Weil Krankenversicherer Beiträge „anders als in der Lebensversicherung" anpassen können, erzielen sie auch bessere Ergebnisse als die Lebensversicherer. Denn alle privaten Krankenversicherer sind mit Stand 2019 sogar unter der stimulierten Extremsituation solvent und können ihre Verpflichtungen gegenüber den Kunden unter einer solchen Situation bedienen. Hingegen schaffen insgesamt dreizehn Lebensversicherer in 2019 die Solvency II-Hürde nicht (der Versicherungsbote berichtete).

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Gute Solvenzquoten: Aussagegehalt mehrdeutig

Wie aber hängen gute Solvenzquoten mit anderen wichtigen Faktoren für die Wahl eines Versicherers – wie stabile Beiträge – zusammen? Ihr Aussagegehalt ist schlicht nicht eindeutig, solange man nicht weitere Informationen zurate zieht:

  • Zum einen könnte man mit Reinhard Klages die These aufstellen, dass Versicherer mit hohen Deckungsquoten besser gerüstet sind, „Tarife mit einer schlechten Risikoselektion zusätzlich durch Eigenmittel und nicht ausschließlich durch Beitragsanpassungen zu sanieren“. Bei Versicherern mit hoher Finanzkraft bestünde demnach für Krisensituationen eine geringere Gefahr, dass es zu den durch Kunden gefürchteten Prämiensprüngen kommt. Eine solche These vertrat in 2019 auch der renommierte Mathematiker Carsten Zielke von der Zielke Research GmbH (der Versicherungsbote berichtete).
  • Allerdings zeigten die damaligen Daten auch: Unter den vermeintlich beitragsstabilen Versicherern fanden sich einige Anbieter, die in den letzten Jahren die Prämien stark angehoben hatten. Demnach könnte es zumindest bei einige Versicherern mit guten Quoten auch durchaus sein, dass hohe Solvenzquoten auch durch Prämiensprünge zulasten der Kunden "erkauft" wurden. Letztendlich ist in Bezug auf Beitragssteigerungen eine hohe Deckungsquote folglich nicht eindeutig und es gilt umso dringlicher: SCR-Quoten gewinnen nur im Kontext weiterer Kennzahlen und auch weiterer Analysen zur Situation des Versicherers an Bedeutung.
  • Wichtig ist zudem, die Quoten – wie im aktuellen MAP-Report auch geschehen – über einen längeren Zeitverlauf zu analysieren. So fällt zum Beispiel auf, dass sich die Quote eines Versicherers, der Ottonova, von sagenhaften 2.039,2 Prozent in 2018 auf immerhin noch gute 645,6 Prozent in 2019 "verschlechterte" – trotz des guten Werts ein auffallender Sprung nach unten. Solch starke Schwankungen in den Quoten der Versicherer lassen sich nur dann einordnen, wenn Quoten über längere Zeitläufe hinweg untersucht werden.

Die besten und schlechtesten Solvenzquoten der PKV-Versicherer 2019

Wie aber entwickelte sich letztjährig die SCR-Bedeckung in der PKV im Durchschnitt aller 38 im MAP-Report 915 gerankten Krankenversicherer? Gegenüber dem Vorjahr 2018 verschlechterte sich der Wert leicht, liegt aber dennoch auf hohem Niveau: von 551,2 Prozent sank die durchschnittliche SCR-Quote über alle Krankenversicherer hinweg auf immerhin noch auskömmliche 538,7 Prozent. Vorauszusetzen ist: Quoten werden wieder ohne Volatilitätsanpassung und Übergangsmaßnahmen angegeben, um eine bessere Vergleichbarkeit zu sichern.

Übergangsmaßnahmen: In der PKV kaum gebraucht

Solche herausgerechneten Übergangsmaßnahmen schonen aktuell noch die Versicherer unter Duldung des Gesetzgebers – sie sollen genügend Zeit geben, um Geschäftsmodelle an strengere Anforderungen durch Solvency II anzupassen:

  • So ermöglicht Paragraph 82 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) die Volatilitätsanpassung: Anleihen dürfen höher bewertet werden, wenn sie nur vorübergehend an Wert verlieren – etwa, weil sie zu einem festen Wert später wieder verkauft werden.
  • Und Paragraph 352 Versicherungsaufsichtsgesetz ermöglicht Übergangsmaßnahmen für versicherungstechnische Rückstellungen auf der Passivseite des Unternehmens: Die BaFin kann Versicherern die Genehmigung erteilen, ihre Rückstellungen nicht sofort auf Grundlage von Solvency II zu bewerten, sondern erst nach und nach mit mehrjähriger Verzögerung.

Diese Übergangsmaßnahmen kommen aber in der PKV selten zur Anwendung – erneut ein auffallender Unterschied zur Leben-Sparte mit ihrem Niedrigzins-Problem bei Erwirtschaftung alter Garantien. Denn während in der Lebensversicherung 51 der 81 Gesellschaften in 2019 von den Erleichterungen Gebrauch machten, waren es in der PKV nur insgesamt sechs von 38 Gesellschaften:

  • So nutzten die Allianz, die Axa, die Central und die Envivas die Volatilitätsanpassung.
  • Die Vigo nutzte die Übergangsmaßnahmen für Rückstellungen.
  • Und nur ein Versicherer – die Gothaer – nutzte für die Berechnung ihrer Deckungsquoten sowohl die Übergangsmaßnahmen für Rückstellungen als auch die Volatilitätsanpassung.

Der geringe Gebrauch zeigt: In der PKV ist man weniger auf mildernde Übergangsregelungen zu Solvency II angewiesen als in der Lebensversicherung.

Die besten Solvenzquoten in der PKV

Welche PKV-Anbieter aber haben die besten Deckungsquoten, welche müssen sich hingegen mit den hinteren Rängen der Tabelle zur SCR-Bedeckung 2019 (ohne Volatilitätsanpassung und Übergangsmaßnahmen) zufrieden geben? Folgende Versicherer haben den besten Wert und stellen folglich die Top-Ten im Deckungsranking für ein Risikoszenario gemäß Solvency II:

  • Landeskrankenhilfe 1.497,8 %
  • R+V 847,9 %
  • SDK 842,5 %
  • Münchener Verein 834,0 %
  • FAMK 769,1 %
  • Provinzial 762,3 %
  • Universa 750,9 %
  • Alte Oldenburger 737,8 %
  • Hallesche 679,9 %
  • Ottonova 645,6 %

Die hinteren Ränge des Rankings

Und welche Versicherer landen auf den hinteren Rängen des Deckungs-Rankings? Zu bedenken ist hierbei: Die Quoten sind keineswegs „schlecht“. Denn alle PKV-Versicherer – auch die letztplatzierten – schaffen souverän die 100-Prozent-Hürde und haben demnach ausreichend Kapital, um eine Krisen-Situation zu überstehen, die nur alle 200 Jahre eintritt. Die letzten fünf Versicherer der Tabelle zur SCR-Bedeckung 2019 (ohne Volatilitätsanpassung und Übergangsmaßnahmen) sind, von Rang 34 bis 38:

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  • Nürnberger 308,2 %
  • HanseMerkur Speziale 290,1 %
  • Vigo 253,2 %
  • Axa 246,9 %
  • Ergo 193,7 %

Hintergrund: Zum Jahresbeginn 2019 erwarb die Franke und Bornberg Research GmbH vom VersicherungsJournal Verlag den Geschäftsbereich Map-Report. Damit holten sich die Rating-Experten eines der etabliertesten Ratings der Versicherungsbranche ins Haus: Seit 30 Jahren schon liefert der Map-Report Daten zu Sparten und Anbietern, seit einigen Jahren unter Verantwortung des Chefredakteurs Reinhard Klages. Der MAP-Report 915 wertet die Solvenzberichte der Lebensversicherer sowie auch der Krankenversicherer aus und kann auf der Webseite von Franke und Bornberg bestellt werden.

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