Wirecard galt einst als deutsches Vorzeigeunternehmen und Beispiel für den Siegeszug der FinTechs. Als Anbieter digitaler Bezahldienste und Online-Bankhaus standen die Münchener für einen neuen Typus des Finanzdienstleisters: digital, schnell, effektiv. Nicht einmal zwanzig Jahre nach der Gründung kickte der Konzern 2018 die Commerzbank aus dem Dax und stieg zu den wichtigsten deutschen Unternehmen auf: Sogar den Börsenwert des Branchenprimus Deutsche Bank konnte man deutlich überflügeln. Doch das scheint Vergangenheit, die Vorwürfe gegen das Unternehmen wiegen schwer.

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Der einstige Börsenstar ist tief gefallen: Und hat die gesamte deutsche Finanzbranche blamiert. Am 18. Juni musste Wirecard einräumen, dass er 1,9 Milliarden Euro an Anleger-Geldern verschwunden sind: Geld, das im Konzernabschluss noch genannt wurde, aber für das es keine Prüfnachweise gibt. Mittlerweile lautet der Vorwurf auf Bilanzbetrug. Eine Razzia in den Geschäftsräumen war die Folge, Firmenchef Markus Braun wurde verhaftet und ist auf Kaution wieder frei. Es ist eine Blamage für die gesamte deutsche Finanzelite: „Wirtschaftsprüfer, Aufseher, Ratingagenturen: Sie alle haben trotz massiver Zweifel an Wirecard weggesehen“, kommentiert die Süddeutsche Zeitung.

Argument gegen BaFin-Aufsicht?

Für den Bundesverband Finanzdienstleistung (AfW) als Interessenvertreter für Versicherungsmakler und Finanzanlagenvermittler ist der Wirecard-Skandal ein Anlass, um gegen einen unliebsamen Gesetzvorstoß vorzugehen. Die Aufsicht über 37.000 Finanzanlagenvermittler soll von den Industrie- und Handelskammern auf die BaFin übertragen werden, um eine einheitliche Aufsicht zu garantieren. Doch ist die BaFin der Aufgabe überhaupt gewachsen? Aus Sicht des Vermittlerverbandes nicht.

BaFin-Präsident Felix Hufeld hatte am Wochenende in einem Interview Versäumnisse eingeräumt - und scharfe Kritik auch an seiner Behörde geübt. "Das ist ein komplettes Desaster, das wir da sehen, und es ist eine Schande, dass so etwas passiert ist", sagte Deutschlands Chefaufseher. "Wir befinden uns mitten in der entsetzlichsten Situation, in der ich jemals einen Dax-Konzern gesehen habe.“ Seine wichtigste Botschaft: "Wir sind nicht effektiv genug gewesen, um zu verhindern, dass so etwas passiert“. Nun müsse die BaFin eigene Versäumnisse aufarbeiten.

Wenn es schon bei der jetzigen Finanzaufsicht hapere, könne die BaFin die zusätzliche Aufsicht über die vielen Finanzanlagenvermittler gleich gar nicht stemmen, argumentiert nun der AfW. Ein wichtiger Grund: Hierfür müssen zusätzliche Ressourcen geschaffen werden, die bei den Industrie- und Handelskammern bereits vorhanden sind. Laut BaFin-Vizepräsidentin Elisabeth Rögele seien bereits circa 40 Mitarbeiter -„erfahrene Aufseher“- abgestellt worden, um künftig die 37.000 betroffenen Gewerbetreibenden zu beaufsichtigen.

Frühe Hinweise auf Ungereimtheiten - und unterschiedliche Zuständlichkeiten

Erstmals hatte die britische Financial Times bereits 2015 über Ungereimtheiten in der Bilanz von Wirecard berichtet. Das Unternehmen stellte sich wiederholt als Opfer windiger Spekulanten dar, die falsche Gerüchte streuen. Dabei ist die BaFin als zuständige Aufsicht auch in einer Zwickmühle. Sie soll einerseits rechtzeitig Alarm schlagen, wenn es Auffälligkeiten bei Finanzkonzernen gibt. Warnt sie aber zu früh, kann die Behörde ein Unternehmen selbst in Schwierigkeiten bringen, die es zuvor nicht hatte: im Sinne einer selbsterfüllenden Prophezeiung. Dass Wirtschaftsprüfer und Ratinghäuser ebenfalls Wirecard stützten, dürfte die Versäumnisse der BaFin begünstigt haben.

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Ohnehin ist die BaFin nur für die Aufsicht der Bank-Tochter von Wirecard zuständig, wie das "Manager Magazin" berichtet. Für den Mutterkonzern in Geldwäsche-Fragen hingegen die Bezirksregierung Niederbayern, wo das Unternehmen als kleiner Zahlungsdienstleister gegründet wurde. Daran sei auch gescheitert, Wirecard nach der Veröffentlichung eines kritischen KMPG-Reports vor etwa sechs Wochen komplett unter BaFin-Aufsicht zu nehmen. Die späte Reaktion könnte folglich auch eine Folge der verstreuten Zuständigkeiten sein, was wiederum für eine einheitlichere Aufsicht sprechen würde.

Gesetz zur BaFin-Aufsicht steckt im Bundestag fest

Norman Wirth, Geschäftsführender Vorstand des AfW, kommentiert: „In Anbetracht des Wirecard-Skandals und der damit mehr und mehr öffentlich werdenden Versäumnisse auch der BaFin – ein Supergau! - erscheint es unmöglich, der BaFin zusätzliche Aufgaben zu übertragen. SPD-Finanzminister Olaf Scholz, das Finanzministerium und die BaFin sollten eher bereits bestehende Strukturen und Arbeitsweisen der BaFin hinterfragen und aufarbeiten, anstatt für viele Millionen Euro und mit viel Personal dort neue, völlig unnötige Strukturen für die 34f-Vermittler zu schaffen. Das geplante Gesetz ist so wertlos wie aktuell die Wirecard-Aktie!“

Zwist zwischen SPD und CDU

Ob das Gesetz kommt, ist aktuell aber ohnehin ungewiss. Nachdem sich die Große Koalition zunächst auf eine BaFin-Aufsicht für 34f-Vermittler verständigt hatte, steckt der Gesetzentwurf nun im Bundestag fest. Die zweite und dritte Lesung sollte eigentlich vergangenen Freitag stattfinden, wurde aber abgesagt und verschoben. Aktuell will vor allem die CDU/CSU nicht zustimmen, weil keine qualitative Besserung der Aufsicht zu erwarten wäre, sondern eher eine weniger effektive Kontrolle.

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Zum einen müssten sich die Finanzdienstleister auf deutlich steigende Kosten einstellen, wie aus dem Gesetzentwurf hervorgehe, so ist ein wichtiger Kritikpunkt. Das könne zu einer unfreiwilligen Marktbereinigung führen. Zum anderen entstünde für viele Dienstleister ein doppelter Mehraufwand: Viele Finanzanlagenvermittler sind auch als Versicherungsmakler tätig, deren Aufsicht aber bei den IHKen verbleibt. Sie müssten folglich künftig sowohl den Kammern als auch der BaFin Bericht erstatten (der Versicherungsbote berichtete).

Das SPD-geführte Bundesministerium für Finanzen drängt hingegen weiter auf einen schnellen Abschluss des Gesetzes. Und verweist darauf, dass Standards der Finanzaufsicht vereinheitlicht werden müssen. Nicht ganz unberechtigt, denn mit Blick auf die Ausbildung, den notwendigen Sachkunde-Nachweis und die Erlaubnis besteht aktuell ein Flickenteppich zwischen den IHKen: Es kann passieren, dass in einem Bundesland höhere qualitative Anforderungen an die Vermittler gestellt werden als in einem anderen. Teils unterscheiden sich die Standards schon von Handelskammer zu Handelskammer.

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FDP-Chef Lindner gegen BaFin-Aufsicht für Vermittler

Deutliche Kritik kommt nun auch von der FDP. "Kleine Finanzvermittler werden bürokratisiert, aber Betrügereien in einem börsennotierten Finanzdienstleister entgehen der Aufsicht", schrieb Parteichef Christian Lindner am Montag bei Twitter. Er fordert, den Wirecard-Skandal im Bundestag aufzuarbeiten: und die BaFin auf ihren Kernauftrag zu fokussieren.

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