Corona und Betriebsschließung: Erpresst die Continentale ihre Kunden?
Im Streit um Betriebsschließungs-Policen infolge des Corona-Lockdowns geben sich viele Versicherer hart: Sie wollen nicht zahlen oder drängen auf ein Vergleichsangebot nach Vorbild des „Bayerischen Kompromisses“. So sollen 15 Prozent statt 100 Prozent der vereinbarten Tagessumme durch den Kunden akzeptiert werden, um den Klageweg wegen verweigerter Leistung zu umgehen. Im Falle einer vollen Einstandspflicht wäre dieser Kompromiss faul zulasten der Kunden. Nun kommen schwere Vorwürfe gegen einen Versicherer hinzu: Kunden sollen durch ein Schreiben der Continentale genötigt werden, einer Vergleichsregelung zuzustimmen. Diesen Vorwurf erhebt Fachanwalt Stephan Michaelis in einem Rundschreiben per Mail – und nun in einem Kommentar beim „Versicherungsboten“. Die Kanzlei rät zur Strafanzeige.
- Corona und Betriebsschließung: Erpresst die Continentale ihre Kunden?
- Der Versicherungsnehmer wird geradezu genötigt, die Vergleichsregelung zu akzeptieren
- Der Versicherer missachtet im großen Stil die Rechtsordnung
Ein Gastkommentar von Stephan Michaelis
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Die „bloßen“ zivilrechtlichen Streitigkeiten ums liebe Geld können als Exzess auch schon mal bei den Strafrichtern zur Prüfung landen! Sowohl beim Tatbestand der Erpressung (Paragraph 253 StGB), aber auch bei dem „kleinen Bruder“ der Nötigung (Paragraph 240 StGB) stellt sich zunächst die Rechtsfrage, ob jemand mit einem empfindlichen Übel droht. Dann könnte eine solche rechtswidrige Drohung einer (unberechtigten) außerordentlichen Kündigung zumindest als strafrechtlich relevante Nötigung angesehen werden, wenn die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist.
Vielleicht empfinden genau so die Kunden der Continentale Sachversicherung AG, die sich durch ein „Muster-Schreiben“ in strafrechtlich relevanter Weise erpresst und genötigt fühlen? Nach unserer Auffassung ist das verfasste Schreiben der entscheidenden Mitarbeiter bei der Continentale Sachversicherung AG sogar als versuchte Erpressung im Sinne des Paragraphen 253 StGB anzusehen. Bei denjenigen Kunden, die daraufhin das Angebot akzeptiert haben, liegt sogar vollendete Erpressung vor, wenn die Kunden glaubten, keine andere Wahl gehabt zu haben.
Versicherer üben erheblichen Druck aus
Denn die Continentale Sachversicherung AG (Conti) - und auch andere Versicherer wie die Mannheimer Versicherung AG - üben in Sachen der Betriebsschließungsversicherung (BSV) erheblichen Druck über die Versicherungsmakler und auch direkt auf die BSV-versicherten Kunden aus. Wer den „Vergleich“ – oder besser das 15-Prozent-Angebot – nicht annehmen möchte, der wird eine Ablehnung des gemeldeten Schadenfalls zur Betriebsschließungsversicherung erhalten und auch eine außerordentliche (und hilfsweise ordentliche) Kündigung seines Betriebsschließungsversicherungs-Vertrages.
Was hat das eine aber mit dem anderen zu tun? Ist diese Verknüpfung nicht verwerflich? An die Vertriebspartner hat die Continentale Sachversicherung AG folgendes Rundschreiben verfasst. Als Anlage war diesem Rundschreiben dann das angekündigte Schreiben an die BSV-Versicherungsnehmer beigefügt, die das 15-prozentige Angebot noch nicht angenommen haben. Das Schreiben an diese Kunden mit Betriebsschließungsversicherung bei der „Conti“ finden Sie vom Wortlaut hier.
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Androhung der rechtswidrigen Kündigung als empfindliches Übel
Nach unserem anwaltlichen Dafürhalten ist die Androhung der rechtswidrigen außerordentlichen Kündigung des Versicherungsvertrages in der heutigen Zeit als empfindliches Übel anzusehen. Auch ist diese Androhung selbst rechtswidrig und es fehlt vollkommen der Zusammenhang zwischen dem „15-Prozent-Vergleichsschicksal“ und der Vertragsbeendigung. Hieraus ergibt sich die Verwerflichkeit:
- Unter rechtlichen Gesichtspunkten kann ein Versicherer nur dann außerordentlich kündigen, wenn ein Versicherungsfall unstreitig eingetreten ist. Dies wird seitens des Versicherers gerade in dem Schreiben in Abrede gestellt. Daher kann sich der Versicherer dann nicht auf ein außerordentliches Kündigungsrecht berufen. Dann hätte er schon den Versicherungsfall anerkennen müssen. Dies ist aber nicht offensichtlich geschehen.
- Ferner sind wir der Auffassung, dass nach den uns vorliegenden BSV-Versicherungsbedingungen der Continentale Sachversicherung AG diese nach überwiegender Wahrscheinlichkeit zu 100 Prozent leistungspflichtig ist. Wird hingegen in verwerflicher Weise suggeriert, es bestünde überhaupt kein Leistungsanspruch, obwohl dieser durchaus bestehen könnte, so ist es offensichtlich das (verwerfliche) Ziel, das Vermögen des Versicherungsnehmers zu seinem Nachteil zu reduzieren. Denn nach den Versicherungsbedingungen ist sein vertraglicher Leistungsanspruch als Vermögensbestandteil berechtigt. Erhält er jedoch nur 15 Prozent, so ist der Versicherungsnehmer um 85 Prozent entreichert.
Der Versicherungsnehmer wird geradezu genötigt, die Vergleichsregelung zu akzeptieren
Der Versicherungsnehmer wird geradezu „genötigt“, eine Vergleichsregelung unverzüglich zu akzeptieren, weil sonst ja die Kündigung folgt und nach einem Monat kein Versicherungsschutz mehr besteht. Das man heutzutage zumeist keine vergleichbare BSV-Police mehr abschließen kann, ist auch klar. Die Kündigung des existenzsichernden Versicherungsschutzes lässt sich also nur vermeiden, wenn die Kunden unverzüglich das „freiwillige“ Angebot des Versicherers annehmen, der ja ohnehin der (rechtsirrigen) Meinung sei, dass eine Leistungspflicht dem Grunde nach nicht bestünde.
Continentale: Aus unserer Sicht vollständig leistungspflichtig
Die Anwälte der Kanzlei Michaelis Rechtsanwälte bewerten dies allerdings anders. Wir vertreten schon die Auffassung, dass gerade auch die Continentale Sachversicherung AG zu den Versicherern zählt, die aufgrund des Versicherungsvertrages nach unserer Rechtsauffassung eher vollständig leistungspflichtig sind. Vielleicht sollten Sie als Maklerin oder Makler diese fachliche Einschätzung Ihren Kunden kommunizieren. Überdies sind wir der klaren Rechtsauffassung, dass ein außerordentlicher Kündigungsgrund überhaupt nicht besteht. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb der Versicherer mit einer Frist von einem Monat sich von dem Vertragsverhältnis lösen könnte. Diese Rechtsauffassung des Versicherers lässt sich offensichtlich nicht halten!
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Außerordentliches Kündigungsrecht nur bei Versicherungsfall
Denn das außerordentliche Kündigungsrecht besteht gemäß Paragraph 92 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) nur dann, wenn ein Versicherungsfall eingetreten ist. Der Versicherer schreibt aber selbst, dass nach seiner Auffassung gerade kein Versicherungsfall eingetreten ist. Dann kann er sich auch nicht auf ein außerordentliches Kündigungsrecht beziehen. Innerhalb der Branche gibt es glaube ich keinen, der zu diesem Thema eine andere Rechtsmeinung vertritt.
Gerade aber die Ankündigung einer rechtswidrigen außerordentlichen Kündigung, die rechtlich vollkommen unbegründet ist und den Versicherungsnehmer zu einer schnellen Entscheidung drängen soll, ist verwerflich. Außerdem fehlt es auch an einem Zusammenhang zwischen der angedrohten außerordentlichen Kündigung und dem Angebot, 15 Prozent zahlen zu wollen, obwohl nach Auffassung des Versicherers keine Leistungspflicht bestünde.
Tatbestand der versuchten Erpressung
Diese rechtliche Bewertung der Verwerflichkeit ändert sich nicht einmal dann, wenn der Versicherer mit einer rechtmäßigen ordentlichen Kündigung drohen würde. Auch hier ist der innere Zusammenhang gleichwohl verwerflich. Die Androhung einer Kündigung, die erfolgen soll, wenn ein Vergleich oder „Angebot“ nicht akzeptiert wird, ist stets als verwerflich anzusehen. Insbesondere, wenn über das „Angebot“ auf theoretische mögliche Versicherungsleistungsansprüche verzichtet werden soll. Dies erfüllt dann auch den Tatbestand der versuchten Erpressung.
Diese sachfremde Argumentation und Verknüpfung mit dem offensichtlichen Behaupten eines außerordentlichen Kündigungsgrundes, den es offensichtlich nicht gibt, ist doch gerade das besonders Verwerfliche an dem Verhalten des Versicherers. Der strafrechtliche Aspekt, weshalb wir dies jedenfalls als Nötigung erachten, haben wir in einem Musterschreiben ausführlicher dargelegt. Wir erklären uns auch damit einverstanden, dass dieses Musterschreiben von betroffenen Kunden unserer Makler gegenüber der Continentale Sachversicherung AG genutzt werden kann, um bei der für sie zuständigen Staatsanwaltschaft oder Polizeidienststelle Strafanzeige zu erstatten.
Der Versicherer missachtet im großen Stil die Rechtsordnung
Denn aus unserer Sicht geht es hier nicht mehr nur noch um die zivilrechtliche Auseinandersetzung, ums Geld. Es geht vielmehr darum, dass hier ein Versicherer im großen Stil die Rechtsordnung missachtet und einzelne ohnehin stark geschädigte Versicherungsnehmer in einer derartig rechtswidriger Weise unter Druck setzt – was schlichtweg von unserer Rechtsordnung nicht toleriert werden kann. Es ist aber nicht unsere Aufgabe, als Rechtsanwälte eine etwaige Strafanzeige selbst zu stellen. Es ist aber unsere Aufgabe, unseren Vermittlern und Maklern zu erklären, dass ein solches Verhalten der Continentale Sachversicherung AG nicht im Einklang mit der Rechtsordnung steht. Sie sollten auch hierüber Ihre Kunden unbedingt informieren.
In irreführender Weise wird die falsche Rechtsansicht behauptet, ein außerordentliches – kurzes – Kündigungsrecht würde bestehen. Dies geschieht unter Ausnutzung der Zwangslage des Versicherungsnehmers, da dieser dann innerhalb von einem Monat keinen neuen vergleichbaren Betriebsschließungsversicherer findet. Eine solche Kombination offenbart das „Drohen mit einem empfindlichen Übel“.
Hier ist offensichtlich eine Grenze des Zulässigen überschritten. Vermutlich ist es also die Aufgabe des Versicherungsmaklers, auf diese Themen die betroffenen Kunden hinzuweisen. Daher haben wir für die Versicherungsmakler, die von uns betreut werden, gleich die erforderliche Hilfestellung mitgeliefert. Natürlich sind wir auch der Rechtsmeinung, dass derartig geschlossene Vergleiche aufgrund dieses geschilderten Verhaltens des Versicherers rechtswidrig und nichtig sind. Wir verweisen auf unser ausführliches Interview mit Herrn Professor Dr. Hans-Peter Schwintowski.
Hinweis der Redaktion: Wir haben bei der Continentale angefragt und um Stellungnahme aufgrund der Vorwürfe gebeten. Sobald diese vorliegt, werden wir weiter berichten.
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- Corona und Betriebsschließung: Erpresst die Continentale ihre Kunden?
- Der Versicherungsnehmer wird geradezu genötigt, die Vergleichsregelung zu akzeptieren
- Der Versicherer missachtet im großen Stil die Rechtsordnung