Müssen gesetzlich Krankenversicherte Corona-Mehrkosten finanzieren?
Jens Spahn will für die Kosten der Coronakrise nun doch die gesetzlich Krankenversicherten zur Kasse bitten. Die Beitragszahler werden laut einem Zeitungsbericht die Hauptlast der Corona-Folgen im Jahr 2021 tragen müssen. Ursprünglich hatte Spahn zugesichert, dass der Bund die Hauptlast trägt.
Die gesetzlichen Krankenkassen müssen ihre Hoffnung aufgeben, dass der Bund den Großteil der Corona-Mehrkosten trägt. Stattdessen werden sie die notwendigen Mehraufwendungen sehr wahrscheinlich auf die Versicherten umlegen müssen - über höhere Zusatzbeiträge. Das berichtet der „Tagesspiegel“ am Mittwoch und beruft sich auf ein gemeinsames Finanztableau des Bundesgesundheits- und Finanzministeriums.
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Laut dem Papier ist vorgesehen, den jährlich zu zahlenden Bundeszuschuss für versicherungsfremde Leistungen zwar zu erhöhen - aber nicht im notwendigen Maß, um alle erwarteten Extra-Kosten abzudecken. Wurden für 2021 ursprünglich 14,5 Milliarden Euro aus dem Steuertopf eingeplant, soll der Betrag nun um weitere fünf Milliarden erhöht werden.
Es fehlen drei Milliarden Euro
Ursprünglich wird für das kommende Jahr ein Defizit von 16 Milliarden Euro erwartet: Der Zuschuss für versicherungsfremde Leistungen bereits eingerechnet. Zwar profitieren die Kassen davon, dass sie in den vergangenen Jahren dank der guten Konjunktur Reserven von 20,6 Milliarden Euro bilden konnten: Das Fünffache der gesetzlich vorgeschriebenen Rücklage von 0,2 Monatsausgaben. Diese sind zwischen den Anbietern ungleich verteilt: Jens Spahn will die reichen Kassen zwingen, von den Rücklagen oberhalb von 0,4 Monatsausgaben 66 Prozent abzugeben. Das spült acht Milliarden Euro in den Gesundheitsfonds.
Es bliebe 2021 ein Fehlbetrag von geschätzt drei Milliarden Euro, den folglich die Beitragszahler über höhere Zusatzbeiträge stemmen müssten. Die Kassen können zusätzlich auf verbleibende Rücklagen zurückgreifen, um mögliche Beitragssprünge abzufedern.
Kassenbeiträge für gesamtgesellschaftliche Aufgaben?
Bei den Kassenvertretern könnte das für Verärgerung sorgen. Der GKV-Spitzenverband hatte in einem internen Papier bereits angemahnt, dass die Mehrkosten nicht allein den Kassenpatienten aufgebürdet werden dürfen, sondern aus dem Steuertopf finanziert werden sollen. Der Grund: bei vielen Ausgaben handle es sich um gesamtgesellschaftliche Aufgaben, für die folglich auch die gesamte Bevölkerung einstehen müsse: etwa kostenlose Corona-Tests nach dem Urlaub, Rettungsschirme für Ärzte und Krankenhäuser etc.
Zudem bedeuten bereits die Gesundheitsreformen der letzten Jahre deutliche Mehrausgaben für die Krankenkassen: etwa durch die Pflegereform des 2. Pflegestärkungsgesetzes. Seitdem haben Pflegebedürftige Anspruch auf höhere Leistungen, die Zahl der Pflegekräfte soll aufgestockt werden. 1,2 Milliarden Euro gehen den Kassen auch verloren, weil seit 1. Januar 2020 ein neuer Freibetrag Betriebsrentner entlastet.
Reformen lassen Kassen ins Minus rutschen
Bereits zu Anfang des Jahres, als noch nicht abzusehen war, wie sich Corona entwickelt, stand fest, dass die gesetzlichen Kassen Verluste erwirtschaftet haben. In Summe wurde für 2019 ein Verlustbetrag von 1,6 Milliarden Euro angegeben. Verantwortlich dafür seien die gestiegenen Leistungsausgaben je Versicherten, argumentierte der GKV-Spitzenverband und rechnete vor, dass die Leistungsausgaben allein bei den Ersatzkassen um 5,6 Prozent gestiegen seien. Dem standen nur um 3,6 Prozent gestiegene Einnahmen gegenüber.
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Genau zum Zeitpunkt der Coronakrise greift zudem erstmals das Versichertenentlastungsgesetz. Es verpflichtet die Kassen, ihre Rücklagen abzubauen. Binnen drei Jahren sollen die Versicherer ihren Finanzpuffer auf maximal eine Monatsausgabe abschmelzen - und die Beiträge im Sinne der Mitglieder entsprechend senken. Das hilft zwar nun, die Kosten der Pandemie zu schultern: führt aber dazu, dass speziell kleinere Anbieter schon bald existentielle Probleme bekommen können. „Mehrere Kassen stehen an der Abbruchkante“, warnte ein ranghoher Kassenfunktionär, der anonym bleiben wollte, bereits im Juni.