Bundessozialgericht: Urteil zeigt erneut Lücken der gesetzlichen Unfallversicherung
Ein aktuelles Urteil zeigt erneut, welch große Lücken der gesetzliche Unfallschutz hat. Ein Mann war noch vor Ende der Schicht mit seinem PKW aufgebrochen und bei einem Unfall verstorben. Die Witwe und das hinterbliebene Kind erhalten jedoch keinerlei Hinterbliebenenleistungen, weil sich die Unfallversicherung querstellte: zu Recht, wie nun das Bundessozialgericht in Kassel bestätigt hat (Urteil vom 6. Oktober 2020, Az: B 2 U9/19R).
Es ist ein bitteres Urteil: Das aber erneut aufzeigt, wie groß die Lücken der gesetzlichen Unfallversicherung sind. Ein sächsischer Arbeiter, der vor Ende der Schicht bei laufender Maschine seinen Arbeitsplatz verlassen hatte, kam bei einem Unfall zu Tode, als er auf die linke Fahrbahn geriet und mit einem LKW zusammen stieß. Obwohl er sich auf direktem Weg zu seinem Haus befand, gehen seine Witwe und das Kind des Verunfallten nun leer aus. Die gesetzliche Unfallversicherung muss ihnen keinerlei Hinterbliebenenleistungen zahlen: zu Recht, wie nun das Bundessozialgericht in Kassel geurteilt hat.
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Schnell aufgebrochen, nicht ausgestempelt
Wie das Bundessozialgericht berichtet, war der Verunfallte als Produktionsmitarbeiter in einem sächsischen Reifenwerk tätig. Der 1991 geborene Mann verließ am 25.6.2014 während der Schicht bei laufender Maschine vorzeitig seinen Arbeitsplatz, ohne dass hierfür ein Grund ermittelt werden konnte. Er meldete sich nicht bei der Arbeitszeiterfassung ab.
Er fuhr danach unmittelbar mit seinem PKW auf der Route seines direkten Heimwegs vom Arbeitsplatz. Kurz vor dem Erreichen des Hauses kam es bei einem Abzweig zu dem tragischen Unfall. Entgegen seiner Gewohnheit hatte der Mann seine Frau nicht über den Fahrtantritt per SMS informiert.
Nach dem Tod ihres Mannes wendete sich die junge Witwe an die zuständige Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie, um sich Hinterbliebenenleistungen wie Witwen-, Waisenrente und Sterbegeld auszahlen zu lassen. Diese aber weigerte sich das Geld auszuzahlen.
Direkter Arbeitsweg? Nicht mehr nachweisbar
Zum Verhängnis wurde der Frau und ihrem Kind, dass nicht mehr eindeutig zu klären war, weshalb der Mann so plötzlich seinen Arbeitsplatz verließ. So konnte auch nicht ermittelt werden, ob er sich wirklich unmittelbar auf dem Nachhauseweg befand: Bedingung dafür, dass die Frau Anspruch gehabt hätte. Denn nur beim Verrichten der Arbeit und auf dem direkten Arbeitsweg besteht der gesetzliche Unfallversicherungs-Schutz.
"Der verstorbene Ehemann der Klägerin hat keinen Arbeitsunfall im Sinne des § 8 Abs 1 SGB VII erlitten, als er mit dem entgegenkommenden LKW kollidierte", heißt es im Terminbericht des Bundessozialgerichtes. Damit ein solcher Arbeitsunfall vorliege, müsse ein "erforderlicher sachlicher Zusammenhang des unfallbringenden Weges mit seiner Beschäftigung" vorgelegen haben. Stark vereinfacht muss eine Handlungstendenz vorliegen, die zur "vollen richterlichen Überzeugung" das Ziel hatte, direkt vom Arbeitsplatz nach Hause zu gelangen. Doch wegen der untypischen Zeit und dem plötzlichen Aufbruch ließ sich dieser Nachweis nicht mehr erbringen.
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Damit bleibt das Bundessozialgericht seiner strengen Linie in der Rechtsprechung treu: Die Witwe und ihr Kind erhalten keinen Cent aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Bereits im Januar hatte ein ähnliches Urteil für Aufsehen gesorgt: Demnach erlischt der gesetzliche Unfallschutz, wenn man auf dem Nachhauseweg kurz tankt und dabei einen Unfall baut. Hier die Begründung: Das Tanken selbst bedeute eine neue Handlungssequenz, die in keinem Zusammenhang mit der Arbeit mehr stehe (Urteil vom 30.01.2020, B 2 U 9/18 R). Und auch auf dem Weg vom Homeoffice zum Kindergartenplatz besteht kein Schutz, wenn die eigenen Kinder dort abgegeben werden müssen (Urteil vom 30.01.2020 - B 2 U 19/18 R).