PKV-Notlagentarif: Selbst Minimalversorgung nicht gewährleistet?
Der Notlagentarif in der privaten Krankenversicherung sorgt derzeit für Ärger. Der Grund: Die privaten Krankenversicherer dürfen erbrachte Leistungen gegen Beitragsschulden aufrechnen, wenn ein Betroffener zum Arzt muss oder medizinisch behandelt wird. Damit wird das ganze Konstrukt ad absurdum geführt, bemängelt die Linke im Bundestag: im Grunde bedeute das eine Leistungsverweigerung der Versicherer, weil den Betroffenen oft nichts anderes übrig bleibe, als die Arztrechnung aus eigener Tasche zu zahlen.
- PKV-Notlagentarif: Selbst Minimalversorgung nicht gewährleistet?
- 96.000 Menschen im Notlagentarif
Der Notlagentarif in der privaten Krankenversicherung wurde eigentlich geschaffen, um Menschen mit Beitragsschulden zu helfen. Wer in Beitragsrückstand gerät und diesen nach zweimaliger Mahnung des Versicherers nicht innerhalb einer Frist begleicht, landet zwangsweise im Notlagentarif. Der Versicherte hat darin nur Anspruch auf geringe Leistungen, nämlich bei akuten Erkrankungen und Schmerzen sowie Frauen bei Schwangerschaft.
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Doch ob der Notlagentarif tatsächlich geeignet ist, den betroffenen Menschen wenigstens ein Mindestmaß an Gesundheitsversorgung zu gewährleisten, daran meldet nun die Linke im Bundestag Zweifel an. Und richtet eine entsprechende kleine Anfrage an die Bundesregierung. Grund ist ein Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) von 2018. Demnach dürfen Versicherer erbrachte Leistungen bei der Notversorgung gegen Beitragsschulden aufrechnen: Im Zweifel müssen die Betroffenen ihre Arztrechnung dann selbst zahlen, so die Kritik.
Behandlung nur voll bezahlt, wenn keine Beitragsschulden?
Konkret heißt es in der kleinen Anfrage: „Wenn Versicherte im Notlagentarif eine Arztpraxis oder ein Krankenhaus aufsuchen müssen oder ein Medikament benötigen, reichen sie diese Rechnung bei ihrer Krankenversicherung ein. Die Krankenversicherung darf gemäß einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 5. Dezember 2018 (IV ZR 81/18) die Versicherungsansprüche gegen die Beitragsschulden aufrechnen. Versicherte im Notlagentarif müssen die Rechnung also selbst bezahlen, wenn sie die Leistung in Anspruch nehmen wollen oder müssen“.
Das führe zu der völlig absurden Situation, dass der Tarif Menschen mit Beitragsschulden helfen soll - aber genau diese Schulden Grund dafür sind, dass sie keinen Arzt aufsuchen. Denn ihnen bliebe nur die „Wahl“, die Kosten aus eigener Tasche zu stemmen oder gleich auf eine Behandlung zu verzichten, argumentiert die Linke. Erschwerend komme hinzu, dass die privaten Krankenversicherer erst nach Vorlage eines ärztlichen Berichtes Auskunft darüber geben, ob sie die Kosten übernehmen oder nicht: für die Patienten ein zusätzlicher Unsicherheitsfaktor.
„Eine besonders dreiste Nummer ist es von der PKV, den Versicherten die Arztrechnung nicht mehr zu bezahlen, wenn sie wegen Schulden im Notlagentarif gelandet sind, auch bei akuten Schmerzen“, sagt der gesundheitspolitische Sprecher der Linken, Achim Kessler, der "Rheinischen Post". Das führe de facto zu einer „völligen Leistungsverweigerung““, so der Politiker.
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Wie oft die Privatversicherer von der Regel überhaupt Gebrauch machen, geht aus der Antwort der Bundesregierung nicht hervor. Aber auch das zuständige Bundesgesundheitsministerium muss indirekt einräumen, dass die Praxis zwar rechtens ist - aber nicht im Sinne des Gesetzgebers. „Im Rahmen aktueller Gesetzesvorhaben prüft die Bundesregierung derzeit einen möglichen gesetzlichen Anpassungsbedarf mit Blick auf die Aufrechnungspraxis im Notlagentarif“, heißt es in der Antwort.
96.000 Menschen im Notlagentarif
Darüber hinaus nennt die Bundesregierung auch aktuelle Zahlen zum Notlagentarif. Stand 30. Juni 2020 waren demnach rund 96.000 Personen in diesem versichert, berichtet die Regierung - und beruft sich auf Angaben des PKV-Verbandes. Damit ist die Zahl der Betroffenen gegenüber dem Jahresende 2019 sogar leicht gesunken: Zum Jahreswechsel zählte die Branche 97.100 Notlagen-Versicherte.
Weitere Sozialtarife in der PKV
Als weitere Sozialtarife bieten die privaten Krankenversicherer den Standard- und Basistarif an, wenn die Betroffenen finanzielle Schwierigkeiten haben. Diese bieten ähnliche Leistungen wie die gesetzlichen Krankenkassen, können für die Versicherten aber ebenfalls Nachteile haben. Zwar sind die Beiträge begrenzt, können aber dennoch teuer sein:
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Im Standardtarif ist die zulässige Prämie auf den GKV-Höchstbeitrag gedeckelt (2020: 684,38 Euro/Monat) und im Basistarif auf den GKV-Höchstbeitrag plus dem durchschnittlichen Zusatzbeitrag der Krankenkassen (2020: 735,94 Euro/Monat). Zudem werden im Basistarif Alterungsrückstellungen nicht angerechnet. Der Standardtarif steht nur Personen offen, die vor dem 1. Januar 2009 in die PKV gewechselt sind.
Darüber hinaus warnten Ärzteverbände, dass die Versicherer in den Sozialtarifen niedrigere Gebührensätze für behandelnde Ärzte nach der Gebührenordnung (GOÄ) ausgehandelt haben. Diese können sogar noch unter den Honorarsätzen liegen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung gezahlt werden. Als Folge müssten Versicherte fürchten, dass sie einen Teil der Arztkosten selbst stemmen müssen - vereinzelt würden Praxen eine Behandlung sogar verweigern. Speziell für Menschen mit chronischen Krankheiten bedeute das ein Problem.
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Eine weitere Option für Prämien-Ersparnisse: Laut §204 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) haben Privatpatienten das gesetzlich verbriefte Recht, innerhalb der Gesellschaft in alle gleichartigen Tarife zu wechseln – unter Mitnahme der Altersrückstellungen. Eine neue Gesundheitsprüfung oder einen Risikoaufschlag kann der Versicherer nur dann verlangen, wenn der Kunde auf Mehrleistungen besteht.
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