Warum der Betriebsschließungskomplex so schwierig ist
Betriebsschließungsversicherung: Dass unterschiedliche Versicherungsbedingungen zu unterschiedlichen Gerichtsentscheiden führen, ist klar. Doch was, wenn identische Bedingungen ganz verschiedene juristische Einschätzungen zur Folge haben?
„Die Bedingungen unterscheiden sich Detail und deshalb wird es dauern, bis der BGH die Sachlage geklärt hat“, so Rechtsanwalt Dr. Mark Wilhelm, dessen Kanzlei rund 1.000 versicherte Gastronomen und Hoteliers vertritt. Doch was, wenn Bedingungen identisch sind, aber Gerichte zu unterschiedlichen Einschätzungen kommen?
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Das Landgericht München I verkündete am 22.10.2020 ein weiteres Urteil im Betriebsschließungskomplex. Auch Versicherungsbote berichtete über diese Entscheidung, in der die verwendeten Bedingungen als intransparent bezeichnet wurden. Damit kamen die Richter am Münchener Landgericht zu einer anderen Entscheidung als die Landgerichte in Ravensburg und Oldenburg. Das wäre nicht weiter verwunderlich, wenn die verwendeten AVB unterschiedlich wären. Sind sie aber nicht.
Die renommierte Kanzlei Wilhelm aus Düsseldorf meldete sich bei Versicherungsbote. Die Kanzlei vertritt sowohl Kunden der Haftpflichtkasse als auch der Helvetia und wies darauf hin, dass der Wortlaut der Klausel bei beiden Versicherern identisch sei. Beide Versicherer leiten ihre Auflistung der Krankheiten mit folgendem Satz ein:
„Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger: […]“
Rechtsanwalt Dr. Mark Wilhelm dazu gegenüber Versicherungsbote: „Sogar der Fehler - ‚Infektionsgesetz‘ statt ‚Infektionsschutzgesetz‘ - ist hier gleich. Auch die von Helvetia und Haftpflichtkasse verwendeten Listen sind völlig identisch. Entsprechend ist die Entscheidung des LG München zur Unwirksamkeit der intransparenten Klausel grundsätzlich durchaus auch auf die AVB der Helvetia übertragbar.“
Bisherige Urteile nur Momentaufnahme?
Sind die bisherigen Entscheidungen, die im Sinne der Helvetia getroffen wurden, nur eine Momentaufnahme? Versicherungsbote fragte bei Rechtsanwalt Benjamin Grimme nach, einem der Anwälte, die die Helvetia vertreten. Wie schätzt er die Entscheidung des LG München ein? Seine Antwort: „In den mir bekannten AVB folgt die Aufzählung der versicherten Krankheiten / Erreger exakt der Aufzählung der in der bis zum 20.05.2020 geltenden Fassung der §§ 6 f IfSG.
Weder in den mir bekannten AVB, noch in der bis zum 20.05.2020 geltenden Fassung der §§ 6 f IfSG ist COVID-19 als Krankheit / Erreger benannt.
Die Auffassung des LG München I zu Ende gedacht, würde heißen, dass auch die Bestimmungen der §§ 6 I IfSG intransparent / unwirksam wären.
Das erscheint unrichtig.
M.E. verkennt das LG München I zudem, dass es „branchenüblich“ ist, dass zur Bestimmung der Deckung unter einer Versicherung auf gesetzliche Bestimmungen verwiesen wird (vgl. bspw. den Verweis auf § 14 SGB XT in § 1 a der Ergänzenden PflegeV.; um ein vielfaches komplexer).“
Gerichte bewerten Bedingungswortlaut unterschiedlich
Für die Kanzlei Wilhelm sieht die Angelegenheit anders aus. „Allein am Bedingungswortlaut lässt sich also derzeit noch nicht bestimmen, ob der Versicherer oder der Versicherungsnehmer vor Gericht obsiegt. Die Gerichte nehmen unterschiedliche Bewertungen vor. Das LG München hat sich deutlich intensiver mit der AGB-rechtlichen Problematik auseinandergesetzt. Wir rechnen damit, dass auch Oberlandesgerichte hier genauer hinschauen werden“, so Dr. Mark Wilhelm gegenüber Versicherungsbote.
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Bis es zu diesem „genauen Blick“ der Oberlandesgerichte und vielleicht sogar des BGH kommt, stehen aber noch einige Entscheidungen aus. So schätzt der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA), dass derzeit mehr als 1.000 Klagen von Unternehmen gegen ihre Betriebsschließungsversicherung bei deutschen Gerichten anhängig sind.