Zum Status Quo der Kfz-Telematik

Im Bereich der datengetriebenen Versicherungsprodukte ist die Kfz-Telematik abgesehen von Purchase-Addons wie Garantieverlängerungen unbestritten diejenige Innovation, die sich in den vergangenen Jahren in Richtung Marktreife bewegte. Dennoch zögern auch größere Gesellschaften vor dem nächsten Schritt. Die Gründe dafür sind in erster Linie struktureller Natur und nicht immer am Produkt festzumachen.

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Vertr.-Prof. Dr. Fabian Transchel ist die Vertretung der Stiftungsprofessur e+s Rück für Data Science. Seit März 2020 ist der Diplom-Physiker an der Hochschule Harz für den Themenbereich “Data Science in Finance & Insurance” zuständig. Telematik beschreibt nach wie vor ein Zukunftsthema, das eng mit den Fortschritten des autonomen Fahrens verknüpft ist. Die Bedeutung für die Versicherungswirtschaft ergibt sich hierbei daraus, Erfahrungen sammeln und belastbare Kosten-/ Nutzenabschätzungen in Bezug auf neue Fahrzeugfunktionen (ADAS) und das vollautomatisierte Fahren (AV) entwickeln zu müssen, denn die Gestaltung der Transformation von Halterhaftung zur Herstellerhaftung wird die Gretchenfrage des Fortbestehens der Kfz-Versicherung entscheiden.

Die Kfz-Telematik kann aber nur dann erfolgreich sein, wenn die ökonomische Realität einen Nutzen gegenüber klassischen Produkten aufweist. Es zeigt sich dabei, dass Effizienz- und Selektionsvorteile nur dann umsetzbar sind, wenn man das Konzept Telematik digital, Ende-zu-Ende und kundenzentriert denkt. Eine solche Ausgestaltung zeigt in der Konsequenz, dass jede konkrete Umsetzung Versicherer unmittelbar zur Digitalisierung aller ihrer Prozesse zwingt. Problematisch ist hierbei, dass diese nicht zwangsläufig dazu in der Lage sind, eine ganzheitliche Betrachtung dieser Herausforderung anzustellen. Das erfordert neben dem klassischen Domänenwissen der Versicherer auch eine Fokussierung auf die zielführende Verwertung von Daten sowie auf die technologische Infrastruktur dahinter. Dieser komplexe Lernprozess kann am besten in Kooperation mit Partnern der jeweiligen Domänen gelingen. Versicherer sind deshalb gut beraten, sich weder komplett auf die alten Stärken zu verlassen noch diese Herausforderung an Dritte abzugeben. Schnelllebige technologische Innovation auf diesem Feld ist nur schwer komplett aus eigener Kraft zu stemmen und Kfz-Telematik lässt sich zugleich nicht einfach vollständig outsourcen.

Dr. Matthias Herz arbeitet seit 2019 als Business Development Manager für die Pixida Group und ist zudem verantwortlicher Produktmanager für IoT-Lösungen für deren Tochtergesellschaft PI Labs.Spätestens mit der Corona-Pandemie ist etwa der PAYD-Hype vorbei. Einige Versicherer nutzen dies sogar dazu, aktiv mit Prämienrückzahlungen für durch den Lockdown eingesparte Fahrleistung zu reagieren. Potenzielle Einsparungen durch PAYD-Tarife, die oftmals als “bis zu”-Varianten ausgestaltet sind und dem Kunden keinen immediaten Geldvorteil bieten, dürften es dieses Jahr also schwer haben. Die gute Nachricht an einem zu Ende gehenden Hype aber ist, dass darin auch eine Chance liegt: konsolidierte Lösungen sind nun wirklich ökonomisch valide, nicht zuletzt auch deswegen, weil die initiale Phase des Datensammelns vorüber ist und man gesammelte Erkenntnisse in der nächsten Produktentwicklungsphase und ökonomisch sinnvoll verwenden kann.

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Auch technische Lösungen werden zunehmend wirtschaftlicher: war zu Beginn des letzten Jahrzehnts die erste Generation von Nachrüstlösungen nur unter sehr speziellen Bedingungen sinnvoll (Diebstahlschutz in Süditalien), so haben Miniaturisierung und Massenproduktion mittlerweile einen Reifegrad erreicht, der auch im deutschen Markt konkurrenzfähig ist. Während der Festeinbau in Deutschland eigentlich niemals ein erstzunehmendes Thema war, entwickelt sich der Markt aktuell neben robusten Standalone-Devices (wie 12V Steckerlösungen) in Richtung hybrider Lösungen, die das mobile Endgerät (Smartphone) des Kunden als Relay oder Aufzeichnungszentrale verwenden, idealerweise sogar unter Ausnutzung des Datenvolumens.

Quo Vadis? Trends und Potentiale

Hinsichtlich der Datenqualität ist zu unterscheiden zwischen spezifischen, kalibrierbaren Devices und dem Smartphone selbst, das zwar zur Fahrterkennung und -aufzeichnung taugt, darüber hinaus aber nur bedingt ausreichend genaue Daten liefern kann. Während also Standalone-Lösungen oftmals sehr präzise und vergleichbare Daten zu einem höheren Invest liefern, ist bei puren Smartphone-Lösungen eher das Gegenteil der Fall. Das ist der Tatsache geschuldet, dass der Umgang mit unterschiedlichen Sensoren, Betriebssystemen und Randbedingungen eine zusätzliche Komplexität mit sich bringt, die spezifische Devices durch Standardisierung und Vollzugriff vermeiden können.

Nichtsdestotrotz ist für viele Versicherer die Frage des “Bootstrappings” einer validen Kalkulationsbasis für die Tarifgestaltung nach wie vor weitgehend ungelöst. Das resultiert daraus, dass ohne gesammelte Daten keine Prognosen möglich sind, nicht einmal mit Sicherheitsaufschlag. In dieser Hinsicht ist ein Zögern bei der Einführung gleich doppelt prekär: zum einen, weil Jahr für Jahr wertvolle Erfahrungsdaten verloren gehen. Zum anderen, weil die unübersichtliche Branchenlandschaft mit kleinen und mittelständischen Versicherern sich noch immer damit schwer tut, sich auf Standards und Normen zu verständigen.

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Plakativ ist die Beobachtung zu machen, dass nach vielen Jahren von teils unklaren Invests in Digitalisierung die Bereitschaft dazu gesunken ist und fertige Lösungen selbst im Fin- und Insurtech-Dunstkreis präferiert werden. Insbesondere auch deshalb, weil einzelne Gesellschaften schwerlich für sich selbst genommen “kritische Massen” an ökonomisch und aktuariell nützlichen Daten sammeln können. Telematik kann überall dort ein Modell sein, wo branchen- und netzwerkübergreifend Kooperationen geschaffen werden. Dies zeigen im Übrigen bereits reine positionsbezogene Dienste, die allerdings nach wie vor darunter leiden, dass eine kundenaffine Präsentationsform gefunden werden muss, die über reine Push-Meldungen in einer App hinausgehen.

Auch wenn der Weg zu einer umfassenden Marktdurchdringung der Kfz-Telematik noch weit ist, deutet sich eine verstärkte Dynamik an. Die Akzeptanz von ADAS im Fahrzeug zeigt, dass für den Kunden letztlich der Nutzen ersichtlich sein und die Opportunitätskosten der Datensammlung überwiegen müssen. Das Potenzial der Telematik wird dennoch vermutlich so lange ungenutzt bleiben, wie der Wert der Daten für Erstversicherer nicht das Gewicht erhält, das rein sachbezogen gerechtfertigt wäre. Es gibt daher nicht wenige Stimmen im Markt, die annehmen, dass eine sprunghafte Konsolidierung in der Kfz-Versicherung dann vollzogen wird, wenn der Invest in die Daten sich auszahlt.

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Bis dahin ist davon auszugehen, dass sich die Tariflandschaft zwischen sophistizierten PHYD-Tarifen und simpleren PAYD-Tarifen weiter ausdifferenzieren wird, weil nur besonders finanzstarke oder innovative Gesellschaften es selbst schaffen werden, die umfangreichen analytischen Kapazitäten aufzubringen, wirklich datengetriebene Differenzierung zu betreiben. Entscheidend ist, dass bei allen avisierten Versicherungsprodukten auch eine solide technologische und Datenbasis zur Verfügung steht, die unter Miteinbeziehung von einschlägigem Domänenwissen zielorientiert und nachhaltig etabliert wird. Verschiedene Lösungen erfordern hierbei stets eine genaue Abwägung zwischen Kostenpunkt und Datengüte, die je nach Anwendungsfall individuell erfolgen muss.

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