Rainer Schlegel, Präsident des Bundessozialgerichts, schlägt aktuell eine Reform des Gesundheitssystems vor. Man solle darüber nachdenken, dass die gesetzliche Krankenversicherung komplett aus Steuern finanziert werde statt aus Beiträgen, fordert er in einem Interview mit der „Frankfurter Rundschau“.

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Schon heute ein Mischsystem

Rainer Schlegel, Präsident des Bundessozialgerichtsbsg.bund.deNach Ansicht des Juristen befindet sich die GKV schon heute auf dem Weg zu einem Mischsystem. „Es ist offensichtlich, dass die GKV mit dem Geld, das sie durch Beiträge einnimmt, nicht mehr auskommt“, sagt er der FR. Seien früher eher geringe Steuerzuschüsse in das System geflossen, so werde sich der Zuschuss des Bundes im Jahr 2021 um 5 Milliarden Euro erhöhen: auf dann 19,5 Milliarden Euro. Das Prinzip der Beitragsfinanzierung werde folglich aufgeweicht, mehr und mehr müsse aus Steuern finanziert werden.

Bei den Zuschüssen für 2021 gilt es aber zu bedenken, dass sie auch aufgrund der Coronakrise aufgestockt werden: Rettungsschirm und Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie werden großteils zulasten der gesetzlich Krankenversicherten finanziert, so eine Kritik großer Krankenkassen wie AOK und TK. Das spricht Schlegel im Interview nicht an.

Faktor Arbeit entlasten

Werden Gesundheit und Pflege nun in einem steuerfinanzierten System zusammengeführt, hätte das den Vorteil, den Faktor Arbeit zu entlasten, argumentiert der Jurist. Sowohl in der Kranken- als auch Pflegeversicherung schlage der demographische Faktor voll zu, die Folgekosten seien kaum kalkulierbar. Die Beitragsfinanzierung knüpfe aber genau beim Faktor Arbeit an. „Eine Steuerfinanzierung der Kranken- und Pflegeversicherungen könnte zu einer Entlastung der Arbeitnehmer und Arbeitgeber von derzeit je knapp neun Prozent führen. Man würde bei Lohnnebenkosten zu erheblichen Einsparungen kommen“, sagt Schlegel.

Natürlich würde das auch höhere Steuern bedeuten, argumentiert der 62jährige weiter - vor allem höhere Lohn- und Einkommenssteuern. „Allerdings würde diese Belastung nicht die beschriebenen Ersparnisse zunichtemachen, weil auch andere Steuerarten herzuziehen wären“. Entscheidend sei, dass eine Umstellung personalintensive Wirtschaftszweige begünstige, „was die Abwanderung in Billiglohnländer vermeiden könnte“. Kapitalintensive Betriebe würden zudem stärker in die Finanzierung des Gesundheitssystems einbezogen. Darüber hinaus würden Arbeitgeber und Krankenkassen bei der Bürokratie entlastet.

PKV - nur noch Zusatzgeschäft

Das erlaubt auch die Frage, wie sich dann die privaten Krankenversicherer in diesem System positionieren. „Für sie bliebe vor allem das Aufgabenfeld des Zusatzgeschäftes“, antwortet Schlegel auf die Frage des Interviewers. Und widerspricht, dass dies erst recht eine Zwei-Klassen-Medizin befeuern würde. Diese gebe es in Ansätzen heute schon, etwa bei Wartezeiten: „Die medizinische Versorgung für gesetzlich Versicherte ist an sich aber nicht schlechter als für Privatversicherte“, so der Arbeitsrechtler. De facto läuft der Reformvorschlag also auf eine Abschaffung der Krankenvollversicherung hinaus.

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Ein weiterer Vorteil aus Sicht des Juristen: durch eine steuerfinanzierte GKV würde die Beitragsbemessungsgrenze wegfallen, an der die Solidarität derzeit ende. „Die GKV ist ein riesiges Umverteilungssystem. Sie erfasst aber Arbeitsentgelte und Einkommen nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze“, argumentiert Schlegel. Wie viel man einzahle, spiele für die erhaltene Gesundheitsleistung keine Rolle. Mit einer Steuerfinanzierung würde stärker „die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit“ berücksichtigt. „In der Tat wäre es dann so, dass wirtschaftlich starke Bürgerinnen und Bürger, aber auch Unternehmen im entsprechend stärkerem Maße herangezogen werden“.