Die Industrieversicherung in Zeiten der COVID-19-Pandemie
Die Corona-Pandemie legte große Teile der europäischen Volkswirtschaften lahm, viele Firmen mussten auf Kurzarbeit umstellen oder ganz schließen: Und hatten dennoch weiterhin hohe Kosten. Das stellt auch die Industrieversicherer vor Herausforderungen. Hartmuth Kremer-Jensen, Geschäftsführer, Chief Broking Officer und Deputy CEO bei Aon in Deutschland, erklärt in seinem Gastbeitrag, welche Folgen die Erfahrungen aus der Krise für Versicherer und Kunden haben könnten.
- Die Industrieversicherung in Zeiten der COVID-19-Pandemie
- Reaktionen der Industrieversicherer
- Die Erneuerungsphase ist alles andere als rosig
Die Ausgangssituation
Global sind nahezu alle Unternehmen und Menschen direkt oder indirekt durch die SARS-Cov 2 Pandemie und die hiermit einhergehenden Folgen im privaten, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereich betroffen. Die Industrieversicherung somit natürlich auch. Der Begriff hat bekanntlich keine einheitliche Definition und wird insbesondere je Versicherer mehr oder weniger individuell festgelegt. Das grundsätzliche Verständnis hier ist, dass es sich um den Risikotransfer der betrieblichen Risiken für Unternehmen aus Produktion, Handel und Dienstleistungen auf Versicherer handelt.
Anzeige
Auswirkungen auf die Industrieversicherer
Wie die allermeisten Wirtschaftsunternehmen, müssen auch Versicherungsgesellschaften auf die Auswirkungen der Sars Cov-2 Pandemie reagieren. Hinsichtlich der organisatorischen Abläufe konnten die Versicherungsgesellschaften nach überwiegenden Rückmeldungen und Analysen ganz hervorragend auf die Herausforderungen reagieren. Der Geschäftsbetrieb konnte überall ohne wirklich Beeinträchtigungen aufrechterhalten werden. Im Gegenteil: Einige Erkenntnisse im Hinblick auf zum Beispiel Treffen, Dienstreisen und auch veränderte Arbeitsformen sollen auch in der Versicherungswirtschaft weiter berücksichtigt werden.
Die finanziellen Auswirkungen für die Versicherungsunternehmen aufgrund der Pandemie oder auch Pandemie-bedingter Schadenzahlungen sind von deutlich größerer Bedeutung. Ob die Auswirkungen die Ausmaße vergangener Mega-Schäden annehmen, kann aktuell noch immer nicht wirklich verlässlich eingeschätzt werden.
Nach Einschätzungen der SwissRe innerhalb der dazu veröffentlichten SIGMA Studie aus Juli 2020 wird sich die Versicherungswirtschaft von den Auswirkungen der Pandemie bereits im Jahr 2021 schneller erholen als andere Wirtschaftsbereiche. Daher wird der globalen Versicherungswirtschaft eine gute Widerstandsfähigkeit im Hinblick auf die Corona-Pandemie bescheinigt. Die Schadenhöhe aus Sicht der Haftpflicht- und Unfallversicherung wird auf maximal 100 Mrd. US-Dollar global taxiert, somit eine vergleichbarer Höhe mit den Schäden aus den Stürmen Harvey, Irma und Maria in 2017. Auch die Auswirkungen der großen Finanzkrise 2008/2009 konnten Versicherer letztlich gut überstehen.
Damit kann man trotz der noch lange nicht exakt bezifferbaren Schäden für die Assekuranz aus der Pandemie konstatieren, dass es sich ganz sicher um eines der größten Schadenszenarien jemals handeln wird. Aber andererseits auch um kein existenzbedrohendes Szenario für die Assekuranz und die Industrieversicherung.
Die Kundenseite
Die versicherungsnehmenden Unternehmen sind in ihrer originären Tätigkeit in vielen Bereichen deutlicher und auch langfristiger von den Pandemie-Auswirkungen betroffen. Die weltweit schwerste Rezession seit der großen Depression in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts trifft verschiedene Branchen und Länder unterschiedlich hart. Nur wenige Branchen, wie zum Beispiel der Online-Handel und in Teilen die Bauwirtschaft, können auch von den Auswirkungen profitieren. In einigen Branchen wie Luftfahrt und Tourismus hat die Krise hingegen existenzgefährdende Auswirkungen. Die bei nahezu allen Unternehmen hieraus zwingend resultierenden Kostennotwendigkeiten betreffen auch die Kosten für den Versicherungsschutz. Die meisten Unternehmen müssen auch die Kosten für Versicherungen optimieren.
Die Versicherer zeigen Bereitschaft, Kunden auch in bereits vereinbarten Versicherungsverträgen durch zum Beispiel außerordentlich vereinbarte Prämienanpassungen oder auch geänderte Zahlungspläne entgegenzukommen. Der grundsätzlich „harte Markt“ in nahezu allen Sparten wird dadurch aber nicht wirklich geändert.
Anzeige
Reaktionen der Industrieversicherer
Bereits in 2018 und 2019 waren aus Sicht der Unternehmen in Bereichen wie der Sach- und auch der D&O Versicherung Verschlechterungen der vor allem Preise und Vertragsbedingungen zu verzeichnen. Einige Industrieversicherer haben in den dafür jeweils separat vorhandenen Organisationseinheiten oder Konzern-Unternehmen Verluste erwirtschaftet. Daher bestand bereits die Vorgabe, durch zielgerichtete Maßnahmen die notwendigen Ergebnisverbesserungen zu erzielen.
Dieser somit ohnehin vorhandene Trend hat sich nun durch die Pandemie noch einmal sehr deutlich verschärft. Übergreifend muss daher global von schwierigen Bedingungen für die Industrieversicherung der Unternehmen gesprochen werden.
Anzeige
In der gesamten Industrieversicherung sind die Anforderungen an Risikoinformationen und eine genaue Analyse substantiell gestiegen. Unabhängig von der jeweiligen Aussagekraft der Informationen sind als wesentliche Reaktionen zu verzeichnen, von denen hier nur einige beispielhaft genannt werden:
- Reduzierung der bisher angebotenen Versicherungssummen (Sach, D&O, Cyber, Haftpflicht, u.a.)
- Führungsanteile in nur noch deutlich geringerer Höhe als bisher marktüblich (Sach)
- Versagung von Angeboten in der D&O Branche für bestimmte Branchen (diverse Versicherer)
- Vorübergehende Einstellung des gesamten Neugeschäftes bei einzelnen Versicherern (D&O)
- Einstellung des gesamten Geschäftes in einzelnen Sparten (Warentransport)
- Rückzug von Versicherern insgesamt (Aviation, Schifffahrt)
- Zunahme von Pandemie-Ausschlüssen (diverse Sparten)
Neben der allgemeinen Verknappung von Kapazitäten werden häufig mittlere zweistellige Prozentsätze als Erhöhung der Versicherungsprämien gefordert. In extremen Fällen kann dies auch bis zu 500 Prozent für einen angebotenen Anteil betragen.
Für bestimmte Branchen, die als durch die Pandemie besonders gefährdet eingeschätzt werden, ist der bisherige Umfang des Versicherungsschutzes nicht mehr erhältlich. Hierzu sei auch auf den im August veröffentlichten Marktreport von Aon verwiesen, in dem die Herausforderungen für Unternehmen in jeder Sparte detailliert beschrieben werden.
Die bekannten Diskussionen um die Wirkung von Betriebsschließungsversicherungen seien hier nur der guten Ordnung halber erwähnt, bedürfen an dieser Stelle aber keiner weiteren Ausführungen.
Neben den Themen der Pandemie werden viele Unternehmen auch durch den bevorstehenden BREXIT betroffen sein. Ebenso steigt durch die weiter voranschreitende Digitalisierung in Arbeits- und Produktionsprozessen die Notwendigkeit eines ausreichenden Versicherungsschutzes gerade für die Risiken der Digitalisierung. Die seitens aller Versicherer gewünschte Kumulreduzierung aus Cyber-Risiken ist gleichfalls entgegengesetzt zu den Notwendigkeiten der Unternehmen. Ausschlüsse von auch bisher versicherten Sach-Schäden aus einem Cyber-Schaden erhöhen die Wahrscheinlichkeit gänzlich unversicherter Schäden aus Cyber-Attacken, wenn gleichzeitig auch die spezifischen Cyber-Versicherungen diese betrieblichen Risiken nicht abdecken.
Die Erneuerungsphase ist alles andere als rosig
Pandemien und die daraus folgenden Betriebsstilllegungen zu versichern, wird künftig nur auf Basis veränderter Bedingungen möglich sein. Ob die bisher privatwirtschaftlich organisierte Absicherung dieses Risiko auch künftig tragen kann, wird intensiv diskutiert. In Deutschland finden dazu seitens aller beteiligten Verbände und Interessenvertreter (Ministerien, GVNW, GDV, BDVM) intensive Gespräche statt. Einhellig wird die Auffassung vertreten, dass für künftig weiterhin mögliche Epidemien eine Absicherung auf Basis eines größtmöglichen Risikokollektivs notwendig ist – auch durchaus durch eine Kombination aus privatwirtschaftlicher und staatlicher Absicherung. Das Beispiel Extremus Versicherungs-AG zur Absicherung von Terrorrisiken, bei der die private Versicherungswirtschaft mit der Bundesregierung zusammenarbeitete, mag hier auch als Beispiel dienen. Im Ergebnis ist die anstehende Erneuerungsphase für Industrieversicherungen in Deutschland alles andere als rosig.
Mögliche Folgen für die Assekuranz
Angesichts der bisherigen Auswirkungen auf die Industrieversicherer und den – glücklicherweise – ersten positiven Prognosen einer kurzfristigen Erholung muss daher aus Sicht der Kunden die Frage gestellt werden, ob die Gesamtheit aller Maßnahmen auch angemessen ist. Wenn die Versicherungswirtschaft nicht nur Verschlechterungen erwartet, die teilweise aus individueller Kundensicht nicht zu begründen sind, sondern darüber hinaus gar keinen Versicherungsschutz mehr für definierte Branchen oder Kunden zur Verfügung stellt, wird sich die Relevanzfrage gerade der Industrieversicherung sehr nachhaltig stellen.
Also, welche Bedeutung hat die Industrieversicherung heute noch und in den nächsten Jahren für Unternehmen?
Wenn die Verantwortlichen für Versicherungsschutz in den Unternehmen den Vorständen und Geschäftsführern mitteilen werden, dass es nur noch weniger Versicherungsschutz zu schlechteren Konditionen für die Organe und das Unternehmen insgesamt gibt, wird das sicherlich einen entsprechenden Einfluss auf die Wahrnehmung der Bedeutung von Versicherungsschutz der obersten Entscheidungsträger haben.
Angesichts der bis hierhin beschriebenen Entwicklungen und Reaktionen der Industrieversicherer überrascht es nicht, dass sich bereits jetzt eine deutlich zunehmende Anzahl von Unternehmen mit Modellen für eine größere Eigentragung von Risiken beschäftigt. Angesichts der substantiellen Konditionsverschlechterungen kann es sich für Unternehmen lohnen, diese Überlegungen zu möglichen Alternativen vorzunehmen. Ob und wo eine Captive für ein Industrieunternehmen sinnvoll sein kann, hängt von diversen Faktoren ab. Neben den notwendigen Finanzierungsaspekten durch die firmeneigene Versicherung muss der im Schadenfall erhöhte Eigenanteil sorgfältig berechnet werden. Das Ergebnis möglicher Captive-Überlegungen kann für ein Unternehmen, je nach versicherter Sparte, auch durchaus unterschiedlich sein.
Fazit
Als Fazit dieser kurzen Ausführungen bleibt, dass sich trotz aller substantiellen Auswirkungen der Pandemie auf die Industrieversicherung die Frage stellen muss, ob die aktuell ersichtlichen Forderungen auch im eigenen Interesse der Assekuranz insgesamt sein können. Die Frage nach der künftigen Relevanz von Industrieversicherungen für Unternehmen, die bereits seit längerer Zeit diskutiert wird, wird mit Sicherheit nochmals deutlich intensiver diskutiert werden. Es bleibt somit die Hoffnung, dass es wiederum zu letztlich für beide Seiten, Kunden und Versicherer, akzeptablen Vereinbarungen kommen wird. Ganz im Sinne der schon seit langem bewährten Risikogemeinschaft!
Anzeige
Hinweis: Der Text erschien zuerst im Versicherungsbote Fachmagazin
- Die Industrieversicherung in Zeiten der COVID-19-Pandemie
- Reaktionen der Industrieversicherer
- Die Erneuerungsphase ist alles andere als rosig