Finanzlobby: 1.500 Lobbyisten beeinflussen Gesetzgebung in Berlin
Eine Studie der Bürgerbewegung Finanzwende zeigt das Ausmaß des Finanzlobbyismus. Die Finanzindustrie gibt nach Schätzungen des Vereins mehr als 200 Millionen Euro pro Jahr für die Lobbyarbeit in Deutschland aus und beschäftigt hierfür mehr als 1500 Mitarbeiter. Dem entgegen sitzen im Finanzausschuss des Bundestages nur 41 Abgeordnete: Ein Verhältnis von 36 zu eins. Der Verein spricht von einem „ungleichen Terrain“.
- Finanzlobby: 1.500 Lobbyisten beeinflussen Gesetzgebung in Berlin
- Gesetzgebung: Finanzlobby schlägt Zivilgesellschaft
Die Finanzbranche sorgt immer wieder für negative Schlagzeilen: Der Cum-Ex-Skandal, bei dem sich Firmen nie gezahlte Steuern zurückerstatten ließen, und die Wirecard-Pleite sind nur zwei aktuelle Beispiele hierfür. Der Verein Finanzwende hat nun mit einer Studie untersucht, wie groß der Einfluss der Finanzlobby auf die Politik ist. Und erhebt einen schweren Vorwurf: Es sei auch der Lobbymacht der Branche geschuldet, dass wirksame Reformen für mehr Transparenz und Fairness verhindert werden.
Anzeige
„Unsere Studie zeigt, dass die Finanzlobby über enorme Ressourcen verfügt und einen privilegierten Zugang zu Entscheidungsträgerinnen genießt“, schreibt der Verein auf seiner Webseite. Nach eigenen Angaben ist es „die erste systematische Untersuchung der Personal- und Budgetstärke der Finanzlobby in Deutschland“.
1.500 Mitarbeiter von Lobby-Verbänden
Eine Studie zum Einfluss der Finanzlobby sei Hindernissen ausgesetzt, beklagt der Verband zu seiner Vorgehensweise. Denn es gebe weder ein verpflichtendes Lobbyregister in Deutschland noch eine Berichtspflicht von Verbänden und Unternehmen über die Zahl ihrer Mitarbeiter und ihre finanziellen Mittel. Einige Formen der Einflussnahme seien gar komplett intransparent: zum Beispiel müsse nicht über informelle Treffen von Lobbyisten in Ministerien berichtet werden.
Entsprechend aufwendig musste der Verein die Informationen zusammentragen und hat für die Studie Daten aus Registerauszügen von Verbänden, von Verbands-Webseiten sowie LinkedIn-Profilen zusammengetragen. Mithilfe von veröffentlichten Budgets und Mitarbeiterzahlen ließe sich eine ungefähre Mindestschätzung der Finanzlobby vornehmen. „Die tatsächliche Größe der Finanzlobby dürfte weit darüber liegen“, gibt Finanzwende zu bedenken - so habe man etwa nur die Daten der 20 größten Finanzverbände herangezogen. Darunter befindet sich zum Beispiel der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) oder das Deutsche Aktieninstitut (DAI).
In Summe konnten die Studienmacher 1.500 Personen ermitteln, die für die Finanzbranche Lobbytätigkeit betreiben - in Summe gibt die Branche mehr als 200 Millionen Euro pro Jahr für Lobbyismus aus. Dem stünden lediglich 41 Abgeordnete gegenüber, die aktuell im Finanzausschuss des Bundestages sitzen.
Akteursgruppen der Finanzlobby
Die Studienmacher unterscheiden in ihrer Untersuchung einen engeren Kreis der Finanzlobby und eine „erweiterte Finanzlobby“. Dem engeren Kreis werden zunächst Verbände zugerechnet, die Akteure aus ihren jeweiligen Branchen vertreten: unter anderem der GDV, der Sparkassen-Verband (DSGV) oder der Bundesverband Deutscher Banken (BDB).
Darüber hinaus wurden einzelne Unternehmen erfasst, die eine Konzern-Repräsentanz in Berlin haben, um ihre Interessen direkt bei Ministerien und Bundestags-Politikern zu vertreten: oft sitzen sie in unmittelbarer Nähe zu Reichstag und Regierungsviertel, wo die Mieten besonders teuer sind. Hierzu zählen unter anderem die Deutsche Bank, Commerzbank und die Allianz. In der Studie wurden Mitarbeiter erfasst, die den Kontakt zur Politik pflegen: sogenannte Public- oder Governmental-Affairs-Abteilungen. Da die Zahl dieser Mitarbeiter von den Firmen nicht öffentlich gemacht wird, schätzten die Autoren deren Stärke anhand einer Studie der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages.
Doch die Branche verschafft sich auch indirekt Gehör: über sogenannte Public-Affairs-Agenturen und Anwaltskanzleien, die Lobbyarbeit anbieten. Oft mit Hilfe von ehemaligen prominenten Politikern, die offen mit ihren guten Kontakten in die Politik werben. Als Beispiel nennt „Finanzwende“ die Agentur Spitzberg Partners, bei der der ehemalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg als „Chairman“ tätig ist. Die Agentur wirbt auf ihrer Webseite mit dem Spruch: „Wir führen Unternehmen durch die regulatorischen Herausforderungen und Hürden im In- und Ausland“. Guttenberg lobbyierte in Berlin unter anderem erfolgreich für den Skandal-Konzern Wirecard und beriet Bundeskanzlerin Angela Merkel vor ihrer China-Reise, wo sie für den Zahldienstleister werben sollte. Diese Akteure rechnen die Analysten der „erweiterten Finanzlobby“ zu.
In Summe zählt "Finanzwende" 216 Unternehmen und Verbände, die für die Finanzlobby tätig sind, und darüber hinaus 79 zusätzliche Akteure der "erweiterten Finanzlobby": Macht zusammengerechnet 295 Organisationen.
Anzeige
Dieser geballten Lobby-Kraft stünden nur 79 Organisationen gegenüber, die der "Zivilgesellschaft" zugerechnet werden können und ebenfalls finanzpolitische Themen bearbeiten. Hierunter subsumiert "Finanzwende" unter anderem Nichtregierungs-Organisationen, Gewerkschaften, Kirchen und Verbraucherorganisationen. Ein starkes Ungleichgewicht, wie der Verein bemängelt.
Gesetzgebung: Finanzlobby schlägt Zivilgesellschaft
Um zu schauen, wie sich die Lobbymacht der Finanzbranche auf die Politik auswirkt, hat „Finanzwende“ die wichtigsten Gesetzgebungs-Verfahren der Jahre 2014 bis 2020 untersucht. Darunter fallen unter anderem das Kleinanlegerschutzgesetz, die Reform des Geldwäschegesetzes (GWG) und die EU-Finanzmarktrichtlinie (MIFID II).
Unter anderem wurden 34 Sitzungen des Bundestags-Finanzausschusses (2014-2020) sowie 33 Referentenentwürfe mit Finanzmarktbezug (2014-2020) danach ausgewertet, welche Verbände und Unternehmen Kommentare und Stellungnahmen abgegeben haben. Hierbei zeige sich, wie ungleich das Verhältnis zwischen Finanzindustrie und Zivilgesellschaft ist:
Anzeige
Bei Referentenentwürfen -stark vereinfacht Kommentaren zu ersten Gesetzentwürfen- liege das Verhältnis von Stellungnahmen zwischen Finanzlobby und der erweiterten Finanzlobby auf der einen und der Zivilgesellschaft auf der anderen Seite bei 9:1. Soll heißen: Auf eine Stellungnahme von zivilgesellschaftlichen Verbänden kommen im Schnitt neun der Finanzlobby (siehe Grafik).
Besonders stark ist das Ungleichgewicht bei der MIFID II-Gesetzgebung zur Finanzmarktrichtlinie gewesen, wo sich lediglich zwei zivilgesellschaftliche Verbände geäußert haben, aber 42 der Finanzbranche. Beim Bankenabwicklungsrecht war das Verhältnis 1:10, bei einem Entwurf zur Umsetzung der EU-Geldwäscherichtlinie 1:7.
Am Aktivsten zeigen sich die Interessenvertreter der Versicherungsbranche. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) kommentierte 27 von insgesamt 33 untersuchten Entwürfen: so viel wie kein anderer Branchenverband. Die Deutsche Kreditwirtschaft (KI) folgt auf Rang zwei mit 21 Stellungnahmen.
Anzeige
"Die Intransparenz ist gewollt, denn sie verschleiert die tatsächliche Schieflage. Ein verpflichtendes Lobbytransparenzregister würde hier einiges Licht ins Dunkel bringen", kommentiert der Bürgerverein auf seiner Webseite. Neben der Transparenz darüber, wer hier für wen mit welchem Budget tätig sei, brauche es auch Transparenz bezüglich der Herkunft bestimmter Ideen oder Formulierungen in Gesetzen: einen sogenannten legislativen Fußabdruck. Zudem müsse die Zivilgesellschaft bei derartigen Gesetzgebungs-Verfahren stärker einbezogen werden, um das Ungleichgewicht zu beseitigen.
- Finanzlobby: 1.500 Lobbyisten beeinflussen Gesetzgebung in Berlin
- Gesetzgebung: Finanzlobby schlägt Zivilgesellschaft