Rechtsschutzversicherung: „2021 wird ein Schaden-Tsunami für die Branche“
Nach Widerrufsjoker und Dieselskandal treffen die Folgen der Corona-Pandemie die Rechtsschutzversicherer, während sich diese im Abwehrkampf gegen LegalTechs befinden. In dieser Gemengelage wagt Andreas Heinsen, Vorstand CPO / CIO der ÖRAG Rechtsschutz AG, im Gastbeitrag für Versicherungsbote einen Ausblick auf das kommende Jahr und erklärt, warum die Wirtschafts-Mediation vor einer kleinen Renaissance stehen könnte.
- Rechtsschutzversicherung: „2021 wird ein Schaden-Tsunami für die Branche“
- Tarifgestaltung: Wie sich erhöhter Schadenaufwand auswirkt
Viele Privat- und Gewerbekunden sehen dunkle Wolken eines sich weiter negativ entwickelnden Arbeitsmarktes mit Auslauf des gesetzlichen Insolvenzschutzes zum 1. Januar 2021 bzw., wenn das BMJV per Verordnung diese bis 31 3.2021 verlängert, auf sich zu kommen und suchen professionelle Unterstützung und rechtlichen Beistand für bereits eingetretene oder drohenden Rechtsfälle in Bezug auf ihre Arbeitsplätze. Übrigens insbesondere auch bei ihren Rechtsschutzversicherern und zum Leid dieser, auch bei den smarten LegalTechs im Internet, die mit neuen Geschäftsmodellen und spezialisierten Digital-Großkanzleien immer mehr die Kundenschnittstelle den Versicherern streitig machen.
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Waren es zunächst die Reise-Vertrags-Streitigkeiten mit Reiseveranstaltern oder Airlines, die die telefonische und online-Rechtsberatungen haben teilweise um bis zu 50% in Monaten März bis Juni hochschnellen lassen, sind es nunmehr die Anfragen besorgter Kunden*Innen, die aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung ihrer Arbeitgeber ihren Arbeitsplatz gefährdet sehen, denen eine mögliche Insolvenz von Seiten ihrer Chefs bereits avisiert, oder ein Aufhebungsvertrag vorgelegt wurde, mit dem Hinweis, dass bei Nichtakzeptanz eine betriebsbedingte Kündigung unweigerlich folgen würde.
Auf Arbeitgeberseite sind aktuell sehr schwierige Entscheidungen zu treffen, von der gesetzlichen Verpflichtung zur Insolvenzantragsstellung im Januar 2021, der Schließung von Unternehmensteilen und auch Standorten zur Abwendung eben dieser Insolvenzen. Dies belastet die überwiegende Mehrheit der Firmenchefs zutiefst, insbesondere die Familienunternehmen, mit langjährigen Beziehungen zu ihren Belegschaften. Hier auch emphatische und rechtlich saubere sowie faire Lösungen anzubieten, ist eine Aufgabe, die sich die Rechtsschutzversicherer nunmehr zuzuwenden haben. Gerade die (Wirtschafts-)Mediation könnte hier eine kleine Renaissance erleben, um auch notwendige harte Unternehmensentscheidungen in geeigneten Fälle einvernehmlich und ohne den Weg zu den Arbeitsgerichten gemeinsam zu lösen. Also professionelle Krisenlosten sind gefordert sowie fair und interessengerecht handelnde Fachanwälte für Arbeitsrecht, deren Empfehlung sich die Kunden*Innen wünschen. Aufgaben, die sich ein modernes Schadenmanagement jetzt zu stellen hat.
Rechtsschutz: 600 Mio. Euro Schadenaufwand
Als möglichen Schadenaufwand für diese negative Entwicklung in der Rechtsschutzsparte werden von den Aktuar-Beratungshäusern bis zu 600 Mio. Euro für die Rechtsschutzversicherer ins Schaufenster gestellt, was für diese um so dramatischer wird, da auch eine über alle Rechtsgebiete lineare Gerichts- und Rechtsanwaltskostenerhöhung zum 1. Januar 2021 in aller Stille von der Bundesregierung und den Bundesländern von gut 10% verabschiedet wurde, die die Schadenkosten nochmals um bis zu 400 Mio. Euro werden ansteigen lassen.
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Ein Rechtsschutzschaden-Tsunami steht somit für 2021 vor der Tür, der die Versicherer aber nicht davon entbindet, den bestmöglichen Rechtsservice für die Kunden*Innen zu bieten und diese höchst emotionalen Rechtsschutzfälle im Arbeitsrecht auch emphatisch zu behandeln. Das alleinige Routing auf eine externe Anwalts-Hotline ist da nur die zweitbeste Lösung und provoziert gerade den Kunden diesen Weg, dann über das Internet, beim nächsten Mal direkt zu gehen. Eine Kompetenzwahrnehmung oder zumindest Anmutung entfällt durch ein solches outgesourctes Fallmanagement nahezu ganz.
Tarifgestaltung: Wie sich erhöhter Schadenaufwand auswirkt
Die zu bewältigenden Stückzahlen gerade für die Schadenserviceeinheiten werden daher in 2021 gewaltig ansteigen, schon bis Ende September legten die in 2020 eingetreten Rechtsschutzfälle nach den GDV-Kennzahlen um 13% zu. Dies wird sich im Nachgang des Shutdown Light - jetzt Hard - weiter dynamisieren, worauf sich die Versicherer nach der Weihnachtspause werden schon heute beginnend einstellen müssen. Schon die ersten Wochen im Januar könnten zu einer harten Belastungsprobe gerade für die Erreichbarkeit der Kundenservice- und Schadeneinheiten werden und auch hier gilt, was nicht möglichst schnell fallabschließend erledigt werden kann, wird in der Regel auch in der Folge teuer. Ist der Schadenservice nicht erreichbar, geht der Kunde ins Internet und sucht sich wie bei der Erfolgsgeschichte geblitzt.de seine eigene Lösung.
Alle Marktforschungsinstitute bestätigen den Versicherern, dass die Kunden aktive Hilfestellungen und auch Anwaltsempfehlungen heute immer mehr erwarten, natürlich mit höchster Qualität und Convenience. Daher hat die ÖRAG ihre gut 2.500 Vertrauensanwälte an 400 Standorten mit dem Tarif 2020 nochmals mehr auf der Qualitätsseite in die Pflicht genommen und den Kunden*Innen ein kostenloses Anwaltswechselversprechen mit der Zufriedenheitsgarantie eingeräumt und da ist es völlig egal, warum ein Kunde*In hiervon Gebrauch machen möchte.
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Nach einer Combined Ratio von 98% für 2019 wird schon wegen der Aufwandssteigerung aus dem Kostengesetzes zum 1.1.2021 die Quote wieder deutlich über 100% klettern, erste Indikationen für den Markt sehen hier 103%+X. 2021 wird also sehr herausfordernd für den Rechtsschutzmarkt, der sich auch darüber Gedanken machen muss, wie er mit dem erhöhten Schadenbedarf in der Tarifgestaltung umgeht und auch die laufende Beitragsanpassung im Privatkundengeschäft wird neben den Stornorisiken aus drohenden Insolvenzen und der ansteigenden Arbeitslosigkeit zusätzliche Herausforderungen an das Kundenmanagement im nächsten und wohl auch Folgejahr stellen.
Die Spreu wird sich vom Weizen trennen
Da aber auch über 55% der Haushalte bisher keine Rechtsschutzversicherung haben und diese Nichtkundengruppe im Jahresverlauf immer mehr den Bedarf auch für sich selbst erkannt hat, gilt es für die Underwriter und Aktuare jetzt weiterhin wachsam zu sein, insbesondere die in Krisenzeiten im Rechtsschutz immer zulegenden Vertriebswege Makler und der heute deutlich bedeutender gewordene Direkt- und Vergleichsportalskanal bergen hier Gefahren. Gerade den anonymen Vergleichsportalkanal haben sich die LegalTech-Onlinekanzleien mehr und mehr zu Nutze gemacht und ein immer professionelleres Mandatsfishing, gerade von rechtsschutzversicherten Mandaten über Google & Co etabliert. Dies hat die Branche leidvoll bei den Themen Widerrufsjoker bei Baudarlehen sowie Lebens- und Rentenversicherungen und dem Diesel-Abgasskandal durchleben müssen. Das Gesamtschadenvolumen hat sich nur für diese Bereiche auf weit über 1,5 Mrd. Euro (nach neuesten GDV-Zahlen) aufgetürmt und mit Wirecard droht weiteres Ungemach am Horizont. Wer sich in den nächsten zwei bis drei Jahren hier gut schlägt und auch den Schadenaufwand über die Versicherungstechnik und einem aktiven gemanagten Schaden- und in der Folge sehr wichtigen Bestandsservice im Griff behält, wird wie im Nachgang der Finanzkrise mit steigenden Marktanteilen und weiter zufriedenen Vertriebspartnern belohnt werden. Die Spreu wird sich vom Weizen trennen und eine gewisse Konsolidierungs- und Verschmelzungsdynamik der Rechtsschutzsparte sich im Markt sicherlich in den Folgejahren einstellen.
- Rechtsschutzversicherung: „2021 wird ein Schaden-Tsunami für die Branche“
- Tarifgestaltung: Wie sich erhöhter Schadenaufwand auswirkt