Ältere Versicherungsnehmer zahlen in der Kfz-Versicherung drauf: teils müssen Seniorinnen und Senioren kräftige Aufschläge bei der Prämie in Kauf nehmen, wie auch eine Studie des Versicherungsboten belegte. Vergleicht man Angebote von 25 KFZ-Tarifen bei geplantem Neuabschluss und legt eine einheitliche Schadenfreiheitsklasse 15 zugrunde, zahlt ein 67-jähriger Lediger im Durchschnitt aller Kfz-Haftpflicht-Tarife 196,96 Euro Jahresbeitrag mehr als ein 35-Jähriger. Und ein 85-jähriger Lediger muss im Schnitt sogar jährlich 1.232,27 Euro mehr für seine Prämie hinnehmen. Aufschläge werden auch in der Vollkaskoversicherung berechnet.

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Marktstudie der BaFin

Doch ist das auch rechtens - oder werden die ältere Versicherungsnehmerinnen und -nehmer mit Risikoaufschlägen diskriminiert? Mit dieser Frage hat sich die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (BaFin) in einer Marktstudie beschäftigt. Das Fazit der Aufsichtsbehörde: „Das Alter darf eine Rolle spielen“. Der Versicherungsbote hat sich dem Thema bereits ausführlich gewidmet.

Konkret hat die BaFin bei 44 Versicherern eine Umfrage gestartet, welche Methoden sie bei der altersabhängigen Tarifierung verwenden. Vereinzelte Stichproben vor Ort ergänzten die Studie. Das entsprach einer Marktabdeckung von mehr als 75 Prozent aller in Deutschland generierten Versicherungsbeiträge und abgeschlossenen Verträge in der Kraftfahrtversicherung. Analysiert wurden zudem relevante Kennziffern und durchschnittliche Prämien.

Eine Altersdifferenzierung „ist immer dann zulässig, wenn sie auf anerkannten Prinzipien risikoadäquater Kalkulation beruht“, berichtet die BaFin. Die entsprechenden Regeln hierfür sind im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz festgeschrieben. Demnach muss das Risiko versicherungsmathematisch bewertet werden - anhand statistischer Erhebungen.

Tarifierung: Risiko, Schadenaufwand, Schadenbedarf, Schadenquote

Konkret berechnen die Versicherer die Tarife in der Kfz-Versicherung anhand folgender Merkmale:

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  • Das Risiko entspricht dem versicherten Fahrzeug. Die Haftpflicht zahlt, wenn Dritte geschädigt werden, die Kasko Schäden am eigenen Auto.
  • Der Schadenaufwand entspricht der Summe aller Schadenzahlungen und Rückstellungen für eingetretene Schäden: hierbei werden alle erfolgten und erwarteten künftigen Zahlungen berücksichtigt.
  • Der Schadenbedarf entspricht dem durchschnittlichen Schadenaufwand je versichertem Risiko in einem Jahr. In der Kfz-Versicherung ist es der Quotient aus der Summe des Schadenaufwands im entsprechenden Kalenderjahr und der Zahl der Risiken.
  • Die Schadenquote ist der Quotient aus dem Schadenaufwand und den gezahlten Beiträgen der Versicherten. Sie misst, welchen Anteil der Prämien ein Versicherer für die Versicherungsleistungen aufwendet.

Altersprämien risikoadäquat berechnet

Wenn die Versicherer nun einen Tarif risikoadäquat kalkulieren, berechnen sie, welche Risiken typischerweise mit welchem Schadenverlauf einhergehen. In der Kfz-Versicherung werden hierfür eine ganze Reihe von Tarifmerkmalen herangezogen: zum Beispiel der Wohnort des Fahrzeugalters, das Automodell, Alter des Fahrzeughalters, die Kilometerleistung pro Jahr und wie lange jemand unfallfrei fuhr. Und eben das Alter des Versicherten. Bereits aus wenigen Tarifmerkmalen ergeben sich viele Kombinationsmöglichkeiten, berichtet die BaFin: diese werden „Tarifzellen“ genannt.

Einzelne Tarifzellen können nur schwach mit Risiken besetzt sein sowie bei Großschäden das ermittelte Risiko zufallsbedingt verzerren, berichtet die BaFin weiter. Um stabile Ergebnisse zu erhalten und zufallsbedingte Schwankungen auszugleichen, berücksichtigen die Versicherer in ihren mathematischen Verfahren den Schadenverlauf benachbarter Tarifzellen mit. Hierbei biete die Kfz-Versicherung der am stärksten ausdifferenzierten Tarife in der Schaden- und Unfallversicherung, berichtet die BaFin: Es werden folglich sehr viele Zellen eingerechnet. Das sei nicht zu beanstanden und beruhe auf anerkannte Verfahren der Versicherungsmathematik.

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Bei der Kalkulation greifen die Versicherer jedoch nicht allein auf eigene Datensätze zurück, sondern gleichen diese auch mit den Daten des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) ab. Dieser sammelt Datensätze aller Mitgliedsunternehmen und lässt sich stichprobenartig von einem Treuhänder mit einer Software prüfen. Hierbei muss man wissen, dass der Versicherer-Dachverband explizit empfiehlt, die Kfz-Prämien auch altersabhängig zu erheben: auf Basis der eigenen statistischen Daten. Auch diese hat sich die Finanzaufsicht angeschaut.

Tarife risikoadäquat kalkuliert

Die BaFin kommt in ihrer Studie zu dem Ergebnis, dass die altersbedingten Prämien-Aufschläge durchaus risikoadäquat kalkuliert sind. So greife auch nicht ein häufiger Einwand gegen höhere Prämien: Dass Seniorinnen und Senioren seltener Auto fahren. Dies sei nur bei Tarifen relevant, die auch die gefahrenen Kilometer berücksichtigen.

Ansonsten sei aber nach dem Äquivalenzprinzip entscheidend, wie sich Schadenbedarf und Schadenhäufigkeit der Risikogruppen entwickeln. Also stark vereinfacht, dass Leistung und Gegenleistung in einem ausgewogenen Verhältnis sind. Da beides "mit höherem Alter wieder zunimmt, hat die BaFin gegen die Praxis der Versicherer, entsprechende Zuschläge zu erheben, nichts einzuwenden", schreibt die Behörde. Die höheren Prämien spiegeln demnach das "nachweislich höhere, mit dem Alter einhergehende versicherungstechnische Risiko wieder."

Diesbezüglich sei daran erinnert, dass auch Fahranfänger unter 23 Jahren teils deutlich höhere Prämien zahlen: Weil sie oft als Unfallverursacher in Erscheinung treten. Die BaFin verweist auf die Jahresgemeinschaftsstatistik (JGS), die vom GDV erhoben und von der Finanzbehörde veröffentlicht wird. Seit 2012 differenziert diese auch nach Alterskohorten.

Seniorinnen und Senioren oft Unfallverursacher

Doch auch andere Daten verraten, weshalb Seniorinnen und Senioren Aufschläge zahlen müssen. So weist die offizielle Unfallstatistik, veröffentlicht vom Statistischen Bundesamt, die „Hauptverursacher je 1.000 Beteiligte“ bei Unfällen mit PKW-Fahrern aus: relevant vor allem für die Kfz-Haftpflicht. Unfallverursachende Fahrer werden also ins Verhältnis zu allen unfallbeteiligten Fahrern gesetzt. Das Amt hat die Durchschnittswerte für die Zeit von 2012 bis 2018 errechnet:

  • Am geringsten ist der Wert der Kohorte ab 25 Jahren bis 65 Jahre: rund 509 unfallbeteiligte Fahrer gelten hier je 1.000 Fahrer als Hauptverursacher eines Unfalls.
  • In der Kohorte der „Jungen“ von 18 Jahren bis 25 Jahre gelten hingegen schon rund 656 Fahrer von 1.000 als Hauptverursacher des Unfalls.
  • Am höchsten aber ist der Durchschnittswert für beteiligte PKW-Fahrer ab 65 Jahre: Rund 673 Beteiligte gelten hier als Hauptverursacher.
  • Noch höher ist die Zahl der Unfallverursacher in der Kohorte ab 75 Jahren. "Drei Viertel (75,6 Prozent) der PKW-Fahrer dieser Altersgruppe trugen die Hauptschuld an dem Unfall, an dem sie beteiligt waren“, schreibt Destatis.

Rabattsystem: 63jährige bis 67jährige zahlen am wenigsten Prämie

Die BaFin hebt erneut hervor, dass Seniorinnen und Senioren auch von ausgleichenden Tarifmerkmalen profitieren. Das Rabattsystem honoriert langes unfallfreies Fahren: Sie können höhere Schadensfreiheitsrabatte erreichen. Je länger sie ohne Schaden bleiben, desto günstiger werden in der Regel Prämie und Vertrag. Nach jedem Jahr kommt der unfallfreie Fahrer in eine günstigere SF-Klasse. Landet er nach 15 Jahren in der Regel in SF 15, ist es nach 35 Jahren die SF 35. Das ist meist auch die günstigste Schadenfreiheitsklasse. Somit bemerken viele ältere Versicherte den Prämienaufschlag gar nicht: Allerdings ist das laut Kritikern insofern ein Problem, weil die altersbedingten Mehrkosten oft auch nicht transparent werden.

Die BaFin nennt am Beispiel der Durchschnittsprämien Zahlen, wie sich die Aufschläge für Seniorinnen und Senioren konkret auswirken. So würden die 63-67jährigen Fahrzeughalter am wenigsten Zahlen, richtet man alle Vergünstigungen wie den Schadensfreiheitsrabatt ein. Entsprechend würden selbst 80jährige nur etwa halbsoviel zahlen wie 18jährige, die entsprechende Rabatte für unfallfreies Fahren nicht nutzen können. Am wenigsten wirke sich das höhere Alter in der Teilkasko aus: hier zahlen 82jährige und Ältere sogar die günstigste Prämie. Eine weitere Erkenntnis: Die meisten Versicherer würden das Zuschlagspotential, dass sich aus den höheren Schadenkosten ergebe, bei Seniorinnen und Senioren nicht einmal voll ausschöpfen.

Äquivalenzprinzip statt Solidarprinzip

Letztendlich hebt die BaFin noch hervor, dass die Tarifierung in der privaten Versicherungswirtschaft vom Solidarprinzip in der Sozialversicherung unterscheide. Im privaten Versicherungswesen gelte das versicherungstechnische Äquivalenzprinzip. "Es erfordert, dass die erwarteten Prämienzahlungen mit den erwarteten Versicherungsleistungen übereinstimmen", schreibt die BaFin.

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Die Prämie in der Kfz-Versicherung sei ausschließlich dafür gedacht, dass der Versicherer während der Vertragslaufzeit die Gefahr der Folgen eines finanziellen Schadens trägt - anders als Beispielsweise bei Verträgen, bei denen Kapital angespart werde. In der Sozialversicherung wird hingegen auf die Erhebung individueller Risikomerkmale weitestgehend verzichtet - mit Ausnahme der finanziellen Leistungsfähigkeit der Versicherten, an der sich der Beitrag orientiert. So wird etwa in der gesetzlichen Krankenversicherung der Beitrag nach den Einkommen gestaffelt.

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