Abrechnungsbetrug verursacht Krankenversicherern Schäden in Milliardenhöhe
Der Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen hat in den letzten Jahren zugenommen. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie von PwC. Die Schäden gehen in die Milliarden: Gefragt sind neben den Krankenkassen auch die privaten Krankenversicherer.
Patienten werden auf dem Papier kränker gemacht, als sie eigentlich sind, Rezepte gefälscht oder Behandlungen in Rechnung gestellt, die nie stattgefunden haben: Abrechnungsbetrug verursacht im Gesundheitssystem jedes Jahr Milliardenschäden. Doch nicht nur das: Schadenhöhe und Häufigkeit haben seit 2012 sogar zugenommen. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie aus dem Haus PwC.
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Konkret haben die Berater 19 gesetzliche (61 Prozent Marktabdeckung nach Mitgliederzahl) und 13 private Krankenversicherer (77 Prozent Marktabdeckung) befragt. Die Analyse knüpft an eine Vorgängerstudie von 2012 an.
Drei Viertel der PKV-Anbieter berichtet von teurem Abrechnungsbetrug
Das Ergebnis: Aktuell berichten 53 Prozent der gesetzlichen Krankenkassen von mindestens 100 Betrugsfällen aus dem vergangenen Jahr. Und mehr als jede zweite Krankenkasse registrierte einen Schaden von mehr als 500.000 Euro. Im Jahr 2012 meldete die Mehrheit (64 Prozent) lediglich bis zu zehn Betrugsdelikte, wobei 54 Prozent der Krankenkassen über Schäden von maximal 50.000 Euro berichteten.
Noch brisanter ist das Ergebnis bei den privaten Krankenversicherern: Über drei Viertel der Assekuranzen (76 Prozent) sind Gesamtschäden von mehr als 500.000 Euro entstanden. Im Jahr 2012 waren es noch 50 Prozent. Hierbei gilt es zu bedenken, dass Marktbeobachter von einer sehr hohen Dunkelziffer ausgehen. 84 Prozent der befragten Unternehmen schätzen die Dunkelziffer als hoch oder sehr hoch ein.
Doch wer sind die Haupttäter? Die GKVen sahen die meisten Täter im Bereich der Pflege (95 Prozent Pflegedienst, 68 Prozent häusliche Krankenpfleger), während die privaten Krankenversicherer vor allem ihre Kundinnen und Kunden als Täter vermuten. In der PKV rechnen die Versicherten knapp 70 Prozent der Leistungen direkt mit ihrem Krankenversicherer ab, berichtet PwC. Krankenhäuser, die einen der größten Kostenblöcke darstellen, würden aus Sicht der PKV und GKV hingegen nur eine untergeordnete Rolle spielen.
Zugleich haben die Anbieter die Bestrebungen intensiviert, gegen Abrechnungsbetrug vorzugehen. Die gesetzlichen Kassen beschäftigen im Schnitt drei Vollzeitkräfte (2012: 1,4 Vollzeitkräfte), die sich nur diesem Thema widmen. Auch die privaten Versicherer zeigen laut Studie mehr Engagement und haben spezialisierte Vollzeit-Stellen geschaffen, im Schnitt sind vier Beschäftigte bloß mit Betrugsbekämpfung befasst.
Dennoch bekämpfen die Versicherer Abrechnungsbetrug nicht konsequent genug, bemängelt PwC. "Statt Kontrollen, die intern durchgeführt werden, verlassen sie sich zu stark auf Hinweise von außen, etwa durch andere gesetzliche Krankenkassen, Polizei und Staatsanwaltschaft. Vielfach gehen sie den Hinweisen auch nicht entschieden genug nach", bemängelt das Beratungshaus. Bei den Krankenkassen sei die Bereitschaft, allen Hinweisen nachzugehen, sogar von 73 Prozent im Jahr 2012 auf nun 53 gesunken. In vielen Unternehmen fehle es darüber hinaus an einem Compliance-System zur Betrugsbekämpfung.
Betrug von Ärzten und Kliniken spielt untergeordnete Rolle?
Die Einschätzung, dass vor allem Versicherte und Pflegedienstleister bei Abrechnungsbetrug eine Rolle spielen, verwundert. In den letzten Jahren sorgte im GKV-System vor allem der Abrechnungsbetrug von Ärztinnen und Ärzten für Schlagzeilen, der nach PwC-Studie weniger ausgeprägt ist:
Eine Studie im Auftrag der Techniker Krankenkasse stellte einen regelrechten "Kodierwettbewerb" unter Kassenärzten fest. Durch sogenanntes "Upcoding" werden bei Patientinnen und Patienten gezielt teure Krankheitsdiagnosen gestellt, auch wenn sie an harmloseren Krankheitsbildern leiden. Die Bundesregierung reagierte bereits mit dem "Gesetz für einen fairen Kassenwettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung", um hier Fehlanreize einzudämmen: Demnach wird das gesamte Krankheitsspektrum (statt bisher 50 bis 80 Krankheiten) im Risikostrukturausgleich (RSA) berücksichtigt, damit Umkodierungen weniger lukrativ sind. Die Reform trat im April 2020 in Kraft.
In der privaten Krankenversicherung sind diese "Upcoding"-Anreize zwar geringer, weil Patientinnen und Patienten eine Quittung über die abgerechnete Arztleistung erhalten. Doch auch hier ist es nicht auszuschließen, dass Mediziner Prognosen manipulieren. Demnach würde es in vielen Fällen medizinisches Fachwissen erfordern, die Quittung genau zu überprüfen.
Eine hohe Dunkelziffer wurde ebenso beim Betrug von Kliniken angenommen. Auch hier wird "Upcoding" betrieben: also bei Patientinnen und Patienten teure Krankheitsbilder diagnostiziert, auch wenn sie an etwas anderem leiden. Der zweckentfremdete Einsatz öffentlicher Fördermittel sei ein weiteres Einfallstor für Betrug. Ein 2012 veröffentlichter Aufsatz von Prof. Dr. Hendrik Schneider von der Universität Leipzig und der Rechtsanwältin Claudia Reich (Abrechnungsbetrug durch "Upcoding") bemängelte, dass diese Formen des Betruges kaum ins öffentliche Bewusstsein rücken, auch die Versicherer sich zu wenig engagieren. Die PwC-Studie könnte ein Indiz sein, dass sich dies nicht geändert hat.
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