Krebs erhöht das Armutsrisiko
Die Diagnose „Krebs“ bedeutet für viele Betroffene und Familien einen Schock. Die Krankheit kann außerdem in die Armut führen. Der Versicherungsbote stellt Gründe des „Armutsrisikos Krebs“ vor.
- Krebs erhöht das Armutsrisiko
- Der Gang die Einkommensleiter hinab
- Pflegebedürftigkeit als zusätzliches Armutsrisiko
Krebs als „Geisel der Menschheit“
Krebs ist eine „Geißel der Menschheit, die in den Zellen angelegt ist“. Diese drastischen Worte wählt ein Mann, der es wissen muss – Carsten Bokemeyer, Direktor des Hubertus Wald Tumorzentrums (UCCH) in Hamburg. Keine Krankheit wird in modernen Industrienationen mehr gefürchtet als Krebs. Das zeigen auch Umfragen in Deutschland immer wieder (Versicherungsbote berichtete hier und hier).
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Die Angst vor Krebs begründet sich zum einen durch die oft erschütternden Verläufe der aggressiven Krankheit. Zum anderen zeigt der Krebs wie keine andere Krankheit die Grenzen des menschlichen Wissens und Handelns auf – für viele Krebserkrankungen sind Entstehungsmechanismen noch nicht ausreichend bekannt oder bekannte Auslöser lassen sich nicht beeinflussen. Das aber bedeutet nicht, man könne Krebserkrankungen nicht heilen.
Immer mehr Menschen überleben die Erkrankung
Immer mehr Menschen überleben die tückische Krankheit durch effektivere Therapien und die Entdeckung bösartiger Tumoren in frühen Stadien. Von den rund 500.000 Neuerkrankten, die es jährlich gibt, kann mehr als die Hälfte mit dauerhafter Heilung rechnen. Darüber informiert das Deutsche Krebsforschungszentrum (dkfz). Eine Krebsdiagnose kommt also keineswegs mehr einem Todesurteil gleich.
Überlebenschancen hängen aber stark von der Art und dem Stadium des Tumors ab. Das zeigen die relativen Fünf-Jahres-Überlebensraten – ein Maß für die Überlebenschancen von Krebspatientinnen und -patienten in Relation zur allgemeinen Bevölkerung gleichen Alters und Geschlechts. Gute Überlebenschancen haben zum Beispiel Betroffene von Prostatakrebs: Hier liegen die relativen Überlebensraten höher als 90 Prozent.
Schlechte Prognosen hingegen haben Menschen mit bösartigen Tumoren der Lunge oder der Leber – hier sind die Überlebensraten geringer als 20 Prozent. Und beim Bauchspeichelkrebs überleben nicht einmal zehn Prozent der Erkrankten die nächsten fünf Jahre nach Erstdiagnose.
Krebstherapien sind oft langwierig
Therapien einer Krebserkrankung sind oft langwierig und leidvoll. Schon die Diagnose ist für viele Menschen ein Schock. Zu den Auswirkungen der Krebserkrankung – zum Beispiel körperliche Schmerzen oder große Ängste vor einem tödlichen Verlauf der Krankheit – kommen Nebenwirkungen der Therapien: zum Beispiel die Folgen einer operativen Entfernung des Tumors, die Nebenwirkungen der Chemotherapie wie Übelkeit und Haarausfall oder Nebenwirkungen einer Strahlentherapie wie die Beschädigung auch gesunden Gewebes.
Zumal der Krebs oder auch Therapien wie die Chemotherapie das Immunsystem schwächen – selbst ansonsten harmlose Krankheiten werden schnell zu einer zusätzlichen Gefahr. So ist zum Beispiel das Risiko für Krebspatienten, durch eine Infektion mit respiratorischen (die Atmung betreffenden) Viren eine Lungenentzündung zu erleiden, deutlich höher als für Gesunde. Die Mortalität liegt bei Influenza- oder RSV-Infektionen bei bis zu 25 Prozent, informiert die Plattform Onkopedia. Aus diesem Grund gelten Krebspatienten auch als besonders gefährdet durch das Corona-Virus.
Hinzu kommt die Angst vor dem Rückfall. Das Risiko hierfür ist unterschiedlich hoch – je nach Art der Krebserkrankung. So werden zum Beispiel bei etwa einem Viertel aller Brustkrebspatientinnen innerhalb von zehn Jahren nach einer Ersterkrankung Metastasen festgestellt. Die Angst vor solchen Rückfällen ist für Betroffene eine schwere psychische Last.
Schwere Erkrankung kann finanzielle Existenz bedrohen
Eine Krebserkrankung kann zusätzlich auch die finanzielle Existenz von Patienten oder ganzen Familien bedrohen. Auf solche Probleme weist seit Jahren Jürgen Walther hin – Leiter des Sozialdienstes am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen in Heidelberg.
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Walther äußert gegenüber dem Deutschlandfunk: „Das ist eine Leiter, die sie runter gehen auf der einen Seite, vom Arbeitseinkommen zum Krankengeld, zur Erwerbsminderungsrente, unter Umständen zum Arbeitslosengeld, je nachdem in welcher Situation Sie sind. Auf der anderen Seite steigen die Zuzahlungen, durch die Gesundheitsreformen sind die Eigenbeteiligungen enorm gestiegen. Dann ist es so, dass gerade Menschen mit onkologischen Erkrankungen viel probieren im komplementären Bereich. Und das belastet die Betroffenen finanziell ganz erheblich.“
Der Gang die Einkommensleiter hinab
Der Gang die Einkommensleiter hinunter erfolgt in Stufen: Lohnfortzahlungen des Arbeitgebers sind auf nur sechs Wochen begrenzt. Danach gibt es – maximal 72 Wochen – Krankengeld durch die gesetzliche Krankenkasse. Oft reicht das nicht aus, um Einkommensverluste abzufedern. Für Reha-Maßnahmen kann außerdem Übergangsgeld bezogen werden. Dieses Geld muss beim jeweiligen Rehabilitationsträger beantragt werden. Damit ist erneuter Einkommensverlust verbunden. Deutschlands größter Sozialverband VDK informiert hierzu: Für Versicherte ohne Kinder liegt es bei 68 Prozent des letzten Nettoarbeitsentgelts, bei Versicherten mit Kindern bei 75 Prozent. Bei Selbstständigen und freiwillig Versicherten besteht das Übergangsgeld aus 80 Prozent des Einkommens, das den Beiträgen zugrunde liegt, die sie vor Beginn der Leistungen für das letzte Kalenderjahr gezahlt haben.
Rentenantragsfiktion kann Übergangsgeld kosten
Allerdings ist nicht einmal sicher, ob man nach Beantragung einer Reha-Maßnahme die Übergangsleistungen überhaupt erhält. Denn eine gesetzliche Regel – Jürgen Walther nennt sie die Rentenantragsfiktion – kann dazu führen, dass schneller Ansprüche wegfallen als gedacht. Das trifft zu, sobald ein Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben von den zuständigen Trägern umgedeutet wird zum Antrag auf Erwerbsminderungsrente. Die Möglichkeit besteht für den Fall, dass Versicherte vermindert erwerbsfähig sind und dass ein Erfolg der Maßnahme aus Sicht des Trägers nicht zu erwarten ist.
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Exemplarisch macht der Deutschlandfunk mit einem solchen Fall bekannt – hier führte eine Krebserkrankung direkt in die Schuldenfalle. Ein Angestellter mit Krebsdiagnose, der zuvor etwa 2.600 Euro verdiente, rutschte schon kurze Zeit nach Erstdiagnose in die Erwerbsminderungsrente. Den Verlust eines großen Teils seines Einkommens konnte seine Familie nicht ausgleichen.
Armutsgefahr durch Erwerbsminderungsrente
Selbst aber, wenn Übergangsgeld zunächst gezahlt wird, kann ein späteres Abrutschen in die Erwerbsminderung zur Armut führen. Liegt doch eine solche Rente im Schnitt bei weniger als 840 Euro im Monat (Versicherungsbote berichtete). Betrifft dies also einen Hauptverdiener, kann eine Familie schnell laufende Kosten oder Kredite nicht mehr bedienen.
Und Erwerbsminderungsrenten durch Krebserkrankungen sind keineswegs selten: 11.041 Männer und 11.764 Frauen bezogen laut Zahlen der Deutschen Rentenversicherung in 2019 erstmals eine Rente, weil bösartige Neubildungen zur verminderten Erwerbsfähigkeit führten.
Sogar für den Bezug dieser niedrigen Renten hat der Gesetzgeber hohe Hürden gesetzt. Denn medizinische Voraussetzungen für eine Rente wegen voller Erwerbsminderung sind erst dann erfüllt, wenn Versicherte wegen Krankheit oder Behinderung weniger als drei Stunden täglich arbeiten können – und zwar nicht nur in ihrem bisherigen Beruf, sondern in allen Berufen.
Pflegebedürftigkeit als zusätzliches Armutsrisiko
Das Problem einer Armutsfalle kann sich noch vergrößern, wenn eine Krebspatientin oder ein Krebspatient dauerhaft auf Pflege angewiesen ist. Die Vorstellung ist keinesfalls unrealistisch. Exemplarisch nennt das Robert-Koch-Institut im letzten Bericht zum Krebsgeschehen in Deutschland: Jeder achte Pflegefall hat eine Krebserkrankung als erste pflegebegründende Diagnose (2013).
Leisten Angehörige die Pflege, kann auch für sie Einkommen wegfallen. Benötigt Pflege doch viel Zeit, weswegen Arbeitszeiten oft reduziert werden müssen. Hinzu kommen Ausgaben für Hilfsmittel oder für einen behindertengerechten Umbau der Wohnung oder des Hauses. Diese werden zwar bezuschusst; doch die Höhe der Zuschüsse ist auf 4.000 Euro je Maßnahme begrenzt.
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SchuldnerAtlas bestätigt Armutsrisiko durch Krankheit
Das Armutsrisiko durch schwere Erkrankungen zeigt seit Jahren auch der SchuldnerAtlas von Creditreform: Während „ökonomische“ Auslöser wie Arbeitslosigkeit und gescheiterte Selbstständigkeit als Gründe einer Überschuldung in den letzten Jahren an Bedeutung verloren haben, hat sich der Anteil der Überschuldungsauslöser Erkrankung, Sucht, Unfall auffallend erhöht:
- So wurden zwar 1,36 Mio. Überschuldungsfälle in 2020 durch Arbeitslosigkeit ausgelöst – diese Zahl nahm gegenüber 2008 um 30 Prozent ab.
- Überschuldungen durch den Auslöser Erkrankung, Sucht, Unfall hingegen nehmen seit Jahren an Bedeutung zu. In 2019 wurden 1,17 Mio. Überschuldungen durch Erkrankung, Sucht, Unfall verursacht – 59 Prozent mehr als noch in 2008.
- Krebs erhöht das Armutsrisiko
- Der Gang die Einkommensleiter hinab
- Pflegebedürftigkeit als zusätzliches Armutsrisiko