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Taten statt Lippenbekenntnisse: Die Europäische Union will Altersvorsorge-Anbieter und Finanzdienstleister dazu verpflichten, nachhaltiger zu werden. Das betrifft nicht allein die enormen Kundengelder, die die Konzerne verwalten - und nun ökologischer und sozialer angelegt werden sollen. Auch der eigene Geschäftsbetrieb soll entsprechend umgestellt werden. Dabei hat es der Gesetzgeber bei der Umsetzung eilig: Schon am 21. März 2021 tritt die sogenannte Verordnung 2019/2088 über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor (TVO) in Kraft.

"Dringend Maßnahmen ergreifen"

In der Verordnung heißt es konkret: “Da sich die Union in zunehmendem Maße mit den katastrophalen und unabsehbaren Folgen des Klimawandels, der Ressourcenverknappung und anderer nachhaltigkeitsbezogener Probleme konfrontiert sieht, müssen dringend Maßnahmen ergriffen werden, um Kapital zu mobilisieren, und zwar nicht nur durch die Politik, sondern auch durch den Finanzdienstleistungssektor. Daher sollten Finanzmarktteilnehmer und Finanzberater verpflichtet werden, spezifische Informationen über ihre Ansätze für die Integration von Nachhaltigkeitsrisiken und die Berücksichtigung nachteiliger Nachhaltigkeitsauswirkungen offenzulegen“.

Wenn der EU-Vorstoß auch begrüßenswerte Absichten erkennen lässt: Er bedeutet, dass Vermittlerinnen und Vermittler tätig werden müssen, weil sich die regulatorischen Vorgaben binnen kurzer Zeit erneut verschärfen. Das betrifft Beratungspflichten, aber etwa auch Angaben auf der eigenen Webseite. Deshalb haben der Bundesverband Finanzdienstleistung (AfW) und VOTUM Verband Unabhängiger Finanzdienstleistungs-Unternehmen in Europa nun Tipps und Formulierungshilfen veröffentlicht, die dabei helfen sollen, die Vorgaben in die Praxis umzusetzen. Wer direkt darauf zugreifen will, findet die Hinweise auch über einem Downloadlink auf der Webseite des AfW.

Für wen gilt die neue Verordnung?

Wer die Vorgaben der Transparenzverordnung genau beachten muss, ist nach Ansicht der beiden Verbände gar nicht so eindeutig zu beantworten. Sicher ist: Wenn Finanzanlageprodukte und/oder Versicherungsanlageprodukte vermittelt werden, ist sie einzuhalten. Weniger sicher ist, ob sie auch für Finanzanlagenvermittler nach § 34f GewO gilt. „Vom Wortlaut der Verordnung her ist das nicht der Fall. Von Sinn und Zweck: ja. Eventuell handelt es sich um einen Redaktionsfehler, der sicher absehbar behoben wird“, berichten die Verbände. Ein Hinweis, dass auch diese Vorgaben wieder mit heißer Nadel gestrickt wurden: so habe man in Brüssel möglicherweise Ausnahmen, die für 34f-Vermittler in Deutschland gelten, übersehen. Die Verbände raten, dass auch Finanzanlagenvermittler die Vorgaben einhalten.

Ohnehin ist in der Verordnung zu beobachten, dass Begriffe unscharf und missverständlich verwendet werden. In der TVO ist kollektiv von "Finanzberatern" die Rede: gemeint sind aber nicht nur jene, die streng gegen Honorar beraten, sondern auch Versicherungs- und Anlagevermittler. Hier wird die Rechtsstellung der Vermittler und Berater nach deutschem Recht unzureichend berücksichtigt.

Ausgenommen sind von der Regel Vermittlerinnen und Vermittler, die weniger als drei Personen beschäftigen (Artikel 17 Absatz 1 TVO). In einem Interview mit dem „Versicherungsmagazin“ rät jedoch Andre Kempf, Referatsleiter und Syndikusanwalt der Allianz Leben, dass sich diese Büros ebenfalls mit der Materie beschäftigen. „Ich sehe hier eine echte Nachfrage von Kundenseite auf den Vermittler zukommen. Hier zu argumentieren, "gilt für mich nicht, ich bin ein Kleinbetrieb", steht dem Vermittler nicht gut zu Gesicht“, sagt Kempf. Es sei zudem denkbar, dass Ausnahmen noch kassiert werden.

Die Pflichten aus der TVO unterscheiden zudem zwischen:

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  • Informationspflichten im Rahmen des eigenen Internetauftritts und
  • vorvertraglichen Informationspflichten im Rahmen der Beratungsdokumentation.

Welche Informationspflichten sind mit Blick auf die eigene Webseite zu beachten?

Kundinnen und Kunden sind auf der Webseite über Nachhaltigkeitsrisiken zu informieren. Speziell sollten sie aufgeklärt werden, was Nachhaltigkeitsrisiken bei Finanzprodukten sind und wie sie in Sachen Geldanlage berücksichtigt werden können. Die Informationen können im Impressum oder auch einem extra ESG-Reiter, mit einem ESG-Info-Button oder einer „Nachhaltigkeitsinformation“ o.ä. dargestellt werden. Der AfW und Votum geben den Vermittlerinnen und Vermittlern konkrete Formulierungshilfen zur Hand, die auf der Webseite helfen können, über das Thema aufzuklären. Anmerkungen der Redaktion sind kursiv gesetzt.

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Was sind Nachhaltigkeitsrisiken?

Als Nachhaltigkeitsrisiken (ESG-Risiken) werden Ereignisse oder Bedingungen aus den drei Bereichen Umwelt (Environment), Soziales (Social) und Unternehmensführung (Governance) bezeichnet, deren Eintreten negative Auswirkungen auf den Wert der Investition bzw. Anlage haben könnten. Diese Risiken können einzelne Unternehmen genauso wie ganze Branchen oder Regionen betreffen.

Was gibt es für Beispiele für Nachhaltigkeitsrisiken in den drei Bereichen?

(Folgende Beispiele schlagen die Verbände vor, um den Kundinnen und Kunden vor Augen zu führen, was fehlende Nachhaltigkeit bewirken kann:)

  • Umwelt: In Folge des Klimawandels könnten vermehrt auftretende Extremwetterereignisse ein Risiko darstellen. Dieses Risiko wird auch physisches Risiko genannt. Ein Beispiel hierfür wäre eine extreme Trockenperiode in einer bestimmten Region. Dadurch könnten Pegel von Transportwegen wie Flüssen so weit sinken, dass der Transport von Waren beeinträchtigt werden könnte.
  • Soziales: Im Bereich des Sozialen könnten sich Risiken zum Beispiel aus der Nichteinhaltung von arbeitsrechtlichen Standards oder des Gesundheitsschutzes ergeben.
  • Unternehmensführung: Beispiele für Risiken im Bereich der Unternehmensführung sind etwa die Nichteinhaltung der Steuerehrlichkeit oder Korruption in Unternehmen.

Information zur Einbeziehung von Nachhaltigkeitsrisiken bei der Beratungstätigkeit (Art. 3 TVO)

"Um Nachhaltigkeitsrisiken bei der Beratung einzubeziehen, werden im Rahmen der Auswahl von Anbietern (Finanzmarktteilnehmern) und deren Finanzprodukten deren zur Verfügung gestellte Informationen berücksichtigt. Anbieter, die erkennbar keine Strategie zur Einbeziehung von Nachhaltigkeitsrisiken in ihre Investitionsentscheidungen haben, werden ggf. nicht angeboten.
Im Rahmen der Beratung wird ggf. gesondert dargestellt, wenn die Berücksichtigung der Nachhaltigkeitsrisiken bei der Investmententscheidung erkennbare Vor- bzw. Nachteile für den Kunden bedeuten.
Über die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken bei Investitionsentscheidungen des jeweiligen Anbieters informiert dieser mit seinen vorvertraglichen Informationen. Fragen dazu kann der Kunde im Vorfeld eines möglichen Abschlusses ansprechen."

Ergänzt werden können derartige Hinweise auch mit einer zusätzlichen Erklärung, falls die Vermittlerinnen und Vermittler eine gezieltere Strategie in Sachen Nachhaltigkeit verfolgen. Dies können Formulierungen wie Folgende sein, schlagen die Verbände vor:

"Um die Bewertung von Nachhaltigkeitsrisiken vorzunehmen, nutzt der Finanzberater u.a. zusätzliche Informationen von Dienstleistern, Verbänden oder Organisationen, die sich auf die Beurteilung dieser Risiken spezialisiert haben. Grundsätzlich wird auch in Bezug auf Nachhaltigkeitsrisiken eine möglichst breite Streuung (Diversifizierung) der Anlage in Finanzprodukte oder ggf. auch innerhalb eines Finanzproduktes empfohlen."

Information zur Berücksichtigung nachteiliger Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren (Art. 4 TVO)

Vermittlerinnen und Vermittler müssen auch darüber Auskunft geben, ob und in welchem Umfang sie Nachhaltigkeitskriterien im Beratungsgespräch und bei der Auswahl von Produkten berücksichtigen - oder, weshalb sie dies nicht tun. Deshalb schlagen die Verbände zwei alternative Formulierungen für die Webseite vor, je nachdem, ob man selbst aktiv ESG-Kriterien bei Produktauswahl und Beratung berücksichtigt. Hierbei verweisen AfW und Votum indirekt auf ein Problem: nämlich, wie aktiv Versicherer und Vorsorgeberater überhaupt Infos zu ihrer Anlagestrategie und ESG-Kriterien zur Verfügung stellen. Erinnert sei daran, dass nach Recherchen der ZEIT und von Finanztest Versicherer bei Altersvorsorge-Produkten etwa auch in Streubomben, Kohlekraftwerke oder Projekte, die mit Landraub verbunden sind, investiert haben. Trotzdem werben auch solche Versicherer mit dem Trend-Thema Nachhaltigkeit: Hier ist das Risiko von Greenwashing groß, solange nicht verbindliche Standards dafür bestehen, ESG-Kriterien auszuweisen.

  • Folgende Formulierung schlagen die Verbände für Vermittler vor, die die Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren zumindest eingeschränkt von sich aus berücksichtigen:
    "Im Rahmen der Beratung werden die wichtigsten nachteiligen Auswirkungen von Investitionsentscheidungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren berücksichtigt. Die Berücksichtigung erfolgt auf Basis der von den Anbietern zur Verfügung gestellten Informationen zu ihrer Nachhaltigkeit und ggf. der Nachhaltigkeit des jeweiligen Finanzproduktes. (Zurzeit kann eine Berücksichtigung auf Grund sich aufbauender, aber aktuell noch ggf. rudimentärer Informationen durch die Anbieter lediglich bedingt erfolgen.)"
  • Folgende Formulierung schlagen die Verbände für Vermittler vor, die die Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren nicht von sich aus und allenfalls auf besonderen Kundenwunsch berücksichtigen:
    "Im Rahmen der Beratung werden die wichtigsten nachteiligen Auswirkungen von Investitionsentscheidungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren der Anbieter nur bedingt berücksichtigt. Die Berücksichtigung erfolgt ggf. auf Basis der von den Anbietern zur Verfügung gestellten Informationen zu ihrer Nachhaltigkeit und ggf. der Nachhaltigkeit des jeweiligen Finanzproduktes.
    Auf Grund der aktuell beschränkten Informationen der Anbieter werden diese Aspekte aktuell nicht in der Beratung berücksichtigt. Sie können auf besonderen Wunsch des Kunden auf Basis der aktuell zur Verfügung stehenden Datenlage berücksichtigt werden. Mit einem zukünftigen breiteren Marktangebot wird eine standardmäßige Berücksichtigung erfolgen."

Informationen zur Vergütungspolitik bei der Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken (Art. 5 TVO)

Es kann sein, dass es sich auch auf die Vergütung auswirkt, wenn ESG-Kriterien im Beratungsgespräch berücksichtigt werden: schließlich ist damit ein Mehraufwand an Recherche und Beratung verbunden. Je nachdem, ob das in höhere Provisionen mündet, schlagen auch hier die Verbände unterschiedliche Formulierungen vor.

  • Alternative 1 (Mehrvergütung bei der Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken):
    "Die Vergütung für die Vermittlung von Finanzprodukten wird grundsätzlich nicht von den Nachhaltigkeitsrisiken beeinflusst.
Es kann vorkommen, dass Anbieter die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken bei Investitionen höher vergüten. Wenn dies dem Kundeninteresses nicht widerspricht, wird die höhere Vergütung angenommen."
  • Alternative 2 (Vergütung unabhängig von Nachhaltigkeitsrisiken):
    "Die Vergütung für die Vermittlung von Finanzprodukten wird nicht von den jeweiligen Nachhaltigkeitsrisiken beeinflusst."

  • Nur wenn zutreffend (Information zur Mitarbeitervergütung):
    "Der Finanzberater fördert die Einbeziehung von Nachhaltigkeitsrisiken ggf. durch eine höhere Mitarbeitervergütung."

Beratungsdokumentation: vorvertragliche Informationen

Auch in der Beratungsinformation darf das Thema Nachhaltigkeit nicht mehr fehlen, wenn man Versicherungsanlage- und/oder Finanzanlageprodukte vermittelt. Der Kunde bzw. die Kundin muss in der vorvertraglichen Information darüber informiert werden. Dies gilt laut Verordnung auch dann, wenn Vermittlerbüros keine explizite Nachhaltigkeitsstrategie haben bzw. bei der Produktauswahl darauf verzichten.

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  • Alternative 1: Formulierungs-Empfehlung, sofern die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken ein maßgebliches Auswahlkriterium für Produkte ist:
    "Bei der Beratung zu Finanzprodukten werden Nachhaltigkeitsrisiken einbezogen, indem die Angebote am Markt auch diesbezüglich beobachtet werden. Bei der Produktauswahl wird geprüft, ob Anbieter Nachhaltigkeitsrisiken aus Sicht des Finanzberaters in angemessener Art und Weise berücksichtigen. Berücksichtigt der Anbieter Nachhaltigkeitsrisiken nach Einschätzung des Finanzberaters nicht in angemessener Art und Weise, wird keine Empfehlung ausgesprochen. Es erfolgt ein Hinweis, wenn es dadurch zu einer Einschränkung der Auswahl bei den Finanzprodukten kommt. Trotz der Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich der Eintritt von Nachhaltigkeitsrisiken negativ auf die Rendite des Finanzproduktes auswirkt."
  • Alternative 2: zu verwenden, wenn Nachhaltigkeitsrisiken auf Basis der Produktinformationen bewertet werden:
    "Bei der Beratung zu Finanzprodukten werden Nachhaltigkeitsrisiken einbezogen, indem die vorvertraglichen Informationen des Anbieters verwendet werden. Trotz der Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich der Eintritt von Nachhaltigkeitsrisiken negativ auf die Rendite des Finanzproduktes auswirkt."
  • Alternative 3 (zu verwenden, wenn die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken als nicht relevant erachtet wird):
    "Bei der Beratung zu Finanzprodukten werden Nachhaltigkeitsrisiken für nicht relevant erachtet, da davon ausgegangen wird, dass diese bereits durch die Anbieter berücksichtigt und in deren vorvertraglichen Informationen dargelegt werden. Sollte dies nicht der Fall sein, wird hierzu in den vorvertraglichen Informationen des Anbieters eine entsprechende Erläuterung erfolgen."

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