Allianz darf für fristgerechten Widerruf einer Lebensversicherung keine exorbitant hohen Summen berechnen
Die Allianz erleidet eine Niederlage gegen die Verbraucherzentrale Hamburg. Eine Frau sollte eine exorbitant hohe Summe bezahlen, nachdem sie ihre Lebensversicherung per Einmalbeitrag gekündigt hatte: über 138 Euro pro Tag. Und stand damit beispielhaft für viele ähnlich gestaltete Verträge. So geht es nicht, entschied nun das OLG Stuttgart: Denn damit würden Verbraucherinnen und Verbraucher für den Widerruf quasi bestraft.
Das Oberlandesgericht Stuttgart hat der Allianz Lebensversicherungs-AG verboten, die Widerrufsfolgen bei Sofortrentenversicherungen einzelfallunabhängig zu berechnen. Das berichtet aktuell die Verbraucherzentrale Hamburg, die das Urteil erzwungen hat. Demnach darf der Betrag nicht so hoch sein, dass er als Vertragsstrafe ausgelegt werden kann. In den exorbitant hohen Summen, die eine Rentnerin zahlen sollte, sah das Gericht eine Benachteiligung für Verbraucherinnen und Verbraucher (OLG Stuttgart, 21.1.2021, 2 U 565/19).
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Pro Tag 139 Euro „Vertragsstrafe“ für fristgerechten Widerruf
Im konkreten Rechtsstreit hatte eine 84jährige Rentnerin die Sofortrente „X-PrivatSofortRente Klassik“ abgeschlossen. 50.000 Euro zahlte sie ein: Dafür sollte sie eine garantierte Jahresrente von 4.166,77 Euro erhalten. Ab Beginn der Rentenzahlung war zusätzlich eine Todesfallleistung bis zum 31.10.2026 vorgesehen - in Höhe der 10-fachen jährlichen, ab Rentenbeginn garantierten Rente, aber abzüglich bereits erhaltener Monats-Bezüge.
Die Frau überlegte es sich anders: und widerrief den Vertrag. Und zwar fristgerecht innerhalb von 30 Tagen: diese Frist hatte die Allianz im Vertrag selbst eingeräumt. Denn in der Widerrufsbelehrung hieß es wortwörtlich: „Sie können Ihre Vertragserklärung innerhalb von 30 Tagen ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B. Brief, Fax, E-Mail) widerrufen“.
Dann aber stellte der Versicherer eine extrem hohe Summe für den Widerruf in Rechnung. Fast 139 Euro sollte die Frau pro Tag zahlen. Hätte sich die Betroffene erst am Ende der gesetzlichen Frist von 30 Tagen von ihrer Police getrennt, so hätte sie über 4.100 Euro an die Allianz zahlen müssen: einfach, um den Vertrag fristgerecht zu widerrufen.
Die Allianz berief sich bei der Summe, die sie von der Rentnerin verlangt hatte, auf eine Standardformel, die folgendermaßen lautete: „Tagessatz lebenslange SofortRente = Einmalbetrag / ((erwartetes Lebensalter - Eintrittsalter der versicherten Person) x 360)“. Dabei legte sie eine geschlechtsunabhängige Lebenserwartung von 85 Jahren zugrunde. Für den vorliegenden Fall der betroffenen Seniorin bedeutet das: Tagessatz = 50.000 Euro / ((85-84) x 360) = 50.000 Euro / 360 = 138,88 Euro.
Derart hohe Summen für Widerruf benachteiligen Versicherungsnehmer
Die unverhältnismäßig hohen Forderungen erzürnten nicht nur die Rentnerin, sondern auch die Verbraucherzentrale Hamburg (VZHH): die zumindest in dieser Sache erfolgreich gegen den Versicherer klagte. Denn die Richter des Oberlandesgerichtes Stuttgart (OLG) urteilten, dass die hohe Summe die Verbraucherin unangemessen benachteilige.
Laut dem OLG Stuttgart dürfe der zu zahlende Betrag nicht so bemessen sein, dass er als Vertragsstrafe ausgelegt werden könne. Denn derart hohe Zahlungen würden die Kundinnen und Kunden davon ab, ihr verbürgtes Recht wahrzunehmen: eben den Vertrag fristgerecht zu widerrufen. "Dies ist hier aber der Fall, denn bei einem Betrag von 138,89 Euro pro Tag handelt es sich um eine exorbitant hohe Summe, die erkennbar in keiner Weise durch ein übernommenes Versicherungsrisiko gerechtfertigt werden kann", begründeten die Richter das Urteil.
Als Verlierer fühlt sich die Allianz dennoch nicht. “In seiner Entscheidung vom 21. Januar 2021 hat das Oberlandesgericht Stuttgart (OLG Stuttgart) bestätigt, dass die gesetzliche Musterwiderrufsbelehrung auch im Fall von sofort beginnenden Rentenversicherungen mit Einmalbeitragszahlung anzuwenden ist. Dies war von der Verbraucherzentrale Hamburg in Zweifel gezogen worden. Das OLG Stuttgart ist damit der diesbezüglichen Position der Allianz Lebensversicherungs-AG und des erstinstanzlichen Urteils des Landgerichts Stuttgart gefolgt”, heißt es in einer Stellungnahme.
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Nur in Konstellationen, die dem der Klage zugrundeliegenden Sachverhalt (Alter der Versicherungsnehmerin bei Vertragsabschluss 84 Jahre) genau entsprechen würden, sei die Allianz Leben verpflichtet, bei der Berechnung des für die Zeit bis zum Widerruf einzubehaltenden Prämienanteils zukünftig nicht mehr eine geschlechtsunabhängige Lebenserwartung von 85 Jahren zugrunde zu legen, positioniert sich die Allianz weiter. Sie müsse einen darauf beruhenden Betrag ausweisen. Im konkreten Fall hatte die Verbraucherzentrale eine verbleibende Lebenserwartung von 9,2 Jahren angenommen, anhand derer sich die Zahlung errechnen müsse, nicht nur von einem Jahr.