Sind Versicherte mit ihren Klagen gegen Beitragsanpassungen (BAP) in der Privaten Krankenversicherung erfolgreich, kann das einem Pyrrhussieg gleichkommen, warnte Gerhard Reichl, Senior-Analyst beim Ratinghaus Assekurata, mit Blick auf ein Urteil des OLG Köln. Die Argumentation des Analysten: ‚Kassiert‘ das Gericht die BAP aus formalen Gründen, beeinflusst das die Gewinne des betroffenen Versicherers. Mindestens 80 Prozent der erzielten Überschüsse müssen Krankenversicherer aber der Rückstellung für Beitragsrückerstattung (RfB) zuführen. Fehlt Geld bei der RfB, könnte es sogar zu Kürzungen der Beitragsrückerstattung kommen, so Reichl.

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Ganz ähnlich argumentiert die Deutsche Aktuarvereinigung (DAV) in der jüngsten Ausgabe des hauseigenen Magazins. Anlass dafür sind juristische Auseinandersetzungen um die Wirksamkeit von BAP, bei denen es vor allem um die Einhaltung formaler Voraussetzungen für die BAP ging. „Die unterschiedlichen Bewertungen dieser Vorgaben durch die Gerichte zeigen den Interpretationsspielraum und die damit verbundene Rechtsunsicherheit für die PKV“, bemängeln die Aktuare.

„Beitragsanpassungen sind in der Privaten Krankenversicherung zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts zwischen Leistungen und Beiträgen über die gesamte Vertragslaufzeit notwendig und gesetzlich verpflichtend. Rückabgewickelte Prämienerhöhungen haben mittel- bis langfristig gravierend negative Folgen sowohl für die Versichertenkollektive als auch für den einzelnen Versicherten“, so Wiltrud Pekarek, Vorsitzende des Ausschusses Krankenversicherung der Deutschen Aktuarvereinigung e.V. (DAV).

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Die Rückabwicklung von BAP aus formalen Gründen führe zu einer „signifikanten Störung des Äquivalenzprinzips“. Diese Fundament der PKV besagt, dass die vom Versicherer zu erbringenden Leistungen und die von den Versicherten zu zahlenden Beiträge über die gesamte Versicherungsdauer gleichwertig sein müssen. In der PKV wird das über die Bildung von Alterungsrückstellungen realisiert: der Beitrag eines Versicherten ist in den ersten Jahren der Versicherung höher als dessen einkalkulierte Leistungen. Die Beitragsteile, die die einkalkulierten Leistungen übersteigen, werden in der Alterungsrückstellung angesammelt. Wenn sich dann nach einigen Jahren das Verhältnis umkehrt und die Leistungen des Versicherten höher sind als die Beitragseinnahmen, werden die fehlenden Teile aus der angesparten Alterungsrückstellung ausgeglichen. Der Beitrag ist so bemessen, dass er die zum Versicherungsbeginn erwarteten Leistungen über die gesamte Laufzeit ausgleicht.

„Vermeintliche Ersparnis wird zu Bumerang“

„Ohne Beitragsanpassungen zahlen die Kund*innen zwar über einen gewissen Zeitraum weniger Prämien, gleichzeitig steigen aber die Ausgaben beispielsweise infolge der medizinischen Inflation unaufhaltsam“, so Pekarek weiter. Zudem könnten durch die juristisch erzwungene Prämienreduzierung weniger Altersrückstellungen aufgebaut werden. „Somit wird die vermeintliche Ersparnis schnell zum Bumerang und die doppelte Lücke muss durch überproportional hohe Beitragssteigerungen mit der nächsten rechtswirksamen Prämienanpassung geschlossen werden“, unterstreicht Pekarek.

Doch das sind längst nicht alle Folgen. Die juristisch erwirkten Beitragsrückzahlungen müssen auch der Finanzverwaltung gemeldet werden - dem Versicherten drohen Steuernachforderungen. Ähnlich verhält es sich mit jenen Beitragsteilen, für die eventuell ein Arbeitgeberzuschuss gewährt wird. Bis zu 50 Prozent der rückerstatteten Beträge müssen an den Arbeitgeber zurückgezahlt werden. Auch Rückforderungen von bereits gezahlten Beitragsrückerstattungen bei Leistungsfreiheit sind denkbar, so die DAV.

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Doch auch das Versicherten-Kollektiv wäre betroffen: aktuariell nicht begründbare Beitragsrückabwicklungen würden die Überschüsse der Krankenversicherungsunternehmen und damit das gesamte Kollektiv belasten. Denn die Versicherer müssen ihre Gewinne mittels der Überschussbeteiligung fast komplett an die Versicherten weiterreichen. „Aus der Überschussbeteiligung werden beispielsweise Beitragserhöhungen insbesondere bei älteren Versicherten teilweise begrenzt. Dieser gesellschaftsrelevante Aspekt kommt leider in den öffentlichen und primär juristisch geprägten Diskussionen viel zu kurz“, so Pekarek.

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