Die Coronakrise hat erneut den Blick auf die Situation der Pflegenden in Deutschland gerichtet. Volle Intensivstationen sind nicht nur eine Frage von Intensivbetten, sondern auch des fehlenden Personals: Laut „Bundesagentur für Arbeit“ waren schon 2018 vor Ausbruch der Pandemie rund 40.000 Pflegestellen unbesetzt, vielerorts müssen Überstunden und sogar Doppelschichten gefahren werden. Das Pflegepersonal arbeitet am Limit.

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Das ist die Ausgangssituation, und nun könnte der Pflegenotstand auch Thema des kommenden Bundestags-Wahlkampfs werden. Grünen-Bundeskanzlerkandidatin Annalena Baerbock fordert nun, Pflegeheime sollen nur noch dann Geld aus der gesetzlichen Pflegeversicherung erhalten, wenn sie ihren Beschäftigten mindestens Tariflohn zahlen. „Das Druckmittel ist so groß, dass sich die Pflegeheime daran halten und ihre Lohnstrukturen umstellen werden,“ sagte die 40jährige dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (RND).

Nur jeder Zweite erhält Tariflohn

Tatsächlich erhalten aktuell nur rund die Hälfte der 1,2 Millionen Altenpflegerinnen und -pfleger einen Tariflohn, wie das Bundesarbeitsministerium zu berichten weiß. Der Versuch, einen flächendeckenden Tariflohn für die Branche einzuführen, war im Februar am Widerstand der Caritas gescheitert - und fand bei privaten Arbeitgeberverbänden der Pflegebranche Beifall, die tendenziell ihre Beschäftigten schlechter entlohnen. Sie beriefen sich auf das Prinzip der Tarifautonomie.

Annalena Baerbock, Kanzlerkandidatin der Grünen.gruene.de Aber nicht nur die Bezahlung für diesen körperlich und psychisch zehrenden Beruf ist ein Problem: auch die Arbeitsbedingungen sorgen für Ärger. Drei Viertel aller Pflegebeschäftigten fühlen sich bei der Arbeit häufig gehetzt, so ergab eine repräsentative Umfrage des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) unter Pflegekräften. Und knapp die Hälfte aller befragten Pflegebeschäftigten gibt an, dass sie häufig Abstriche bei der Qualität ihrer Arbeit machen müssen, um das Arbeitspensum zu schaffen. Erschreckend: Lediglich 22 Prozent gehen davon aus, ihre Tätigkeit unter den Bedingungen bis zur Rente durchhalten zu können.

Entsprechend will Annalena Baerbock auch den Personalschlüssel weiter verbessern: auch wenn hier bereits die Pflegereformen von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erste Verbesserungen brachten. So seien eine 35-Stunden-Woche für Pflegekräfte und klare arbeitsrechtliche Regeln nötig, um die Flucht aus Pflegeberufen zu stoppen, sagte die Politikerin RND.

Bessere Pflege soll über Pflegevorsorgefonds finanziert werden

Die Frage ist jedoch, wie das alles finanziert werden soll. Schon jetzt ächzen die Pflegebedürftigen unter steigenden Eigenanteilen: Nach Berechnungen der Ersatzkassen kostet es im Schnitt 2.068 Euro pro Monat, wenn Patienten vollstationär betreut werden müssen. Und so will Baerbock den Pflegevorsorgefonds auflösen. Das Problem: Dieser Fonds ist eigentlich dazu gedacht, einen Kapitalstock anzusparen, um künftige Beitragszahler zu entlasten. Seit 2015 wird er aufgebaut, hierfür fließen 0,1 Prozentpunkte der Pflegeversicherungsbeiträge pro Jahr in den Kapitalstock. Aktuell werden so 1,6 Milliarden Euro pro Jahr angespart.

Das Geld könnte also künftig fehlen, um Prämiensprünge in der Pflegepflichtversicherung aufzufangen. Doch das Finanzierungsproblem stellt sich allen Parteien. Auch Jens Spahn hatte in den letzten Wochen einen Entwurf für eine Pflegereform vorgestellt. Dabei geht es auch darum, die Pflegebedürftigen selbst zu entlasten.

Der Hintergrund: Aktuell entfallen von den rund 2.068 Euro Eigenanteil rund 831 Euro auf die reinen Pflegekosten, wenn eine Person vollstationär betreut werden muss. Diesen Anteil will Spahn stufenweise deckeln: Im zweiten Jahr im Heim um 25 Prozent reduzieren, im dritten Jahr um 50 Prozent und ab dem vierten Jahr dauerhaft um 75 Prozent. Auch Verbesserungen beim Pflegeschlüssel und der ambulanten Pflege plant der Bundesgesundheitsminister. Immerhin 6,3 Milliarden Euro sollen die Reformen extra kosten.

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Jens Spahn will das Kostenproblem unter anderem lösen, indem er Kinderlose stärker zur Kasse bittet: Sie sollen einen Zuschlag von 0,1 Prozentpunkten zu den Pflegeversicherungs-Pflichtbeiträgen zahlen. Doch auch das wird nicht reichen. Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln warnte vor deutlichen Mehrbelastungen, die für Beitragszahler notwendig werden. So stoßen auch Spahns Pläne auf Widerstand: sogar in der eigenen Partei.