Finanzwissenschaftler sorgt sich um Zukunft der Lebensversicherer
Der Finanzwissenschaftler Hermann Weinmann sorgt sich um die Zukunft der Lebensversicherer. Diese könnten in der Altersvorsorge enorm an Einfluss verlieren, wenn nicht gar ganz rausgekickt werden: auch aufgrund eigener Versäumnisse. Weinmann fordert Reformen - und eine zielgenauere Regulierung.
Der Finanzwissenschaftler Hermann Weinmann ist kein Unbekannter: auch aufgrund seiner Bilanzanalysen der Lebensversicherer, die auch außerhalb der Versicherungsbranche breit wahrgenommen werden. Doch nun sorgt sich der Professor, der an der Hochschule Ludwigshafen am Rhein forscht und lehrt, um die Zukunft der Branche. In der Zeitschrift für Versicherungswesen hat er ein Vier-Punkte-Programm vorgestellt, wie die Lebensversicherer und die Riester-Rente gerettet werden könnten. Auf die Thesen macht die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ am Freitag aufmerksam.
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Reformkatalog - an die Versicherer adressiert
Die Thesen sind nicht von ungefähr an den Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) adressiert. Folglich an den Dachverband der Versicherer, der auch Lobbyarbeit im Sinne der Branche betreibt. Denn bei den Versicherern sieht Weinmann eine Mitschuld an der aktuellen Situation.
Und die ist folgendermaßen umschrieben: Die Versicherer drohen, aus der privaten Altersvorsorge gedrängt zu werden. Nicht nur wegen der dauerhaft niedrigen Zinsen am Kapitalmarkt: ein Szenario, das ihnen auch aufgedrängt wird. Sondern auch aufgrund hoher Kosten der Produkte und einigen Betrugsfällen, die das Vertrauen in die Versicherer als verlässlicher Partner haben schwinden lassen. Nicht nur bei der Politik: auch bei den Sparerinnen und Sparern.
Zugleich beobachtet Weinmann auch einen Wandel in der Geldanlage-Kultur. Das Interesse an Aktien wachse, auch die finanzielle Bildung der Deutschen. Hier droht den Versicherern an mehreren Fronten Konkurrenz. So fordern nicht nur die Grünen einen Bürgerfonds als Standardprodukt zur privaten Altersvorsorge - ein öffentlicher Fonds, der Teile des Gehaltes nach dem Vorbild Schwedens breit anlegt, um bei der gesetzlichen Rente einen Kapitalstock anzusparen. Selbst die liberale FDP ist der Idee eines Staatsfonds mittlerweile nicht mehr abgeneigt. Die privaten Versicherer wären bei diesen Modellen wohl eher nicht involviert. Es drohe nach der Bundestagswahl der Totalschaden für die Lebensversicherer, warnt der Experte.
Hier gelte es, einerseits die Provisionslast der Verbraucher zu mindern und andererseits den Versicherern den Einstieg in eine aktienbasierte Vorsorge zu ermöglichen. Zur Erinnerung: Lebensversicherer sind gesetzlich verpflichtet, große Teile der Kundengelder in festverzinsliche Anlagen zu stecken, wenn sie Garantien anbieten. Die Versicherer haben ihr Kapital zu über 80 Prozent in festverzinslichen Wertpapieren investiert, nur 5,1 Prozent aller Kapitalanlagen stecken hingegen in Aktien und Fonds, wie aus Daten des GDV hervorgeht (Stand September 2019).
Gleichwohl sind die Versicherer wichtige institutionelle Investoren, die große Summen verlässlich und langfristig anlegen, somit Ergebnisschwankungen glätten. Hier sieht Weinmann viel Potential: auch mit Blick auf den Klimawandel. Laut GDV verwalteten die deutschen Versicherer zum Jahresende 2019 ein Geldvermögen von mehr als eine Billion Euro (1.072 Milliarden Euro).
Fehlende Kostendisziplin
Mit Blick auf die hohen Kosten von kapitalbildenden Lebensversicherungen und Riester schlägt Weinmann eine Maßnahme vor, die höchst unpopulär in der Branche ist. Die Versicherer sollen darauf drängen, dass der Gesetzgeber die ab 1994 umgesetzte Deregulierung der Branche drängt. Die Deregulierung habe „exzessive Auswirkungen angenommen und die Vergleichbarkeit der Versicherungsprodukte für den ,mündigen Bürger‘ zerstört“, schreibt er.
Neu ist die Position des Professors nicht: Seit Jahren gehört er zu den Mahnern vor zu hohen Kosten. Die "Unvergleichbarkeit der Produktebene" sei „pervertiert“, schrieb er zum Beispiel anhand einer Studie im Mai 2020. Vor einem Jahr hatte er -ebenfalls in der „Zeitschrift für Versicherungswesen“ Kosten von Leben-Policen verglichen. Dabei machte er enorme Unterschiede aus: der teuerste Versicherer benötige von 100 Euro Prämie das Dreifache der Betriebskosten des Marktführers und sogar das Vierfache der erweiterten Betriebskosten. Für Kundinnen und Kunden seien solche Unterschiede kaum wahrnehmbar. Es mangle an Transparenz, Kostendisziplin - und Vergleichbarkeit der Produkte.
Die zweite Forderung Weinmanns ist hingegen nicht so weit weg von dem Weg, den der GDV selbst vorschlägt. Die Lebensversicherer bieten zunehmend selbst Produkte, die weniger abhängig vom Zins sind: seit etwa einem Vierteljahrhundert wachse der Bestand an fondsgebundenen Leben-Policen. Dies beweise, dass auch Lebensversicherungen für aktienbasierte Kapitalanlagen geeignet seien. Doch müssten die Versicherer ihre Policen ausreichend öffentlich von anderen Sparformen abgrenzen. Wie hoch der Anteil an fondsgebundenen Policen bei einem Anbieter sei, lasse sich kaum ermitteln, bemängelt der Analyst.
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Hier sollen die Versicherer auch für die Riester-Vorsorge kämpfen: Deren Verantwortung die Politik trage. „Die Idee hinter der Riester-Rente war richtig, die Umsetzung im Laufe der Jahre dilettantisch“, argumentiert er. Ein Vorteil: Dass Riester als Rente angelegt sei, folglich im Alter verlässliche monatliche Auszahlungen erlaube. Hier steht auch die Beitragsgarantie zur Debatte - die eben ein größeres Engagement in Aktien verhindere.