Hubertus Heil fordert erneut Rentenpflicht für Selbstständige
Eigentlich wollte die Große Koalition noch in dieser Legislaturperiode Selbstständige zur Altersvorsorge verpflichten. In einem Interview bekräftigt nun Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), dass er weiterhin an dem Projekt festhalte: auch, um die gesetzliche Rente zu stärken. Es könnte zum Wahlkampfthema werden.
Wie kann angesichts des demografischen Wandels verhindert werden, dass die gesetzliche Rentenversicherung in Schieflage gerät? Einen Baustein hierfür sieht Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) darin, Selbstständige künftig in die Rentenkasse mit einzubeziehen. "Je mehr einzahlen, desto besser für die Stabilität der Rentenkasse“, sagte er dem ARD-Morgenmagazin. "Deshalb habe ich einen Vorschlag gemacht, die Selbstständigen in das System der Alterssicherung einzubeziehen.“
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Verschobenes Projekt der GroKo
Neu sind die Vorschläge nicht: sondern geben das wieder, was die Unionsparteien und die SPD 2018 im Koalitionsvertrag ausgehandelt haben. Demnach sollen Selbstständige verpflichtend für das Alter vorsorgen. Keineswegs ist damit allein die gesetzliche Rente gemeint. Können die Unternehmer nachweisen, dass sie eine andere, insolvenzsichere Vorsorge haben, können sie per Opt-out auch privat vorsorgen. Zudem solle die Pflicht so gestaltet sein, dass speziell Existenzgründer nicht mit zu hohen Lasten zu Beginn ihrer Selbstständigkeit konfrontiert werden. Ausgebremst hat die Reform auch die Coronakrise.
Ursprünglich wollte man damit nicht auf das Loch in der Rentenkasse reagieren: sondern auf die Tatsache, dass viele Selbstständige nicht -oder nicht genug- vorsorgen. Laut dem Altersvorsorgebericht der Bundesregierung 2016 verfügt fast die Hälfte der Unternehmer im Rentenalter über ein Nettoeinkommen von weniger als 1.000 Euro, private Vorsorge eingerechnet. Bei Beschäftigten sind es nur rund ein Drittel. Allerdings ist die Spreizung der Einkommen in dieser Gruppe auch sehr groß. Selbstständige haben selbst dann Anspruch auf Grundsicherung im Alter, wenn sie zuvor keinen Cent in die Sozialversicherung eingezahlt haben.
Debatte um längere Lebensarbeitszeit
Neue Brisanz erhält das Thema aber durch ein Gutachten, das ein Beratergremium der Bundesregierung letzte Woche vorgestellt hat. Darin wird geraten, das Rentenalter auf 68 Jahre anzuheben bzw. an die steigende Lebenserwartung anzupassen. Es drohten "schockartig steigende Finanzierungsprobleme in der gesetzlichen Rentenversicherung ab 2025“, warnt der wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums. Demnach müssten sich die Steuerzuschüsse zur Rente drastisch erhöhen - zulasten von Zukunfts-Investitionen in Bildung oder digitale Infrastruktur.
Bereits davor hatten arbeitgebernahe Institute gefordert, das Rentenalter an die steigende Lebenserwartung anzupassen. Auch deshalb könnte das Thema gesetzliche Rente -sowie ihre Finanzierung- zu einem zentralen Wahlkampfthema werden. Auch Bundeswirtschaftsminster Peter Altmaier (CDU) distanzierte sich bereits von seinen Beratern. Es solle bei der 2007 beschlossenen Reform bleiben, wonach das reguläre Rentenalter bis 2031 stufenweise auf 67 Jahre angehoben werde. „Dabei sollte es bleiben, das ist seit Jahren meine Meinung“, so Altmaier.
Auch die FDP hat die Pläne zurückgewiesen. Rente mit 68 - „Das ist Quatsch“, sagte Johannes Vogel, arbeitsmarktpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag. Richtig sei allerdings auch: „Wir laufen auf ein dramatisches Finanzierungsdefizit zu.“ Deshalb müsse gehandelt werden. Die Liberalen plädieren für ein flexibles Renteneintrittsalter nach dem Vorbild Schwedens. Zudem soll ein zweites Standbein die umlagefinanzierte Rente ergänzen, indem ein zusätzlicher Kapitalstock angespart wird. Hier hat die FDP das Modell einer Aktienrente ins Wahlprogramm geschrieben. Ein Teil des Bruttoeinkommens -laut Vorschlag zwei Prozent- solle über die gesetzliche Rente an den Aktienmärkten angelegt werden.
Vorbild Österreich?
Empört hatte die Linke auf die Forderung nach einem höheren Renteneintrittsalter reagiert: Parteichefin Susanne Hennig-Wellsow sprach von einem "asozialen Oberhammer". Die Partei fordert stattdessen, sich am Beispiel Österreich zu orientieren. Dort erhalten Ruheständler weit höhere Bezüge als in Deutschland: im Schnitt 1.784,45 Euro Rentenzahlbetrag im Monat, zusätzlich Urlaubs- und Weihnachtsgeld. In Deutschland gibt es laut DRV im Schnitt 1.269 Euro Altersrente.
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In der Alpenrepublik ist der Beitragssatz aber auch höher. Arbeitgeber zahlen 12,55 Prozent in die Rentenkasse ein, Arbeitnehmer 10,25 Prozent: das summiert sich auf 22,8 Prozent Rentenbeitrag. Dem entgegen liegt der Beitragssatz zur Rentenversicherung in Deutschland bei derzeit 18,6 Prozent: Arbeitgeber und -nehmer teilen ihn sich paritätisch auf. Der Unterschied: In Österreich zahlen auch Selbstständige und Beamte in die Sozialversicherung ein. Zudem besteht eine deutlich längere Wartezeit von 15 Jahren, bis man Anspruch auf die Leistungen hat (Deutschland: fünf Jahre).