Versicherungsbote: Wie stark ist der Hebammen-Beruf von der Coronakrise betroffen? Welche Auswirkungen hat die Pandemie auf die Arbeit?

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Ursula Jahn-Zörens: Hebammen sind stark von der Pandemie betroffen, da ihre Arbeit nicht aufschiebbar ist, sie also jeden Tag unverändert arbeiten. Kinder werden immer geboren und Hebammen begleiten die Schwangeren, Gebärenden und Wöchnerinnen, deren Neugeborene und Familien bestmöglich: selbstverständlich unter Beachtung der hygienischen Vorgaben.

Aktuell bieten wenige freie Hebammen Geburtshilfe an: Ich las, bundesweit sind es nur rund 2.600. Rein theoretisch hat jede Frau in Deutschland einen Rechtsanspruch darauf zu entscheiden, ob sie ihr Kind in der Klinik oder per Hausgeburt zur Welt bringen will. Kann der Bedarf aktuell gedeckt werden – bzw. wo gibt es Engpässe?

Bundesweit gibt es einen Mangel an Hebammenleistungen in jedem Bereich der Geburtshilfe. Und ja, nicht jede Schwangere, die eine Hausgeburt wünscht, wird auch eine Hebamme finden. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Hebammen, die Hausgeburten oder Geburtshausgeburten begleiten, haben lange Bereitschaftszeiten, hohe Anforderungen an Qualitätsmanagement und Fortbildungen, müssen die Haftpflichtprämie vorfinanzieren und erhalten dem gegenüber eine geringe Vergütung.

Viele freie Hebammen konzentrieren sich auf Wochenbett-Betreuung und Schwangerschafts-Vorsorge. Ein Grund sind steigende Haftpflichtkosten im Verhältnis zur vergleichsweise bescheidenen Vergütung, die teils existenzbedrohend für den Berufsstand waren. Seit 2015 gibt es den staatlichen Sicherstellungszuschlag, der Hebammen beim Haftpflichtschutz entlasten soll. Hat sich dadurch die Situation entspannt?

Ja, dank des Sicherstellungszuschlag konnten wieder mehr Hebammen außerklinische Geburtshilfe anbieten. Hebammen ohne Geburtshilfe sind von der Prämienentwicklung der Haftpflicht weniger tangiert.

Der Sicherstellungszuschlag muss von den Hebammen individuell beantragt werden: Anrecht hat jede Hebamme, die pro Quartal mindestens eine bzw. vier geburtshilfliche Leistungen im Versicherungsjahr erbracht hat. Das klingt nach bürokratischem Mehraufwand, während meines Wissens Hebammen ohnehin sehr strenge Dokumentations- und Aufklärungspflichten haben. Ist Bürokratie auch ein Grund, weshalb die Geburtshilfe an Attraktivität verliert?

Der hohe bürokratische Aufwand für Hebammen ist tatsächlich ein große Belastung, zumal dafür keinerlei finanzieller Ausgleich geschaffen ist. Und Kolleginnen, die der Berufsausübung den Rücken kehren, tun dies nicht selten genau aus diesem Grund. Hebammen möchten für die Frauen und Familien arbeiten und nicht den gleichen Zeitaufwand am Schreibtisch zubringen.

Die Prämien für den sogenannten qualifizierten Versicherungsschutz, der auch Geburten abdeckt, mussten auch im neuen Rahmenvertrag erneut deutlich angehoben werden. Was sind die Ursachen, dass die Haftpflichtkosten in den letzten Jahren deutlich gestiegen sind?

Dies liegt in erster Linie am medizinischen Fortschritt, der die Lebenserwartung der Kinder mit Besonderheiten in Folge der Geburt denen des bundesdeutschen Durchschnitts quasi gleichstellt. Es ist sehr wichtig, diesen Menschen die bestmögliche Unterstützung zukommen zu lassen.

Gibt es aus Ihrer Sicht weitere Gründe neben den Haftpflicht-Kosten, weshalb das Gros der freien Hebammen die Geburtshilfe nicht mehr anbietet?

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Ich glaube, dass dank des Sicherstellungszuschlags die Haftpflichtprämie nicht mehr der Hauptgrund ist, wenn Hebammen keine außerklinische Geburtshilfe anbieten. Hierbei spielen Dinge wie 24-Stunden-Bereitschaften, großer Aufwand an Qualitätsmanagement und Fortbildungspflicht auch eine Rolle. Was nicht heißt, dass ich QM oder Fortbildungen nicht für wichtig erachte. Beides hat seine Berechtigung.

Hebammen: Belastet wie Pflegekräfte

Hebammen werden dem Klischee nach oft mit Hausgeburten verbunden – aber viele arbeiten hauptberuflich angestellt in Krankenhäusern und Geburtskliniken, sind auch dort eine wichtige Begleitung für werdende Mütter. Können Sie kurz erklären, welche Aufgaben Hebammen in Krankenhäusern und Kreißsälen haben? Gibt es hier Unterschiede zur Hausbetreuung?

In Deutschland ist bei jeder Geburt eine Hebamme dabei. Hebammen begleiten immer die Geburt, da ist es völlig egal, ob diese in einer Klinik oder zu Hause stattfindet. Die Tätigkeiten unterscheiden sich nicht, nur die Umgebung. Die Stärkung der Gebärenden, Überprüfung der regelrechten Verläufe, Sorgfalt bei der Überwachung des Kindes, etc...

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Die fehlenden Hebammen lassen vermuten, dass die Belastung im Beruf – ähnlich wie in der Pflege – hoch ist. Wie gestalten sich aktuell die Arbeitsbedingungen?

Ja, hier gibt es großen Verbesserungsbedarf! Im Zuge der Einführung der diagnoseabhängigen Bezahlung (DRG) im Jahre 2004 ist die Krankenhausfinanzierung auf andere Füße gestellt worden. Sie wurde gewinnorientiert. Personalkosten, die den größten Posten in einer Haushaltsplanung darstellen, mussten reduziert werden – es kam zum Stellenabbau. Die Lage wurde dann prekär, als ab 2012 die Geburtenzahlen stiegen, Hebammen ab nicht gleichzeitig eingestellt wurden. Und mittlerweile ist es so, dass Hebammen unter den Bedingungen, wie sie heute in vielen Kreißsälen herrschen, nicht mehr arbeiten können und wollen: fachfremde Tätigkeiten, mehrere Gebärende parallel betreuen, Überstunden. Es muss auch in Deutschland selbstverständlich sein, dass eine Gebärende in der aktiven Phase ihrer Geburt eine Hebamme an ihrer Seite weiß – als eine Eins-zu-Eins-Betreuung, wie es in anderen europäischen Länder selbstverständlich ist.

Digitalisierung ist ein Schlagwort, das aktuell nahezu alle Berufsfelder ergreift: auch die Gesundheits- und Heilberufs-Branche. Ich kann mir vorstellen, dass werdenden Müttern und Vätern der persönliche Kontakt zu ihrer Hebamme wichtig ist. Wie stark verändern die neuen digitalen Möglichkeiten den Beruf - und wo sind hier Grenzen, weil der persönliche Kontakt doch unersetzbar ist?

Im Zuge der Corona-Pandemie konnten wir in einer Sonderregelung mit den Krankenkassen vereinbaren, dass Hebammen auch digitale Leistungen abrechnen können. Dadurch erleben wir, wie Schwangere und Wöchnerinnen hierauf reagieren. Die aufsuchende Betreuung ist nach wie vor das Meistgeschätzte. Allerdings können digitale Angebote ergänzend gut eingesetzt werden. Manchmal erlaubt das digitale Angebot sogar eine Verbesserung, wenn z.B. eine Schwangere, in deren Region alle Präsenzkurse ausgebucht sind, doch noch einen virtuellen Kurs in Echt- zeit eins zu eins bei einer Hebamme wahrnehmen kann. Wir sehen die digitale Leistungserbringung als Ergänzung zum persönlichen Kontakt in der Hebammenarbeit.

Die Hebammenausbildung wurde vor einem Jahr reformiert und ist künftig ein akademischer Ausbildungs-Beruf: auch, um die Wertschätzung zu steigern. Auch Sie als Verband haben auf eine Reform gedrängt. Warum war das notwendig?

Hebammen arbeiten eigenverantwortlich im Rahmen der Geburtshilfe im weitesten Sinne, sie lesen Studien und übernehmen deren Ergebnisse gegebenenfalls in ihren Arbeitsalltag, sie müssen sich aktuell halten. Da ist der Weg hin zu wissenschaftlichem Arbeiten vorausbestimmt. Daher ist die Akademisierung längt überfällig, zumal die gesetzliche Grundlage auf EU-Ebene bereits 2013 geschaffen wurde. Deutschland war innerhalb der EU das letzte Land, das diese Richtlinie umgesetzt hat.

Wie ist es um den Nachwuchs in Ihrer Branche bestellt? Gibt es hier ähnliche Sorgen wie z.B. in der Pflegebranche?

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Wir freuen uns sehr, dass wir immer rege Nachfrage an Ausbildungsplätzen haben.

Hinweis: Der Text erschien zuerst im Versicherungsbote Fachmagazin 01/2021.

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