Corona verunsichert viele Menschen. Dies betrifft auch immer wieder die Frage: Soll man im Falle eines anderen gesundheitlichen Leidens zum Arzt gehen, sobald die Zahl der Erkrankten zunimmt? Immerhin sind Praxen und insbesondere Krankenhäuser dann oft ausgelastet. Zudem haben viele Menschen Angst, sich ausgerechnet in einer Praxis oder einem Krankenhaus mit dem Coronavirus anzustecken. Ein Grund, der seit 2020 viele Menschen lieber zum Telefonhörer greifen ließ, statt dass sie einen Arzt aufsuchten.

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Telefonische Anamnese: Gut für die Praxen, schlecht für den Versicherungsschutz

Das war auch ganz im Sinne des Gesetzgebers: Seit März 2020 durften Ärzte nach telefonischer Anamnese eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für bis zu sieben Tage ausstellen. Jedoch: Allzu sorglos sollte man von der Möglichkeit der Fernanamnese nicht Gebrauch machen. Das trifft insbesondere dann zu, wenn Erkrankungen zu Versicherungsleistungen führen, die an bestimmte Obliegenheiten geknüpft sind. Das veranschaulicht ein aktuelles Urteil des Amtsgerichts (AG) München vom 29.10.2020 (Az. 174 C 6951/20).

Hausarzt riet telefonisch von Arztbesuch in Südtirol ab

Was wurde vor Gericht verhandelt? Ein Ehepaar hatte für 2020 eine Pauschalreise gebucht, man wollte Südtirol durch eine Langlauf-Tour erkunden. Vom 01.03. bis 08.03. wollte das Paar in verschiedenen Hotels übernachten, die auf der Route lagen. Vom 08.03. bis zum 15.03. hatte man dann hingegen einen konstanten Aufenthalt in einem Hotel eingeplant. Allerdings stürzte der Mann schon am 05.03. auf einer Loipe und zog sich eine schmerzhafte Rückenverletzung zu.

Am 06.03. telefonierte der Verletzte aus Südtirol mit seinem Hausarzt. Zu dieser Zeit war schon eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes für die Region ausgesprochen worden. Aus diesem Grund riet der Arzt davon ab, eine Klinik oder eine Arztpraxis vor Ort in Südtirol aufzusuchen – sicher ist bekanntlich sicher.

Paar entschied sich zur schnellen Heimreise

Durch die unsichere Situation bestärkt, stornierte das Paar jenes Hotel, das man ab 08.03. bezogen hätte. Stattdessen flog man zurück nach Deutschland und begab sich sofort in Quarantäne – der Ehemann suchte erneut keinen Arzt und keine Klinik auf, hielt aber weiterhin mit seinem Hausarzt telefonisch Kontakt.

Jedoch meinte das Ehepaar, es könne nun die bezahlten, aber nicht genutzten Teilleistungen der Pauschalreise in Höhe von 835,00 Euro sowie die geleistete Anzahlung für das stornierte Hotelzimmer in Höhe von 850,00 Euro von der Reiserücktrittsversicherung zurückfordern. Die Versicherung freilich verneinte eine Einstandspflicht. Hätte es der Versicherungsnehmer doch versäumt, in Südtirol einen Arzt aufzusuchen und die schwere Krankheit feststellen zu lassen. Dies aber gehört zu den Obliegenheiten gemäß den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB).

Der Versicherungsnehmer klagte nun vor dem Amtsgericht in München. Müsse laut AVB doch die Reiserücktrittsversicherung bei Abbruch einer Reise auch anteilige Kosten für nicht in Anspruch genommene Leistungen ersetzen. Bedingung ist allerdings eine unerwartete und schwere Erkrankung. Durch die schwere Erkrankung darf außerdem die weitere Durchführung der Reise nicht mehr zumutbar sein.

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Die Unzumutbarkeit der Reise muss aber durch ein ärztliches Attest bewiesen werden. Auch besteht die Obliegenheit des Versicherungsnehmers, hierfür einen (Fach-)Arzt vor Ort aufzusuchen. Weil der Hausarzt dem Versicherungsnehmer aufgrund von Corona aber davon abriet, meinte der Kläger, es reiche ein Schreiben des Hausarztes.

Auch in Corona-Zeiten: Ein Arzt muss vor Ort aufgesucht werden

Der Hausarzt bescheinigte seinem Patienten – wenig präzise – eine „starke Prellung und/ oder Fraktur“. Diese Einschätzung aber war das Ergebnis von Telefongesprächen. Zu Gesicht bekam der Arzt seinen Patienten nicht. Eine solche Ferndiagnose, die einzig auf einer telefonischen Erörterung der Sachlage beruht, reicht aber auch in Corona-Zeiten als Beweis einer schweren Krankheit nicht aus. Stattdessen hätte der Versicherungsnehmer tatsächlich vor Ort eine Praxis oder ein Krankenhaus aufsuchen müssen. Der Versicherungsnehmer hat demnach seine Obliegenheitspflicht verletzt.

Geht doch das Gericht davon aus, dass in Südtirol vergleichbare Standards hinsichtlich Schutz und Hygiene bestehen wie in Deutschland. Zumal der Versicherte auch die Heimreise von Südtirol nach Bonn ohne Probleme antreten konnte – dies spricht gegen eine schwere Erkrankung. Auch deswegen ist nicht verständlich, warum der Kläger mit seiner Frau die Reise nicht fortsetzte und sich im gebuchten Hotel einquartierte.

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Das Ehepaar fürchtete geschlossene Grenzen

Das Amtsgericht nahm deswegen auch ein anderes Motiv für die Rückreise an: Das Ehepaar befürchtete, die Grenzen würden wegen Corona dichtgemacht. Danach wäre eine Rückreise nicht mehr möglich gewesen. So verständlich dieses Motiv ist – der Umstand ist durch die bestehende Reiseversicherung nicht gedeckt.

Reisewarnungen befreien nicht von Beitragspflicht

Dass die Klage zur Feststellungsklage wurde, ist aber einem anderen Umstand zuzuschieben: Die Anwälte des Klägers reichten zudem einen Feststellungsantrag ein, der die Pflicht zur Zahlung der Versicherungsbeiträge betraf. Müssten doch die Versicherungsnehmer aufgrund der Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes sowie aufgrund der innerdeutschen Reiseverbote vom Versicherungsbeitrag befreit werden oder dieser müsste angemessen reduziert werden. Somit wollte die Klägerpartei auch die Versicherungsbeiträge von Beginn der weltweiten Reisewarnung ab 17.03.2020 bis zum Ende der weltweiten Reisewarnung geltend machen.

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Jedoch: Das Gericht sah es anders und bewertete diesen Feststellungsantrag als unzulässig. Denn der Versicherungsschutz gelte weltweit und für jede Art von Reise. Selbst eine weltweit ausgesprochene Reisewarnung stelle kein Reiseverbot dar, weshalb der Vertrag auch bei Reisen in Gebiete, für die eine Reisewarnung ausgesprochen ist, Schutzwirkung entfalten würde. Und soweit vereinzelt Reiseverbote innerhalb Deutschlands für bestimmte Zeiträume ausgesprochen wurden, führe dies nicht zum Wegfall der Geschäftsgrundlage. Würden doch Reisen grundsätzlich möglich bleiben. Das Urteil ist auf den Seiten der Bayerischen Justiz verfügbar.

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