Die Hochwasserkatastrophe in West- und Mitteleuropa war eine der schwersten in der jüngeren Geschichte: allein in Deutschland sind 184 Todesopfer zu beklagen, viele Menschen in den betroffenen Gebieten stehen vor dem Nichts, verloren ihren Besitz und das Obdach. Die Versicherungswirtschaft schätzt allein den versicherten Schaden in Deutschland auf bis zu 5,5 Milliarden Euro. Aber nicht einmal die Hälfte aller Gebäude in den überfluteten Regionen war gegen Elementarschäden versichert: auch das ist ein Grund, weshalb nun viele Menschen um ihre Existenzgrundlage bangen.

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Ob die Häuser wieder aufgebaut werden können und an welcher Stelle: für viele Betroffene ungewiss, wie Berichte von Regionalmedien zeigen. Das hat auch die Debatte um eine Pflichtversicherung gegen Elementarschäden wieder angefacht. Die Idee: Jeder Hausbesitzer muss sich verpflichtend gegen das Elementarrisiko absichern. So können auch die Kosten in Hochrisiko-Gebieten auf mehr Schultern verteilt werden, die Prämien bleiben niedrig. Vorbilder hierfür finden sich im Ausland: Viele Kantone in der Schweiz haben eine Elementarpflicht, auch Frankreich und Belgien.

Munich-Re-Chef: Pflichtversicherung zu bewältigen, aber…

Die deutsche Versicherungwirtschaft hat sich bisher gegen eine Elementarpflicht für Hausbesitzer gewehrt: aber nun deutet Joachim Wenning in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ (Montag) eine Wende an. Wenning ist Chef des größten europäischen Rückversicherers Munich Re: und somit in der Versicherung von Naturrisiken weltweit erfahren. Auf die Frage, ob die Branche eine Pflichtversicherung denn darstellen könne, antwortet der 56jährige: „Wenn der Staat sagen würde, wie in der Kfz-Versicherung gibt es auch eine Elementarschaden-Pflichtversicherung, dann wäre das für uns als private Versicherungswirtschaft machbar“. Er selbst zögere aber bei dem Gedanken, dass die Munich Re oder die Versicherungswirtschaft so etwas fordere oder hierfür eintrete. Mit anderen Worten: Der Staat muss den Anschub geben.

Wenning erläutert auch, weshalb er eine solche Pflichtversicherung für nicht erstrebenswert hält. Zum einen sieht er die Aufgaben von Staat und Versicherungswirtschaft getrennt. Der Staat müsse in Höchstrisikogebieten die Prävention gewährleisten: „Zum Beispiel, indem er dafür sorgt, dass Neubauvorhaben dort nicht möglich sind und die bestehenden Bauten besser geschützt werden, etwa durch Baumaßnahmen zum Schutz vor Hochwasser und die Schaffung von Überflutungsgebieten“, führt er aus. Das könne auch den Rückbau von Gebäuden erfordern.

Die private Versicherungswirtschaft sieht Wenning hingegen in ihrem Kerngeschäft überlegen: eben das Versichern und die Tarifierung. „Die Preise für die Policen, der Anreiz für die eigene Risikovorsorge und für das bessere Bauen oder sogar das Bauen an einem anderen Ort, das bekommt die Versicherungswirtschaft im Wettbewerb besser hin, als der Staat es könnte“. Er hob noch einmal hervor, dass 99,5 Prozent der Gebäudebestände in Deutschland problemlos gegen Elementargefahren versicherbar seien. Nur bei Gebäuden in Hochrisikogebieten, für die sich eine Versicherung wegen der sehr hohen Prämien nicht lohne, könne es sinnvoll sein, dass der Staat einen Teil des Risikos abdecke.

Zugleich warnt der Vorstand vor Enttäuschungen: Selbst im Fall einer Pflichtversicherung könne die Branche nicht alle Schäden tragen. Solche Erwartungen seien unrealistisch - stark vereinfacht ist eben das versichert, was im Vertrag steht. Auch bei einer staatlichen Pflicht sei entscheidend, „dass die Prämien das jeweilige Risiko widerspiegeln, das heißt: individuelle statt identischer Prämien“.

Axa-Chef Vollert: „Versicherungen allein lösen keine Probleme“

Eher ablehnend äußert sich aktuell Alexander Vollert zu einer Elementar-Pflicht, Chef der Axa Deutschland. Im Interview mit dem Nachrichtensenter n-tv berichtet er zunächst, dass die Axa stark von der aktuellen Flutkatastrophe betroffen ist. „Rund 500.000 unserer Kundinnen und Kunden leben in der von Hochwasser betroffenen Region. Ein Ereignis mit diesem Ausmaß ist auch für uns einmalig“, sagt der Manager. Der Versicherer habe einen Umfang an Großschäden, „den ich so in meiner Laufbahn noch nicht gesehen habe“. Auch 2.000 der eigenen Mitarbeiter seien unmittelbar vom Hochwasser betroffen.

Dennoch lehnt Vollert eine Elementar-Versicherungspflicht ab. „Es bringt nichts, eine Versicherung zur Pflicht zu machen, wenn wir nicht gleichzeitig an den Ursachen für solche Katastrophen arbeiten, um das Risiko auch versicherbar zu halten. Ich glaube nicht, dass eine Pflichtversicherung zum heutigen Zeitpunkt Sinn ergibt“, sagt er. Sie schaffe eine Sicherheit, die letztendlich nicht gegeben sei — zum Beispiel, weil es begünstige Bauland in Überschwemmungsgebieten auszuweisen. „Wir müssen gemeinsam an der Risikominimierung, der Risikowahrnehmung und der Risikoeinschätzung arbeiten und uns überlegen, wie wir solche Ereignisse verhindern oder zumindest beherrschbarer machen können“. Das sei keine Aufgabe allein für die Versicherungswirtschaft.

Zwar sei grundsätzlich jedes Risiko privat versicherbar, führt Vollert weiter aus: Die Frage sei nur, zu welchem Preis. Hier brauche es eine faire Aufteilung der Kosten und Risiken zwischen Staat und Versicherungen. Sowohl Vollert als auch Wenning heben in den Interviews hervor, dass derartige Großschäden durch Unwetter aufgrund des Klimawandels häufiger auftreten werden: auch in Mitteleuropa.

Politik debattiert über Versicherungspflicht

Mehrere Politiker haben sich nach der Flutkatastrophe bereits zu einer Elementar-Versicherungspflicht geäußert: und der Zuspruch wächst. Die Linke tritt schon seit den Flut-Ereignissen 2002 und 2013 für eine solche ein. Aber selbst FDP-Chef Christian Lindner steht einer solchen Idee nicht mehr ablehnend gegenüber. „Ja, ich bin offen für eine solche Diskussion, ob man eine Pflichtversicherung gegen Elementarschäden für Hausbesitzer einführt. Es ist nicht ganz einfach zu entscheiden, ob man so etwas macht oder nicht“, sagte er dem ARD Morgenmagazin.

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Auch SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz hat sich vor wenigen Tagen zu solch einer Versicherungspflicht geäußert. Grundsätzlich sei er offen für eine solche Pflicht. „Die Frage ist, ob man diese Verpflichtung allen Bürgern auferlegen möchte", so Scholz gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Die Kosten für Wohnen würden dadurch steigen, gab der SPD-Kanzler-Kandidat zu bedenken. Zunächst aber müssten sich die Bundesländer untereinander einigen. Er schlage einen Vorsorgefonds vor, den Bund und alle Länder gemeinsam organisieren: auch angesichts zunehmender Schadenereignisse aufgrund des Klimawandels.