Pflegevorsorge – Spielball der Politik?
Völlig offen ist der Ausgang der Regierungsbildung nach der Bundestagswahl. Je nachdem, wer mit wem koaliert, könnte es zu einer deutlich veränderten neuen Ausgangslage kommen. Micha Hildebrandt, Vorstand bei der vigo Krankenversicherung VVaG befasst sich in der Reihe „Das Wort zur Pflege“ mit aktuellen Entwicklungen rund um das Pflegekostenrisiko.
- Pflegevorsorge – Spielball der Politik?
- Potenzial der betrieblichen Pflegeversicherung
Die Pflegesituation in Deutschland erinnert an einen Vulkan. Der Ausbruch deutet sich durch die emotional geführten Diskussionen, steigende Leistungsfälle und extreme Kosten- und Beitragssteigerungen an. Die Politik versucht seit geraumer Zeit, den entstandenen Rauch durch „Reförmchen“ und Steuerzuschüsse wegzupusten. Das erscheint wenig durchdacht und nicht nachhaltig. Es brodelt also weiter.
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Micha Hildebrandt
Micha Hildebrandt
Micha Hildebrandt ist Vorstand bei der vigo Krankenversicherung VVaG. Das Unternehmen aus Düsseldorf gilt als Erfinder des flexiblen Pflegetagegeldes. Hildebrandt absolvierte seinen Zivildienst in der ambulanten Pflege und schenkt diesem Thema seither besondere Aufmerksamkeit.
Die bisherige Entwicklung im Jahr 2021
In der ersten Jahreshälfte machte der „Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Pflegeversicherung (Pflegereformgesetz)“ die Runde. Eine gewichtige Rolle sollte nach den Ausführungen dieses Papiers die betriebliche Pflegeversicherung spielen. Zusätzlich war eine Renaissance der individuellen, privaten Pflegevorsorge durch eine weitergehende staatliche Förderung angedacht. Viele Konjunktive und – man ahnt es: CDU/CSU und SPD haben kurz vor der Sommerpause einen fragwürdigen und weniger umfassenden Kompromiss beschlossen. Dieser sieht einen dauerhaften Steuerzuschuss in Höhe von 1 Milliarde Euro jährlich für die Soziale Pflegeversicherung und punktuelle Leistungserhöhungen vor.
Die wichtigsten Änderungen mit Leistungsbezug im Überblick:
Ambulante Pflege (greift ab 01.01.2022): Erhöhung der Sachleistungsbeträge um 5 Prozent. Das erscheint homöopathisch und greift nur, wenn ein ambulanter Pflegedienst ins Haus kommt.
Stationäre Pflege (greift ab 01.01.2022): Neu ist ein Zuschlag zur Reduzierung der pflegebedingten Eigenanteile. Er steigt mit der Dauer der Pflege – vergleichbar mit einer Staffel in Zahnersatztarifen. Im ersten Jahr trägt die Pflegekasse 5 Prozent des pflegebedingten Eigenanteils, im zweiten Jahr 25 Prozent, im dritten Jahr 45 Prozent und danach 70 Prozent.
Exkurs zur Einordnung: Der Eigenanteil, den Heimbewohner zahlen müssen, setzt sich aus insgesamt drei verschiedenen Bereichen zusammen:
- Hotelkosten (Unterkunft und Verpflegung),
- Investitionszulage und
- dem Anteil an den Pflegekosten (pflegebedingter Eigenanteil).
Die Kosten steigen in allen drei Bereichen deutlich und der Zuschlag aus diesem „Reförmchen“ bezieht sich lediglich auf den dritten Teilbereich. Die Leistungen in den Bereichen Kurzzeitpflege und Übergangspflege erfahren leichte Verbesserungen.
Fazit: Von einem großen Wurf kann nicht die Rede sein. Die Pflegegelder bleiben – entgegen einer früheren Planung – unverändert. Dies betrifft den weit verbreiteten Bereich der Laienpflege (z.B. durch Angehörige oder osteuropäische Hilfskräfte). Inflationsbedingt steigen die Eigenanteile also.
Die ursprünglich vorgesehene Stärkung von privater und betrieblicher Pflegevorsorge wurde komplett gestrichen.
Potenzial der betrieblichen Pflegeversicherung
Schlagzeilen machte in den letzten zwei Jahren das „bundesweit erste Konsortium in der Krankenversicherung im tarifvertraglichen Rahmen“. Eingeführt wurde eine betriebliche Pflegezusatzversicherung. Der Tarifvertrag gilt für die chemische Industrie (IG BCE) und ermöglicht für alle Mitarbeitenden seit dem 1. Juli 2021 eine entsprechende Absicherung. Ursprünglich sollte das Konsortium aus drei Risikoträgern bestehen, übrig geblieben sind dann zwei.
Die Dimension von über 430.000 Tarifbeschäftigten und der Umstand, dass trotz der großen Herausforderungen das Projekt zu einem erfolgreichen Ergebnis kam, beweist, dass die flächendeckende betriebliche Pflegeversicherung möglich ist. Vergleichbare Nachahmerprojekte lassen jedoch auf sich warten.
Der eingangs erwähnte Arbeitsentwurf sah – bei Erfüllung gewisser Anforderungen an die tarifliche Lösung – eine Förderung der betrieblichen Pflegevorsorge vor. Konkret die Möglichkeit der Entgeltumwandlung analog der bAV. Dies hätte der betrieblichen Pflege sicherlich einen Anschub gegeben. Dabei wäre es für den Vertrieb auch verkraftbar gewesen, dass eine Provisionsdeckelung analog des Pflege-Bahr (2 MB) vorgesehen war.
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Weiterer Ausblick Richtung Politik
Bei Betrachtung der Parteiprogramme und möglichen bzw. realistischen Koalitionen ergibt sich folgende Gemengelage:
Ob ein Konzept einer nachhaltigen Finanzierung über stärkere Förderung der ergänzenden Lösungen der PKV nach der Wahl ins Blickfeld der Politik kommt, erscheint gegenwärtig äußerst unwahrscheinlich. Festzuhalten ist: Pflege ist individuell und nicht „gleichschaltbar“.
„Auftrag“ als Hoffnungsschimmer
Im Arbeitsentwurf zum Pflegereformgesetz war übrigens Folgendes zu lesen:
„Die Information über die Möglichkeit des Abschlusses privater Pflegezusatzversicherung soll frühzeitig erfolgen; dazu bietet sich der Eintritt in die erste eigene Kranken- und Pflegeversicherung an. Da eine einmalige Information am Beginn des Berufslebens oftmals nicht direkt zum Abschluss führen wird, hat die Information zudem regelmäßig zu erfolgen, damit die Versicherten in unterschiedlichen Lebensabschnitten zu geeigneten Zeitpunkten zum Abschluss einer privaten Pflegezusatzversicherung motiviert werden.“
Als „Grundlage zur Sicherstellung einer ausreichenden Versorgung im Alter und zur Stärkung der Eigenvorsorge“ werden dabei die „Möglichkeiten zur Kooperation von Kranken- und Pflegekassen“ genannt. § 7 SGB XI (Aufklärung, Auskunft) sollte laut Entwurf insofern um diesen Satz ergänzt werden:
„Die Pflegekassen haben die Versicherten frühzeitig und regelmäßig über die Möglichkeit des Abschlusses privater Pflegezusatzversicherungen zu informieren; dies schließt die Information über das Angebot einer Vermittlung ein […]“.
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Auch wenn dies (noch) nicht Gesetz geworden ist; was hindert die Beteiligten denn daran, diesen „Auftrag“ proaktiv aufzugreifen? Wir befinden uns mit der AOK Rheinland/Hamburg in einer gut funktionierenden Kooperation und auch andere PKV-Unternehmen unterhalten ähnliche Partnerschaften.
Der Vertriebsweg ist ob der Bedeutung der Thematik letztlich egal – ob über den Betrieb oder maßgeschneidert über einen Vermittler: Private Vorsorge sollte dringend forciert werden – auch ohne Rückenwind aus der Politik!
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- Potenzial der betrieblichen Pflegeversicherung