Aktuarvereinigung: Renten-Debatte von Ideologie befreien
Fragt man bei der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV), ob Umlagefinanzierung oder Kapitaldeckung der richtige Weg sei zu einem stabilen Rentensystem, erweisen sich die Aktuare als salomonischer Antwortgeber. Umlagefinanzierung und Kapitaldeckung sollen in Balance gehalten und die Stärken aller drei Säulen der Altersvorsorge genutzt werden.
- Aktuarvereinigung: Renten-Debatte von Ideologie befreien
- Aktuare fordern entideologisierte Debatte
Als Fazit wäre das aber zu kurz und würde über die durchaus ernsten Anliegen der Versicherungsmathematiker hinwegtäuschen. Denn die Aktuare plädieren dafür, die Finanzierung der Rentenversicherung zu stabilisieren und nach den „anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik“ zu kalkulieren. Die DAV sieht gar die ganze umlagefinanzierte 1. Säule der Altersvorsorge in „Bedrängnis“. Wichtigster Grund dafür: Der demografische Wandel.
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Das Ausdünnen der Bevölkerungspyramide führt dazu, dass immer weniger Erwerbstätige immer mehr Rentenempfänger finanzieren. Was das bedeutet, lässt sich anhand folgender Zahlen verdeutlichen: Finanzierten 1950 noch sechs aktive Versicherte einen Rentenempfänger, waren es 2010 nur noch drei. 2050 werden es laut der 14. Koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes nur noch zwei Beitragszahler sein, die einen Rentenempfänger finanzieren.
Explodierende Kosten - nur Panikmache?
Auch ein Gutachten des wissenschaftlichen Beirats des Bundeswirtschaftsministeriums stützt sich auf diese Zahlen. Um zu verdeutlichen, auf welchem Abweg sich die deutsche Rentenpolitik befindet, wurde in dem Gutachten das „Weiter-so“ in die Zukunft hochgerechnet. Da die „Stellschrauben“ Rentenniveau und Beitragshöhe durch die Haltelinien blockiert sind, bleibt dem Gutachten zufolge nur eine deutliche Steigerung der Bundeszuschüsse. Sollen die Haltelinien Bestand haben, müsste der Bund bis 2040 44 Prozent seines Etats zuschiessen und bis 2060 sogar über 55 Prozent. „Das würde den Bundeshaushalt sprengen und wäre auch mit massiven Steuererhöhungen nicht finanzierbar“, so Prof. Klaus M. Schmidt (LMU München), Vorsitzender des Beirats anlässlich der Vorlage des Gutachtens. Schmidt sah angesichts dieser drohenden Entwicklung gar die Tragfähigkeit des Sozialsystems gefährdet.
Dafür musste sich der wissenschaftliche Beirat heftige Kritik anhören. „Anders als es manche Stimmen vermitteln wollen, wird sich das Verhältnis von Bundeszuschüssen zu Rentenausgaben in den kommenden Jahren kaum verändern und sogar noch hinter dem Stand von 2010 zurückbleiben“, so Anja Piel, Vorsitzende des Bundesvorstandes der Deutschen Rentenversicherung Bund. Ihr Eindruck sei, so Piel weiter: Ein Generationenkonflikt solle herbeigeredet werden, den es aber gar nicht geben würde.
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Auch in dieser Debatte bezieht die DAV eher eine ausgleichende Stellung: „Übertriebener Alarmismus hilft niemandem, aber die notwendigen Veränderungen unseres Alterssicherungssystems dürfen auch nicht von einer Regierungskommission in die nächste delegiert werden“, so der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Deutschen Aktuarvereinigung e.V. (DAV), Dr. Maximilian Happacher, auf einer Online-Veranstaltung der Versicherungsmathematiker.
Aktuare fordern entideologisierte Debatte
In der Sache gibt es aber deutliche Übereinstimmungen zwischen dem Gutachten des wissenschaftlichen Beirats und den Argumenten der DAV. Die wichtigste dieser Gemeinsamkeiten ist die Forderung nach einer entideologisierten Debatte.
Wer die gesetzliche Rente in Niedrigzinszeiten weiterentwickeln will, so die Aktuare, müsse über die Nachjustierung aller Stellschrauben sprechen. Dabei sollte vermieden werden, dass Sozialabgaben über 40 Prozent und die Steuerzuschüsse extrem steigen. „Um die gesetzliche Rente zukunftsfest zu machen, werden alle Beteiligten Zugeständnisse machen müssen“, prognostiziert Dr. Happacher. Dazu gehöre auch eine sachliche Diskussion darüber, welche Auswirkungen die weiter steigende Lebenserwartung auf das Renteneintrittsalter habe. Und damit wäre man beim Fazit der Ökonomen des wissenschaftlichen Beirats und deren Gutachten. Auch das bringt eine Erhöhung der Lebensarbeitszeit ins Spiel - ist sich aber durchaus bewusst, dass solche Modelle nicht für alle Berufsgruppen funktionieren.
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Wichtig sei, so heisst es in dem Gutachten, dass die zusätzlichen Lebensjahre nach einer klaren Regel zwischen ‚mehr arbeiten‘ und ‚länger Rente beziehen‘ aufgeteilt werden. Das Rentenalter soll dynamisch an die Lebenserwartung angepasst werden, so ein Vorschlag aus dem Gutachten. Das Verhältnis der in Arbeit und in Rente verbrachten Lebenszeit soll dabei konstant bleiben. Dass auch diese Methode Nachteile mit sich bringt, deutet der Beitrat immerhin an, wenn er schreibt: „Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen müssen davon ausgenommen werden.“ Wer hingegen länger arbeiten möchte, als es beispielsweise Tarifbestimmungen zulassen, soll nach Dafürhalten des Beirats von einem Weiterbeschäftigungsrecht Gebrauch machen können, sofern keine betrieblichen Belange dagegensprechen.
Riester-Reform: Untätigkeit reißt Lücken
Doch nicht nur die erste Säule der Altersvorsorge ist in „Bedrängnis geraten“ wie die DAV schreibt. Auch die Untätigkeit der Großen Koalition in Sachen Riester-Reform reißt Lücken: Zunächst nur in den Reihen der Anbieter. „Dieser Leerraum muss gefüllt werden, um die erwartbaren Rentenlücken der nächsten Generationen zu schließen. Und die Pläne einer Deutschland-, Generationen- oder Aktienrente sind in ihrer bisherigen Form aus aktuarieller Sicht noch nicht die Lösung“, konstatiert Dr. Happacher. Denn all diese Konzepte würden ausschließlich die Ansparphase in den Blick nehmen, die hoch komplexe und vor allem Jahrzehnte währende Auszahlungsphase aber außer Acht lassen. „Ein 2020 geborenes Mädchen hat laut der aktuellen Kohortensterbetafel des Statistischen Bundesamts eine Lebenserwartung von gut 93 Jahren, ein Junge von gut 90 Jahren. Damit ergibt sich eine Rentenbezugsdauer von 25 und mehr Jahren, in denen die künftigen Rentnerinnen und Rentner würdevoll leben möchten“, beschreibt Dr. Happacher die Situation. Dies sei nur über eine Rente möglich, die ab Beginn der Ansparphase bis zum Lebensende eine Mindestzahlung sicherstellt, egal wie lange die Lebenszeit im konkreten Einzelfall ist. Dieses wichtige Element sei bisher in den politischen Konzepten nicht vorgesehen. „Im Interesse der Menschen muss hier nachgebessert werden“, so Happacher weiter.
Das Verschwinden der alten Sparwelt
Doch Appelle richtet die DAV nicht nur an die Politik, sondern auch die Bürger selbst: Die müssten sich stärker auf die veränderten Kapitalmarktwirklichkeiten einlassen: „Die alte Sparwelt wird es vielleicht nie wieder geben. Nur durch Investitionen in Substanzwerte wie Aktien oder Immobilien können künftig Renditen oberhalb der Inflation erzielt werden“, führt Dr. Happacher aus.
Diese Aussage bleibe auch vor dem Hintergrund der heftigen Kapitalmarktschwankungen des vergangenen Jahres richtig, wie sie die Corona-Pandemie verursachte. Insofern sei es positiv, dass die Aktienbesitzquote hierzulande zuletzt gestiegen sei. „Wir müssen konsequent daran arbeiten, dass die Vorbehalte gegen Aktien weiter abgebaut werden, und gleichzeitig verhindern, dass der Einzelne die damit verbundenen Verlust- beziehungsweise Schwankungsrisiken alleine tragen muss. Das lässt sich am besten durch eine langfristig ausgerichtete, kollektive Kapitalanlage erreichen, wie sie Lebensversicherer und Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung organisieren“, erläutert Dr. Happacher abschließend.
In den Unterlagen der DAV findet sich auch folgender Satz: „Nachhaltigkeit darf nicht nur für das Thema Klimaschutz gelten!“ Ein Ausspruch, der seine volle Wirksamkeit erst entfaltet, wenn man die Begründung des Bundesverfassungsgerichts zur deutschen Klimapolitik genauer ansieht. Das haben Juristen bereits getan. Inwieweit sich das „Karlsruher Klima-Urteil“ auf die Rentenpolitik übertragen lässt, lesen Sie morgen früh auf Versicherungsbote.de.
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Hinweis: Der Text erschien zuerst im Sonderheft Altersvorsorge.
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