Höchstrechnungszins in der Lebensversicherung: Der Preis der Garantie wird neu justiert
In Zeiten niedriger Zinsen sind die Lebensversicherer gezwungen, ihre Garantien in der Lebensversicherung aufzuweichen und neue Produkte zu etablieren. Das kann auch im Sinne der Kunden sein. Ein Kommentar von Lars Heermann, Bereichsleiter Analyse und Bewertung bei der ASSEKURATA Assekuranz Rating-Agentur GmbH.
- Höchstrechnungszins in der Lebensversicherung: Der Preis der Garantie wird neu justiert
- Kunden vom Nutzen geringerer Garantien überzeugen
„Zäsur“, „Riester-Rente ade“, „Ende einer Ära“. Die aktuellen Schlagzeilen in den Medien rund um die Absenkung des Höchstrechnungszinses in der Lebensversicherung zu Anfang 2022 klingen drastisch – und in der Tat hat es dieser Zinsschritt von 0,90 Prozent auf 0,25 Prozent in sich. So konnten wir in unserem aktuellen Marktausblick für die Lebensversicherung zeigen, dass die Kalkulation einer vollständigen Bruttobeitragsgarantie bei einem Mustervertrag mit 30 Jahren Ansparzeit und marktüblichen Kosten einen Rechnungszins von mindestens 0,77 Prozent erfordert. Dieser Zins wäre also rechnerisch erforderlich, damit der Versicherte zum Ende der Ansparzeit ein Kapital aufgebaut hat, dass der Höhe nach seinen eingezahlten Bruttobeiträgen entspricht.
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Im Umkehrschluss reicht der neue Rechnungszins von 0,25 Prozent dafür bei weitem nicht aus. Dies gilt zunächst für den unterstellten Mustervertrag, wird angesichts der deutlichen Absenkung aber auch für andere Vertragskonstellationen greifen. Wenn überhaupt, werden allenfalls noch Verträge mit sehr langen Laufzeiten und (nahezu) ohne einkalkulierte Kosten einen vollständigen Beitragserhalt schaffen. Damit stellt sich zum Jahreswechsel nicht mehr die Frage, ob die Lebensversicherer weiterhin mit altbewährten Garantien agieren wollen (was der Finanzaufsicht BaFin ohnehin schon seit geraumer Zeit ein Dorn im Auge ist), sie können es dann rein kalkulatorisch nicht mehr, weil der Höchstrechnungszins die gesetzlich vorgegebene Obergrenze für den Kalkulationszins darstellt.
Notwendigkeit, Garantien neu zu justieren
Produkte mit gesetzlich obligatorischer Beitragserhaltungsgarantie, wie Riester und die Beitragszusage mit Mindestleistung in der bAV, stehen damit vor dem Aus. Die Bemühungen von Branchenvertretern, die amtierende Bundesregierung noch in der laufenden Legislaturperiode zu einem Reformprozess zu bewegen, waren vergebens. Im Kern ranken sich die Reformbestrebungen um eine Abkehr von der vollständigen Beitragsgarantie, etwa auf 80 Prozent der eingezahlten Beiträge. Zugleich schwingt in der Argumentation mit, dass sich Lebensversicherer die gegebenen Garantien auch für die gesamte Vertragslaufzeit bilanziell leisten müssen, also mithin eine angebrachte Vorsicht walten lassen sollten. Nicht zuletzt ist der neue Höchstrechnungszins von der Deutschen Aktuarvereinigung und damit aus Branchenkreisen selbst vorgeschlagen worden. Denn das seit Jahren vorherrschende Niedrigzinsumfeld erschwert es den Anbietern, ihre Garantieverpflichtungen in der Handelsbilanz zu finanzieren. Abhilfe schaffen die Zinszusatzreserven, die aber auch erstmal ausfinanziert werden müssen.
Hinzu kommt, dass das unter dem geltenden Aufsichtsregime Solvency II geforderte Eigenkapital in Extremzinszeiten auf die Solvenzquote drückt. Pauschal gesagt fällt die Solvenzquote umso geringer aus, je mehr Garantien eine Assekuranz in den Büchern hat. Daher müssen die Lebensversicherer ihr Kapital künftig (noch) effizienter einsetzen. Dort, wo nicht gesetzlich vorgeschrieben, haben viele Gesellschaften die Garantien im Neugeschäft schon gesenkt. Der Marktführer Allianz ist hier nur ein Beispiel von vielen, wenn auch ein prominentes. Weitere Versicherer werden spätestens mit der Rechnungszinssenkung zum 01.01.2022 folgen. Das Verhältnis von vermeintlicher Sicherheit und realistischem Renditeanspruch der Kunden muss damit neu austariert werden.
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Apropos Kunden: Auch sie müssen sich fortan von der über Generationen verbreiteten Selbstverständlichkeit lösen, dass eine klassische Lebens- oder Rentenversicherung auf jeden Fall die eingezahlten Beiträge abwirft. Dies erfordert ein tiefgreifendes Umdenken. Es kann gelingen, wenn Kunden die Garantie fortan nicht als Selbstverständnis einordnen, sondern primär als Sicherheitsnetz für den „Worst-Case“. Dieses kann prinzipiell auch von einer geringeren Garantie aufgespannt werden. In Kombination mit kollektiven Sparprozessen und dem enthaltenen biometrischen Versicherungsschutz bieten damit auch moderne Policen vielfach noch valide Sicherheitselemente.
Kunden vom Nutzen geringerer Garantien überzeugen
Gleichermaßen kommt in der öffentlichen Diskussion zu kurz, dass jegliche Form von Kapitalgarantie in Anbetracht von Negativzinsen am Kapitalmarkt ein werthaltiges Versprechen darstellt, selbst wenn traditionelle Garantieniveaus nicht mehr darstellbar und womöglich aus Kundensicht auch nicht mehr sinnvoll sind. So hat das Institut für Finanz- und Aktuarwissenschaften in Ulm (ifa) in einer aktuellen Studie belegt, dass ein Garantieniveau unterhalb von 100 Prozent sogar für sicherheitsorientierte Verbraucher vorteilhaft sein kann, wenn man im aktuellen Zinsumfeld zusätzlich die Inflationseffekte berücksichtigt. Dass dann auch die Kunden vom Nutzen einer geringeren Garantie überzeugt sein müssen, steht freilich auf einem anderen Blatt und erfordert clevere Produktlösungen und versierte Berater.
Doch auch ungeachtet der Inflationseffekte zahlen Kunden für hohe Garantien einen immer höheren Preis in Form von sinkenden Überschussbeteiligungen und Beitragsrenditen, weil Versicherer die Gelder dann in sehr niedrig verzinste Anleihen investieren. Demgegenüber bedeuten weniger Garantien grundsätzlich größere Freiheiten in der Kapitalanlage und damit mehr Chancen. Die Aussicht auf eine Überrendite ist als Argument nicht zu vernachlässigen, schließlich sollten Altersvorsorgeprodukte vor allem die individuellen Rentenlücken der Menschen reduzieren und bestenfalls schließen. Dafür stehen die Chancen ganz nominell besser, je weniger Garantien das Produkt beinhaltet. Als Anschauungsobjekt kann hier das Sozialpartnermodell in der betrieblichen Altersversorgung herhalten, bei dem harte Kapitalgarantien sogar ganz verboten sind, damit die Anbieter mehr Freiheiten bei der Kapitalanlage haben. Flächendeckende Abschlüsse zwischen den Tarifparteien lassen allerdings noch immer auf sich warten.
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Die aktuelle Renditeaussicht von traditionellen Lebensversicherungen lässt sich exemplarisch an den Produkten der Neuen Klassik festmachen, die zwar weniger Garantien als die traditionelle Klassik aufweisen, bis dato aber noch regelmäßig mit einer Beitragsgarantie von 90 Prozent oder gar 100 Prozent ausgestattet sind. So liegt die laufende Verzinsung von neuen klassischen Tarifen laut unserer Überschussstudie für 2021 bei durchschnittlich 2,13 Prozent, Tendenz fallend und Kosten noch gar nicht berücksichtigt. Von den Hochzinszeiten früherer Jahre ist die aktuelle Überschussbeteiligung damit meilenweit entfernt.
Wem diese Renditeerwartung für seine Altersvorsorge nicht ausreicht, der kann sich nach Alternativen mit einem exponierteren Chancen-Risiko-Profil umschauen, etwa im fondsgebundenen Bereich. An einer entsprechenden Angebotsvielfalt dafür wird es künftig nicht mangeln, da die Lebensversicherer nicht umhinkommen, ihr Geschäftsmodell konsequent auf garantieärmere Produkte umzustellen, und neue Tarife auf den Markt bringen werden. Der dahinter liegende Transformationsprozess ist längst in vollem Gange und wird durch die anstehende Absenkung des Höchstrechnungszinses nun regulatorisch flankiert. Ob die Absenkung dann wirklich das Ende einer Ära manifestiert oder vielmehr eine neue Ära begründet, liegt letztlich im Auge des Betrachters.
Hinweis: Der Text erschien zuerst im Sonderheft Altersvorsorge.
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- Kunden vom Nutzen geringerer Garantien überzeugen
Ob sich Zinssparen lohnt, zeigt unser Zinsrechner.