„bAV ist meistens nur ein Mitnahme-Geschäft“
Hat die Geringverdienerförderung in der betrieblichen Altersversorgung (bAV) bisher die gewünschte Wirkung entfaltet? Sind Vermittler und Arbeitgeber fit für die anstehenden Änderungen im Bestand? Karsten Rehfeldt, Geschäftsführer der Beratungsgesellschaft für betriebliche Versorgungssysteme (BBVS), verrät es im Interview.
- „bAV ist meistens nur ein Mitnahme-Geschäft“
- Förderung: Anreizschwelle zu gering
Versicherungsbote: Herr Rehfeldt, Sie haben bereits Ende letzten Jahres davor gewarnt, dass Makler im Wachstumsmarkt betriebliche Absicherung zu viel Potenzial ungenutzt lassen. Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?
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Karsten Rehfeldt: Wenn man sich einschlägige Statistiken ansieht, in welchen Produkten die Versicherungsmakler den meisten Umsatz machen, steht das Thema betriebliche Altersversorgung meistens auf den hinteren Plätzen weit hinter Kfz-Versicherung, privaten Sachversicherungen und Biometrie. Dies mag an der zunehmenden Komplexität der bAV-Welt und an der mangelnden Bereitschaft, sich weiterzubilden, liegen. Im Bereich der Ausschließlichkeitsvermittler sehen wir ein ähnliches Bild. Das bAV-Geschäft läuft meistens nur als Mitnahme, wenn der Arbeitgeber oder der Arbeitnehmer danach fragt. Dies führt zu Wildwuchs in den Unternehmen und fehlenden Strukturen.
Gleich, ob bei Kranken, Pflege oder Altersversorgung betriebliche Vorsorge-Modelle boomen. Welche Produkt-Neuerungen finden Sie besonders gelungen und warum?
Wir sind schon seit Jahren davon überzeugt, dass die demografischen Probleme der Gesellschaft wie Fachkräftemangel und das Missverhältnis von Beitragszahlern und Leistungsempfängern in den solidarischen Systemen nur durch betriebliche Lösungen gelöst werden können. Dies machen uns alle europäischen Nachbarn vor. Die betriebliche Krankenversicherung ist ein Produkt der Zukunft, ebenso die betriebliche Pflegeversicherung. Auch das Thema Biometrie im Kollektiv wird zukünftig einen höheren Stellenwert erreichen. Günstige Kalkulation, vereinfachte Gesundheitsprüfung und private Fortführung sind hier die Stichworte.
Wird man so etwas wie Budget-Tarife bald auch in der Pflegeversicherung sehen?
Ich glaube nicht, dass man mit Budget-Tarifen in der Pflegeversicherung viel anfangen kann, es sei denn, die dienen der finanziellen und organisatorischen Entlastung der pflegenden Angehörigen und ermöglichen somit die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege. Denn was kaum einer auf dem Schirm hat – die Generation der Baby-Bommer, zu denen auch ich gehöre, ist auch die Generation der pflegenden Angehörigen, da deren Eltern sich in einem Alter befinden, in dem das Risiko des Eintritts der Pflegebedürftigkeit am höchsten ist. Hier hat die Hallesche mit dem Tarif Feel Care einen ersten interessanten Ansatz gewagt, den ich sehr begrüße. Ich sehe hier eher betriebliche Pflegeversicherungen, die die Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung im Bereich der Geld- und Sachleistungen ergänzen, wie jetzt die erste tarifliche Pflegezusatzversicherung im Bereich der IGBCE.
In Kooperation mit Perspektivum haben Sie eine Wissensdatenbank rund um die betriebliche Vorsorge aufgebaut. Wie kann man das nutzen und welche Erfahrungen haben Sie bisher damit sammeln können?
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Absolventen unseres Zertifizierungslehrganges „Berater Betriebliche Vorsorge (IHK)“ steht die Plattform kostenlos zur Verfügung. Alle anderen Interessierten haben die Möglichkeit, für einen monatlichen Betrag die Wissensplattform zu nutzen. Wir haben den Anspruch, dass der Nutzer hier nicht nur fachliche Informationen wie die aktuelle Rechtsprechung zur bAV und ergänzenden Themen findet, sondern auch Unterlagen für die Praxis wie Checklisten, Datenerfassungen, Merkblätter etc. Im Aufbau befindet sich eine ähnliche Wissensplattform für den Bereich betriebliche Krankenversicherung, das Thema betriebliche Pflegeversicherung wird sicherlich folgen.
Förderung: Anreizschwelle zu gering
Im Bereich der bAV versucht der Staat die Marktdurchdringung zu erhöhen, indem beispielsweise auf höhere Zuschüsse für Geringverdiener gesetzt wird. Wie ist Ihre Einschätzung dazu: Gelingt das?
Der Ansatz der Geringverdienerförderung ist sicherlich zu begrüßen. Die Anreizschwellen sind unseres Erachtens aber noch zu gering. Darüber hinaus muss auch dieses Thema beraten werden und kann momentan auf Grund der fehlenden finanziellen Anreize (Verteilung der Abschlusskosten auf den gesamten Zahlungszeitraum) im Prinzip nur von Honorarberatern angeboten werden. Hier fehlen auch Produktansätze der Versicherer, die normale Beitragszahlung gemäß § 3 Nr. 63 EStG und Geringverdienerförderung in einem Vertrag zulassen. Dies würde das Thema für die Finanzdienstleister attraktiver machen.
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Neu sind aber auch Auskunftspflichten im § 4 a BetrAVG. Wie haben sich die in der Praxis bewährt?
Neu sind ja die Informationspflichten im § 4a BetrAVG nicht, sie wurden nur mit der Umsetzung der EU-Mobilitätsrichtlinie erheblich erweitert. Wir sehen in der Praxis, dass dieses Thema bei vielen Arbeitgebern noch nicht angekommen ist. Vielfach werden einfach vorgelegte Anträge und Entgeltumwandlungsvereinbarungen durch den Arbeitgeber unterschrieben ohne richtige und umfassende Aufklärung der Arbeitnehmer. Es herrscht die Meinung vor, dass eine Entgeltumwandlung eine Sache des Arbeitnehmers ist. Versorgungsordnungen gibt es nur in einem Bruchteil von Unternehmen, hier liegt noch viel Arbeit vor uns. Wenn hier die Arbeitgeber zukünftig nicht umfassend aufgeklärt werden, sehen wir eine Vielzahl von Klagen zukünftiger Leistungsempfänger.
Zum 01.01.2022 haben auch Bestandsverträge in der Entgeltumwandlung Anspruch auf 15 Prozent der Sozialabgaben-Ersparnis. Ist die Branche darauf vorbereitet?
Wenn Sie mit Branche die Versicherungswirtschaft meinen, würde ich das verneinen, ebenso schlafen hier viele Versicherungsvermittler noch. Wer früher mal einen Versicherungsvertrag im Zusammenhang mit einer Entgeltumwandlung vermittelt hat, sollte den Arbeitgeber darauf hinweisen, dass ab dem 01.01.2022 der verpflichtende Zuschuss gezahlt werden muss. Der Arbeitgeber wird sich bei einer Nachforderung eines ausscheidenden Arbeitnehmers im Zweifelsfall zuerst an den Vermittler des Vertrages wenden. Leider ist das Thema auch ziemlich komplex geworden durch den Umstand, dass in vielen Verträgen eine Erhöhung des Beitrages aus den unterschiedlichsten Gründen nicht möglich ist und man daher nach alternativen Lösungen suchen muss. Dies kostet Zeit und Arbeit, die kaum jemand bereit ist, zu investieren. Wir als Rechtsberater haben es hier etwas leichter, wir bieten dem Arbeitgeber gegen Honorar das Fullservice-Paket für alle seine Bestandverträge an. Eine Nichtzahlung des Zuschusses oder eine Erhöhung des Bruttos des Arbeitnehmers um den Zuschuss-Betrag ist im Übrigen keine Alternative, da es sich um einen Rechtsanspruch des Arbeitnehmers handelt und der Gesetzgeber genau beschrieben hat, wo der Zuschuss hinzufließen hat.
Herr Rehfeldt, was würden Sie sich von Vermittlern bei betrieblicher Vorsorge wünschen? Oder gibt es einen Rat, den Sie gern jedem Vermittler mit auf den Weg geben würden?
Wir wünschen uns von den Vermittlern der Produkte im Bereich der betrieblichen Vorsorge die Konzentration auf deren Kerngeschäft, nämlich die Vermittlung des Vertrages zur Ausfinanzierung der Zusage. Für alle anderen Punkte sollte ein qualifizierter Rechtsberater herangezogen werden, der gemeinsam mit dem Vermittler für eine rechtskonforme Umsetzung der bAV im Unternehmen sorgt. Dazu gehört ein fundiertes Fachwissen des Vermittlers, das nur in einem ordentlichen Zertifizierungslehrgang erworben werden kann. Ich würde auch jedem Vermittler raten, immer das Thema unerlaubte Rechtsberatung im Auge zu behalten. Die Grenzen zwischen Vermittlung und Rechtsberatung sind im Bereich der bAV fließend. Im Zweifelsfall leistet die VSH des Vermittlers wegen unerlaubter Rechtsberatung nicht – und wir sprechen in der bAV über nicht unerhebliche Schäden, die entstehen können.
Mit Blick auf die Bundestagswahl: Welche Hoffnungen verbinden Sie damit? Vielleicht begrenzen wir es aber auf Altersvorsorge.
Wir hoffen als Rentenberater natürlich erst einmal auf eine Stärkung der gesetzlichen Rentenversicherung, die nach wie vor für viele Menschen in Deutschland ein Grundversorgung darstellt. Darüber hinaus sollte der Weg der Stärkung der betrieblichen Altersversorgung als der wichtigsten Ergänzung zur gesetzlichen Altersversorgung weiter geführt werden. Stichworte sind hier reine Beitragszusage in allen Durchführungswegen auch außerhalb des Sozialpartnermodells, weitere Entlastung hinsichtlich der Sozialversicherungsbeiträge in der Leistungsphase, einfachere Umsetzung von Opting-Out-Modellen. Wir wissen alle, dass ein Obligatorium zur bAV wie in vielen unserer Nachbarländer ein Weg zur langfristigen Vermeidung von Altersarmut sein kann. Ob es allerdings für die Marktteilnehmer die beste Lösung wäre, darf doch bezweifelt werden.
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Hinweis: Der Text erschien zuerst im Versicherungsbote-Sonderheft Altersvorsorge.
- „bAV ist meistens nur ein Mitnahme-Geschäft“
- Förderung: Anreizschwelle zu gering