Es ist ein Dauerthema für freie Handelsvertreter nach HGB § 84, wie es sie in der Finanz- und Versicherungsindustrie in großer Zahl gibt: Wenn die Zusammenarbeit zwischen Handelsvertreter und Gesellschaft beendet wird, kommt es zum Streit um den Handelsvertreterausgleich. § 89b HGB räumt dem Handelsvertreter bei Vertragsbeendigung unter bestimmten Voraussetzungen einen Ausgleichsanspruch ein. Nach dieser gesetzlichen Regelung kann einem Handelsvertreter im Fall der Beendigung seines Vertragsverhältnisses ein Anspruch gegen seinen vertretenen Unternehmer bis zu einer Jahresprovision zustehen. Damit ist § 89b HGB die wirtschaftlich bedeutendste Norm des Handelsvertreterrechts und beschäftigt Rechtsanwälte wie Gerichte immer wieder.

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Tim Banerjee ist Rechtsanwalt bei der Wirtschaftskanzlei Banerjee & Kollegen.Banerjee & Kollegen.Der Handelsvertreterausgleich stellt eine wirtschaftliche Absicherung für Handelsvertreter dar. Wird einem Handelsvertreter ohne eigenes Verschulden von der Gesellschaft gekündigt, steht ihm ein Ausgleichsanspruch zu, der den finanziellen Verlust durch den Wegfall der Bestandsprovisionen aus den selbst aufgebauten Kundenbeziehungen kompensiert. Schließlich gehen diese an die Gesellschaft über, die davon weiter profitiert.

Eine Reihe von Urteilen hat gezeigt, dass sich Gesellschaften beim Handelsvertreterausgleich nicht ohne Weiteres aus der Verantwortung stehlen können. Es müssen schon gewichtige Gründe vorliegen, dass der Handelsvertreterausgleich versagt werden kann. Auch versuchen Gesellschaften immer wieder, die Ansprüche so niedrig wie möglich zu halten. Dieser Praxis wurde und wird ebenso immer wieder ein Riegel vorgeschoben.

Bewertung der „wesentlichen Erweiterung“

Vor einigen Jahren bereits hat das Oberlandesgericht Celle die Position des Handelsvertreters erheblich gestärkt (Urteil vom 16.2.2017, Az.: 11 U 88/16). Das Urteil hat dazu geführt, dass Handelsvertretern und Vertragshändlern unter bestimmten höhere Ausgleichsforderungen zugesprochen werden. Das Urteil wirkt sich konkret auf die bisherige Praxis aus, als dass die Masse der Bestandsgeschäfte vergrößert wird, auf dessen Grundlage der Ausgleichsanspruch errechnet wird. Im Gesetz heißt es: „Der Werbung eines neuen Kunden steht es gleich, wenn der Handelsvertreter die Geschäftsverbindung mit einem Kunden so wesentlich erweitert hat, dass dies wirtschaftlich der Werbung eines neuen Kunden entspricht“ (§ 89b Abs. 1 S.2 HGB).

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In der Vergangenheit wurde dies so ausgelegt, dass eine wesentliche Erweiterung nur dann vorliegt, wenn es zu einer Steigerung eines Kunden um mindestens 100 Prozent gekommen ist. Das Urteil hingegen erkennt eine wesentliche Erweiterung bereits ab einer Intensivierung um mehr als 50 Prozent an. Das hat eben zu höheren Ansprüchen für Handelsvertreter geführt und die wirtschaftliche Sicherheit der Branche noch einmal gestärkt. Außerdem schloss sich das OLG Celle mit dem Urteil nur der maßgeblichen Fachliteratur an, in der schon länger kritisiert wurde, dass der Wortlaut des entsprechenden Paragrafen nicht richtlinienkonform gewesen sei. Es sei keine Umsatzverdoppelung zu verlangen gewesen, um den entsprechenden Kunden in die Ausgleichsberechnung einzubeziehen.

Höhere Ansprüche bei dynamisierten Lebensversicherungen

Auch der Bundesgerichtshof (Urteil vom 20.12.2018, Az.: VII ZR 69/18) hat sich eindeutig positioniert. Das oberste Gericht hat sich mit der Frage befasst, welche Ansprüche ein Vertreter gegen seinen früheren Auftraggeber geltend machen kann, für den er dynamisierte Lebensversicherungen vermittelt hat. Das Urteil ist handelsvertreterfreundlich ausgefallen: Vermittelt der Versicherungsvertreter dynamische Lebensversicherungen, bei denen sich die Versicherungssumme nach dem Inhalt des Versicherungsvertrags in regelmäßigen Zeitabständen erhöht, wenn der Versicherungsnehmer nicht widerspricht, gehen die Erhöhungen auf die Vermittlungstätigkeit bei Abschluss des Versicherungsvertrags zurück und sind gemäß § 92 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1, § 87 Abs. 1 Satz 1 HGB im Zweifel provisionspflichtig. Der BGH hat in dem Zusammenhang auch für Recht erkannt, dass ein Versicherungsvertreter auch nach seinem Ausscheiden Anspruch auf diese Dynamikprovisionen hat.

Darlegungslast gilt im Grundsatz für alle Positionen ab Vertragsbeginn

Eng mit dem Handelsvertreterausgleich verknüpft ist die Frage nach der Stornoreserve. Dazu hat das Oberlandesgericht Karlsruhe (Urteil vom 13.09.2017, Az.: 15 U 7/17) sich handelsvertreterfreundlich geäußert. Nach der Beendigung eines Handelsvertretervertrages können Unternehmen die Stornoreserve nicht pauschal einbehalten, sondern müssen die Gründe konkret darlegen. Das bedeutet: Fordert das Unternehmen die Rückzahlung vermeintlich zu viel bezahlter Provisionen oder Vorschüsse, trägt es auch die Beweislast und muss für jeden einzelnen Rückforderungsanspruch die konkreten Gründe darlegen und sie gegebenenfalls auch beweisen können. Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat mit seinen Ausführungen zur Darlegungslast im Saldenprozess die Position des Handelsvertreters gestärkt. Die Darlegungslast gilt im Grundsatz für alle Positionen ab Vertragsbeginn. Gesellschaften müssen auch zu jedem stornierten Vertrag näher erläutern, aus welchen Gründen das Storno erfolgt ist, wie sich die genaue Höhe der Stornierung ermittelt und ob und wie versucht wurde, das Storno zu verhindern.

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Fazit: Genaue Analyse unabdingbar

Die Bewertung des Handelsvertreterausgleichs ist mit Blick in die Praxis immer noch ein kritischer Punkt. Allzu leicht kann Handelsvertretern trotz erfolgreicher Tätigkeit die wirtschaftliche Basis durch eine Kündigung entzogen werden. Wenn sie dann ihre Ansprüche gegen die Gesellschaft nicht umfassend durchsetzen, verlieren sie viel Geld. Und diese Durchsetzung ist eben oftmals nur auf dem Weg des Zivilprozesses möglich, indem der Handelsvertreterausgleich genau berechnet und argumentiert wird.

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